zum Hauptinhalt
Cate Blanchett als Lydia Tár in einer Szene des Films „Tár“

© Focus Features/Universal/dpa

Kolumne „Der Klassiker“ (Folge 15): Die fiese Chefdirigentin

Viel Aufmerksamkeit erfährt gerade der Films „Tár“, in dem Cate Blanchet die Chefdirigentin der Berliner Philharmoniker spielt. Klassik-Kenner können darüber nur lächeln - oder sich fürchterlich aufregen.

Eine Kolumne von Frederik Hanssen

Viel wird gerade in der Klassikszene diskutiert über den Film „Tár“ von Todd Field, der seit vergangenem Donnerstag in den Kinos läuft. Über die herausragende Leistung von Cate Blanchet – sie spielt Lydia Tár, die seit 2013 (!) Chefdirigentin der Berliner Philharmoniker ist – herrscht weitgehend Einigkeit. Für Kopfschütteln, ja teilweise sogar wütende Erregung sorgt dagegen die Darstellung des Orchesteralltags.

Die strotzt nämlich nur so von faktischen Fehlern. Da ist zum Beispiel Sebastian, ein sympathischer älterer Herr, der schon sehr lange „stellvertretender Dirigent“ der Philharmoniker ist. Was soll das denn sein? So einen Job aber gibt es gar nicht. Chefdirigenten haben allenfalls junge Assistenten, die ein paar Jahre bei ihnen lernen und dann ihre eigene Karriere starten.

Der Orchesterprofi sieht vor allem die Fehler

Thomas Schmidt-Ott, Orchesterdirektor des Deutschen Symphonie-Orchesters, zeigt sich amüsiert: „Tár ist ein Spielfilm, eine Schmonzette, kann man also entspannt sehen. Man muss halt wissen, dass er seine Story aus Umständen zieht, wie sie bei den ‚vorgegaukelten‘ Philharmonikern genauso wenig vorkommen wie beim DSO.“ Das Probespiel der Solistin hinterm Vorhang, die Programmplanung von jetzt auf gleich, das sei alles totaler Quatsch: „So läuft das nicht in Profiorchestern. Der Film scheint sich nicht zu entscheiden: ist er eine Doku über den Klassikbetrieb, das Psychogramm eines weiblichen, über Leichen gehenden, also moralisch verkommenen Maestro oder ein Thriller?“

Fachleute sehen natürlich auch sofort, wie laienhaft Cate Blanchet dirigiert und Nina Hoss – als ihre philharmonische Konzertmeisterin – geigt. Mögen sich beide im Vorfeld noch so intensiv um Authentizität bemüht haben.

Als spannendes Sujet erachtet der DSO-Direktor in „Tár“ dagegen das Thema des abgehobenen Lebens, das weltbekannte Dirigent:innen führen: „Narzissmus und Orchesterdemokratie ist ein hochinteressantes Spannungsfeld, umspült vom spätromantischen Geniekult, dem das Publikum huldigt“, sagt Schmidt-Ott. „Klasse, dass das im Film ausgegriffen wird. Wenn auch nicht erschöpfend.“

Aber ist das nicht eine alte Leier? Der Trend in diesem besonderen Beruf geht doch schon lange weg vom Alleinherrscher mit Taktstock hin zum Teamgeist. Maestri wie Simon Rattle, Kirill Petrenko oder Vladimir Jurowski jedenfalls scheinen wenig mit Cate Tár Blanchett gemein zu haben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false