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Troublemaker: Häftling Robin als Arturo Ui (Vordergrund) und seine Bande.

© Mark Schulze Steinen

Knasttheater in der JVA Tegel: Häftlinge spielen Gangster in Brechts „Arturo Ui“

Mit Brechts gar nicht subtilem Hitler-Capone-Vergleich gelingt dem Gefangenen-Ensemble aufBruch ein großer Coup.

Brecht war bekanntlich ein Fan davon, die Karten jederzeit vor seinem Publikum auf den Tisch zu legen. So auch in seiner Chicago-Moritat „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“, diesem Lehrstück über den rücksichtslosen Erfolg eines Adolf Capone oder Al Hitler, je nachdem. Gleich zu Beginn fasst der Ansager in boulevardesk-pointierter Manier (und noch dazu gereimt) zusammen, was von dieser „großen historischen Gangsterschau“ zu erwarten ist.

Nämlich unter anderem: Die Wahrheit über den großen Dockshilfeskandal! Dogsboroughs Testament und Geständnis! Sensationen im berüchtigten Speicherbrandprozess! Der Dullfeetmord! Die Justiz im Koma! Und vieles mehr. Außerdem verkündet er, damit der kulturelle Mehrwert auch niemandem entgeht: „Sie sehen hier, von Künstlern dargestellt, die berühmtesten Heroen unserer Gangsterwelt“. Allewetter!

Strafgefangene als Ganoven

Wenn diese darstellenden Künstler:innen nun selbst schon mal mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind, wie es so schön heißt, besitzt das fraglos einen gewissen Reiz. Strafgefangene spielen Ganoven? Brecht hätte seine Freude dran gehabt. Aber dieses Spiel mit dem Offensichtlichen ist nicht der Grund, weshalb die Inszenierung des „Arturo Ui“, die in der Regie von Peter Atanassow jetzt in der JVA Tegel eine umjubelte Premiere feierte, so in den Bann zieht. Weitere Termine und Tickets finden Sie hinter diesem Link.

Der Grund ist vielmehr, dass Atanassow es mit seiner nun auch schon seit zwanzig Jahren existierenden Gefangenentheater-Institution aufBruch einmal mehr geschafft hat, ein phänomenales Ensemble aus nicht-professionellen Darstellern zu rekrutieren. Sämtlich Menschen, die an Brechts verschlungener Story aus dem windigen Blumenkohlschieber-Milieu in Chicago nicht nur sichtlich Vergnügen haben. Sondern die den Text auch lustvoll und prononciert durchdringen, inklusive der Brecht-typtischen Sentenzen über die conditio humana: „Nie wird ein Mensch aus eigenem Antrieb die Browning weglegen. Solange ich nicht schieß, schießt der andere“.

In Zeiten der Anstandsknappheit

Bei diesem „Arturo Ui“ – aufgeführt im Freistundenhof der ehemaligen TA III, einem denkmalgeschützten, nicht belegten Teil des Gefängnisses – greift alles ineinander. Holger Syrbe hat ein Bühnenbild aus zwei rotierbaren Containern, rostigen Treppen und Podesterie gebaut, das perfekt die von Brecht imaginierte Transitwelt aus Raubtier-Kapitalismus, Erpressung und Korruption versinnbildlicht, die sogar die Ganoven seufzen lässt, das Problem sei dieser Tage „nicht Geldknappheit, sondern Anstandsknappheit“.

In diesem entseelten Ambiente, in dem auch der Mensch nurmehr Ware ist, schwingt sich der Anti-Held Ui zum Markt-Führer auf – bei Atanassow verkörpert von zwei verschiedenen Darstellern. Im ersten Teil von Robin. Und dann, nachdem Ui sich von einem Provinzschauspieler das Gehen, Stehen, Sitzen und hat beibringen lassen (eine von vielen Brecht-Reminiszenzen an den Hitlerschen Werdegang) als Popanz von H. Peter Maier C.d.F., einem erfahrenen aufBruch-Recken.

Unbehagliche Nostalgie

Musikalisch begleiten drei Mitglieder der „17 Hippies“ – Orlando de Boeykens, Uwe Langer und Volker „Kruisko“ Rettmann – mit Akkkordeon, Tuba, Posaune und anderem Blasgerät den Abend. Sie spielen Lieder für einen Gefangenenchor, Songs aus den Jahren des anbrechenden Untergangs: „Wenn ich mir was wünschen dürfte“ von Friedrich Hollaender, oder die „Ballade von der Wohltätigkeit“ mit Tucholsky-Text.

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In diesem Sound einer unbehaglichen Nostalgie beschwört die aufBruch-Inszenierung zum einen die universelle Faschismus-Parabel herauf, die im „Arturo Ui“ steckt. Zum anderen werden in kurzen historischen Erläuterungen die sehr konkreten Verweise des Stücks auf Hitlers Werdegang erhellt. Auch aus denen hat Brecht ja nie ein Geheimnis gemacht.

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