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Andromahi Raptis, Katarzyna Wlodarczyk, Adrian Strooper und Carsten Sabrowski sind das Tier-Quartett.

© Robert-Recker.de

Komische Oper Berlin: Vier gewinnt

Deutsch-türkische Uraufführung an der Komischen Oper: Der Komponist Attila Kadri Sendil vertont „Die Bremer Stadtmusikanten“ neu für Kinder.

Was fällt dem ein, dem Esel? Zieht der einfach den Vorhang zurück! Aber er hat ja recht, schließlich sind wir in einer Oper, und die soll irgendwann auch mal beginnen. Trotzdem: Ungehorsam geht gar nicht. Schon pfeift ihn sein Besitzer zurück, ein furchtbarer Mensch, penibel, herrisch, humorfrei: „Nie tut er das tun, was er soll, der störrische.“ Dann besser addio, möge der Esel ziehen! Und nicht nur er. Hund, Katze und Hahn ergeht es genauso. Sie alle werden von ihren Haltern verstoßen, nicht weil sie alt, sondern weil sie nicht perfekt sind: Der Hund macht ständig alles kaputt, die Katze kann keine Mäuse mehr fangen, der Hahn kräht alle um den Verstand. Also machen sie sich auf den Weg ins Irgendwo.

Esel, Hund, Katze, Hahn? Kein Zweifel: Wir sind bei den Bremer Stadtmusikanten, den Stars der diesjährigen Kinderoper der Komischen Oper Berlin. Die mit dieser Produktion ihre schöne Tradition fortsetzt, Stücke für Kinder wirklich ernst zu nehmen, indem jedes Jahr ein neues Werk in Auftrag gegeben und auf der großen Bühne aufgeführt wird. Komponist Attila Kadri Sendil ist in Izmir geboren und Klarinettist, er hat in Istanbul, Paris und den USA studiert und unterrichtet Komposition an der Universität Antalya. „Die Bremer Stadtmusikanten“ reihen sich ein in das interkulturellen Projekt „Selam Opera!“, mit dem die Komische Oper auch Berlinerinnen und Berliner mit nicht deutschem Hintergrund als Besucher gewinnen will.

Wie auf Berlins Straßen: Die Darsteller wechseln zwischen Deutsch und Türkisch

Glaubt man den Ankündigungen, dann ist das Märchen auch in der Türkei sehr populär – als „Bremen Mizikacilari“. Und so hat Sendil vier orientalische Instrumente (Kanun, Baglama, Oud und Zurna) ins Orchester eingebaut, die Darsteller wechseln beim Sprechen und Singen immer wieder mal kurz ins Türkische (Libretto: Ulrich Lenz/Murat Caglar). Weil das eben auch auf Berlins Straßen völlig normal ist.

Zweifel, ob da nicht ein bisschen arg viel gutmeinender Überbau zusammenkonstruiert wird für eine Kinderoper, zerstäuben schnell. Weil Sendil das alles charmant zusammenführt und die pädagogischen, sozialen und politischen Absichten nicht zu sehr in den Vordergrund drängeln. Dort tummeln sich vielmehr die vier tierischen Hauptdarsteller: Carsten Sabrowski ist als Esel ebenso auch Brummbär, gutmütig-väterlicher Freund und Altherrenrocker. Adrian Strooper spielt und singt mit hell gelagertem Tenor einen leicht täppischen, aber grundsympathischen Hund. Katarzyna Wlodarczyk ist als Katze eine Diva, die keiner glücklich machen kann. Und der übermütige Hahn von Andromahi Raptis ist das Kind im Korb.

Die kleinen Besucher werden ins Geschehen einbezogen

Christian Tschelebiew, Christiane Oertel, Denis Milo und Julia Domke komplettieren das Ensemble. Sie sind die vier griesgrämigen Tierhalter – und die Räuberbande, die bekanntlich von den Tieren beherzt aus ihrem Haus vertrieben wird, mit tatkräftiger Mithilfe der Kinderschar im Saal. Wenn alle gemeinsam bellen, miauen und krähen, kann das schon richtig schön schaurig klingen!

Immer wieder integriert Regisseur Tobias Ribitzki die kleinen Besucher ins Geschehen, lässt die Action oft gleich mitten in den Reihen spielen. Und platziert so geschickt die Botschaften des Stücks, ohne sie allzu plakativ auszustellen: dass man zusammen stärker ist als alleine, dass Davonrennen keine Lösung und es besser ist, etwas zu tun, weil man sich bewusst dafür entschieden hat.

Warum Bremen? Weil dort jeder nach seiner Fassung selig werden kann

Musikalisch injiziert Sendil immer wieder orchestrale Passagen und Arien – sprich: opernhafte Klänge – ins Geschehen, aber wohldosiert. Sie stehen neben fröhlich gepfiffenen Liedern und vom Jazz inspirierten Augenblicken. Sehr melodiös ist das geschrieben, mit teilweise ganz klassischen Kadenzen, und von Ivo Hentschel, dem neuen Kapellmeister der Komischen Oper, dynamisch und kernig dirigiert. Die vier türkischen Instrumente steuern eine exotische Note bei. Zum Ende des ersten Aktes dreht die Handlung Pirouetten und katapultiert sich in eine ausgewachsene Revue mit Showtreppe und Hula-Hoop-Reifen, für das spannende Finale, in dem die Tiere die Räuber ein zweites Mal vertreiben, hat Sendil packende Gespenstermusik komponiert.

Bleibt nur noch die Frage, die weder das Grimm’sche Märchen noch diese Oper beantworten kann: Warum Bremen? Die zugeknöpfte norddeutsche Hansestadt mag zwar für globalisiertes Beck’s-Bier, aber nicht für überschwängliche Lebensfreude bekannt sein. Trotzdem ist der Esel nicht von seiner idée fixe abzubringen, mit seinen drei Mitstreitern dorthin zu ziehen. Weil dort jeder nach seiner Fasson glücklich sein kann. Ausgerechnet Bremen wird so zu einer Art Passepartout, einem Utopia, Sinnbild des Glücks schlechthin. „Wir ziehen los nach Bremen“, das Lied wird zum Leitmotiv der Oper wie der Stoßseufzer „Nach Moskau“ in Tschechows „Drei Schwestern“. Wie diese erreichen die Tiere ihr Ziel nie. Aber das hat Utopia ja so an sich.

Wieder am 3., 13. und 22. Oktober sowie im November und im Dezember.

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