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Chinas Megacity Schanghai

© AFP PHOTO/Peter PARKS

Kolumne über Reiseliteratur: Quer durch China und Italien

Die Ursprungsländer der Pasta haben auch sonst viel zu bieten. Geistig nahrhafte Reiseliteratur über China und Italien in der „Fundstücke“-Kolumne.

Vermutlich haben die meisten Leser den Namen des Erfurter Kaufmanns Johann Peter Belling noch nie gehört. Ich bin zufällig darauf gestoßen, dass er im Jahr 1793 mit der Herstellung von Nudeln begonnen hatte und Erfurt dank Belling bis heute die älteste Nudelfabrik Deutschlands besitzt. Wer aber in antiken Zeiten schon die Pasta erfunden hat, ist nicht geklärt. Jedenfalls streiten sich China und Italien um das Pastapatent.

Das bringt mich angesichts der nun wieder saisonal gesteigerten Reiselust zu einem Lieblingsgenre: der geistig nahrhaften Reiseliteratur. Zum Beispiel über China und Italien. Bereits vor sechs Jahren hat der in Schanghai lehrende Kulturwissenschaftler und Goethe-Instituts- Mitarbeiter Marcus Hernig sein Kompendium „Eine himmlische Reise. China in sechs Gängen“ herausgebracht (Die Andere Bibliothek, Berlin, 405 Seiten, 36 €). Der Band ist prallvoll mit Reflexionen und Rezepten, natürlich sind hier die Chinesen die Nudelkönige und haben nicht nur das Pulver erfunden.

Überhaupt ist Hernigs These, dass man China als Westler vor allem durch seine unterschiedlichen Küchen ergründen sollte, zumal das Himmelsreich der Mitte erst unterhalb von Kopf und Herz beginnt. Hernigs Devise für alle Chinawatchers oder neuen Handelskrieger: „Chinas Bauch. Warum der Westen weniger denken muss, um den Osten besser zu verstehen“. Das ist sein weiterer, neuerer Buchtitel zum Thema (Edition Körber, 230 Seiten, 19 €).

Lesereise durch China

Obwohl es auch da Debatten um die Erfinderkrone gibt – die Pizza stammt zweifelsohne aus Neapel. Zumindest in der ursprünglichen Form als ca. fünf Zentimeter hohe trockene Teigecke mit einem Millimeter Tomatenhauch (alla Margherita). Es war ein Arme-Leute-Essen, das dank Gastarbeitern, Touristen und den schnell beliebten Pizzerien in Deutschland, England oder in den USA mit ihren knusprigen flachen Luxusvarianten, bedeckt mit allem nur Möglichen, dann nach Italien quasi rückimportiert wurde.

Zwei weniger kulinarisch als literarisch anspruchsvolle Bücher für Kenner und Neugierige stammen von zwei Journalisten. Stefan Schomann, gelegentlich auch Tagesspiegel-Autor, unternimmt von seinen beiden Wohnsitzen Berlin oder Peking aus oft Erkundigungen für große Zeitungen und Magazine. Er hatte vor zehn Jahren in seinem Band „Letzte Zuflucht Schanghai: Die Liebesgeschichte von Robert Reuven Sokal und Julie Chenchu Yang“ (Heyne Verlag) mit als Erster den Blick auf die deutsch-jüdische Emigration 1938/39 nach Schanghai gelenkt. Inzwischen spiegelt Stefan Schomanns „Lesereise China. Streifzüge durch ein Weltreich“ (Picus Verlag, Wien, 2017, 132 Seiten, 15 €) in einem neuen Bändchen ein ganzes Panorama. In feinen Facetten. Wenn es um ein Festival volkstümlicher Erzähler in Henan geht, wird eine Reportage selbst zur Erzählung. Ebenso, als er einen Schweizer Seiltänzer hoch in den Lüften der wilden Heimatberge Maos und der realen Filmszenerie von James Camerons Virtualmovie „Avatar“ beschreibt.

Mehr als Mafia, Pasta und Lampedusa

Und noch eine Lesereise der anderen Art: Der langjährige „FAZ“-Feuilletonredakteur Andreas Rossmann hat als Summe vieler Erfahrungen mit jener süditalienischen (und für manche Norditaliener nordafrikanischen) Insel eine schon im Titel ungewöhnliche Textsammlung verfasst: „Mit dem Rücken zum Meer. Ein sizilianisches Tagebuch“ (Verlag der Buchhandlung Walter König, Köln 2017, 200 Seiten, 18 €).

Zwiespältige Gegenwart, zusammen mit den eindrücklichen Schwarz- Weiß-Fotos der großen „FAZ“-Fotografin Barbara Klemm sollte dies nun zur Standard- und Lieblingslektüre eines Sizilienreisenden gehören. Rossmann führt über das notorisch Übliche und auch hier Unübersehbare – Mafia, Pasta, Lampedusa (oder auch den ihn begleitenden Sizilienliebhaber Goethe) – ziemlich weit hinaus. In die Tiefe und den immer wieder aufspürbaren Rest eines Zwischenreichs. Landeinwärts. Zu Künstlerporträts und genau beobachteten Alltagsgesichtern. Man folgt wechselnden Ortsskizzen, begegnet durchaus mal Lampedusas „Gattopardo“, aber auch den neuen alten Sizilianern. Aus Köln oder Casablanca. Zum Hinterherreisen.

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