zum Hauptinhalt
Mit Gunter von Hagens' "Körperwelten" hat man die eigene Endlichkeit ständig vor Augen.

© dpa

"Körperwelten"-Ausstellung in Berlin: Auge in Auge mit dem Glubschauge

Beim Hantelnstemmen in einem Fitnessstudio am Berliner Alexanderplatz sticht unserem Autor vor allem eins ins Auge: Gunther von Hagens' Körperwelten. Die haben gegenüber eröffnet und setzen ihn beim Training neuerdings mächtig unter Druck.

Vielleicht liegt es an den Fahnen, die neuerdings auf den Stufen zum Fernsehturm stehen und so schön flattern. Eröffnet haben Gunther von Hagens’ „Körperwelten“ ja schon im Februar, aber so richtig fallen sie eigentlich erst jetzt auf – wie noch etwas anderes: Sie befinden sich Tür an Tür mit einem Fitnessstudio. Kann sich keiner ausdenken, so was. Auf der einen Seite schwitzen die Lebenden, auf der anderen tanzen die Toten. Und stieren dabei mit ihren Plastikglubschaugen durch die Fenster, den Sportlern direkt auf die Matten, von Plakaten zumindest. Die aus Diätzeitschriften bekannte Vorher-nachher-Werbung, mal neu interpretiert? Muskeln stählen, damit sie später in Formaldehyd richtig schön zur Geltung kommen?

Sofort nimmt man die Dinge ganz anders wahr. Der Typ da drüben, der 80 Kilo pumpt: Gleicht er nicht den Cäsaren, nur dass hinter ihm kein Sklave mit dem Loorberkranz steht, sondern der Geist Gunther von Hagens’, der ihm ins Ohr flüstert: „Bedenke, dass du sterblich bist“? Wäre dies eine Symphonie, es wäre ein Thema mit Variationen: Hier Yoga- Kurse, dort die Einladung an die Besucher, im Angesicht plastinierter Muskelstränge über Stress, Balance und Druckausgleich nachzudenken. Großartig, da haben sich zwei gefunden!

„Körperwelten“ wäre ja sowieso ein prima Name für ein Fitnessstudio. Ob es jetzt motivationsförderlich ist („Nutze die Zeit!“), beim Hantelstemmen ständig die eigene Endlichkeit vor Augen zu haben, oder im Gegenteil motivationshemmend („Alles ist sinnlos!“) – wohl eine Typfrage. In Wahrheit ist diese Installation natürlich das Werk eines genialen, unbekannten Künstlers, der mitten im Zentrum Berlins größtes Memento mori geschaffen hat! Aus dem Diptychon wird übrigens ganz schnell ein Triptychon: Die Marienkirche liegt gleich schräg gegenüber, nach dem Training kann man rübergehen und dort die Darstellung eines mittelalterlichen Totentanzes bewundern. Passt ja wie die Faust aufs Glubschauge.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false