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 Zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse erhielt der brasilianische Fotograf Sebastio Salgado 75, den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.

© imago images/epd

Kolumne "Spiegelstrich": Erinnerung und Wahrheitssuche

Wir können uns an alles erinnern, denn alles wird digital verwahrt - leider auch der Unsinn und die Lügen, wie der Fall von Peter Handke beweist.

Klaus Brinkbäumer war zuletzt Chefredakteur des „Spiegel“ und arbeitet heute als Autor unter anderem für „Die Zeit“. Er ist ist Mitglied des Stiftungsrats, der den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels vergibt.

Wir leben in Zeiten, in denen das, was wahr und dokumentiert ist, dennoch bestritten wird. Mick Mulvaney, Stabschef im Weißen Haus in Washington, sagte vor wenigen Tagen explizit und auf mehrfache Nachfrage, dass Donald Trumps Regierung Hilfsgelder zurückgehalten habe, damit die ukrainische Regierung Ermittlungen gegen Joe Biden, Trumps politischen Gegner, aufnehme. „Wir machen das ständig“, sagte er.

Das war es: das Geständnis aus dem Zentrum der Macht. Denn genau um diese Verknüpfung, „quid pro quo“ genannt, drehen sich die Ermittlungen für das Amtsenthebungsverfahren gegen Trump. Machtpolitisch war es eine Katastrophe. In den Tagen danach sagte Mulvaney daher, er sei falsch gedeutet worden. Die gemeinen Medien! Er kam damit durch, blieb im Amt. Was sind Tatsachen noch wert, Beweise, sowieso Worte?

Handke ist so träge - warum korrigiert er sich nicht?

Als Sebastião Salgado in der Frankfurter Paulskirche den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels entgegennahm, war das Publikum gerührt, nämlich seinetwegen, und stolz, nämlich darauf, Zeuge dieses Augenblicks zu sein. Mich riss der Ruanda-Moment in Salgados Rede mit: Salgado hatte 1994 jenen Völkermord fotografiert und bezeugt, und nun stand er dort, erinnerte sich und uns an Ruanda und konnte weinend kaum weiterreden.

Wenn ein alter Afrikaner stirbt, stirbt eine Bibliothek, sagt ein Sprichwort aus Ghana, und es meint, dass nur dieser eine Alte weiß, was er weiß: Nirgendwo steht es geschrieben, mit seinem Tod ist es verloren. Im Westen, in der Welt Mulvaneys und Salgados und Peter Handkes, ist das anders: Wir alle können uns an alles erinnern, denn alles wird digital verwahrt. Der Unsinn auch. Die Propaganda. Die Lügen.

„Es gibt die Erkenntnis, aber nicht die Bildung", sagte mir Aleida Assmann, Friedenspreisträgerin von 2018. Sie meinte damit, dass so etwas Kostbares wie Wahrheit noch existiere, sich aber kaum durchsetzen könne gegen all die Verdrehungen.

Tagesspiegel-Kolumnist Klaus Brinkbäumer.
Tagesspiegel-Kolumnist Klaus Brinkbäumer.

© Tobias Everke

[Sie erreichen unseren Kolumnisten per E-Mail unter klaus.brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter via @Brinkbaeumer.]

Viel ist bereits gesagt über Handke; ich möchte auf Zeugenschaft hinaus, darauf, dass öffentliche Sprache ein Instrument von Erinnerung und Wahrheitssuche sein sollte, integer, präzise. Handke übt sein Schreiben wie ein Pianist das Klavierspielen, stundenlang, mit Notizheften. Er erreicht dadurch Reinheit und Klarheit seiner Texte. Was mich bei diesem Handke befremdet, ist, dass er sich in seinem Denken und Erinnern nicht auf ähnliche Weise korrigiert. Wie träge er ist.

Sebastião Salgado liebt es, über seine Fehler zu diskutieren

Kriegsberauscht waren schon viele Männer. Geirrt haben sich auch viele. Wir müssen deshalb nicht über Handke herfallen; wir sollten aber fragen, warum die Akademie ausgerechnet 2019 ausgerechnet das Krude, das Leugnende, die sture Wiederholung der Lüge prämiert – der erste Nobelpreis für "fake news". Sebastião Salgado liebt es, über seine Fehler zu diskutieren, meist lacht er dann. Handke schafft es nicht, über Jugendsünden zu lächeln. Er hat sich nicht entwickelt, nicht gelernt, fühlt sich auch nach zwei Jahrzehnten lieber verfolgt; wie unintelligent.

In Srebrenica, 1995 und ein Jahr nach Ruanda war das, wurden über 8000 Menschen ermordet. Seit damals sind viele Akten angelegt und Prozesse geführt worden, der ganze gewaltige Völkermord durch serbische Einheiten, von Handke damals relativiert, ist belegt. Und Radovan Karadžić, von Handke einst jubelnd verniedlicht, ist längst ein verurteilter Kriegsverbrecher. Peter Handke will an seine Irrwege nicht erinnert werden. Ist das Privatsache? Vielleicht, ja. Aber nur bis zu dem Moment, in dem jene Akademie, die „das Vorzüglichste in idealistischer Richtung“ (Alfred Nobel) belohnen soll, ihn ehrt und zum Vorbild macht.

Klaus Brinkbäumer

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