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Surfer und Songwriter. Ben Howard, 33, ist ein unauffälliger Popstar, der bisher vor allem für seine sanften Songs geschätzt wurde.

© Roddy Bow

Ben Howards neue Töne: Komm auf mein Karussell

Experimentierfreudig: Folk-Popper Ben Howard und sein Album „Collections From The Whiteout“.

Im Moment seines großen Triumphs hat Ben Howard mit seiner Debütplatte bereits Platinstatus erreicht. Trotzdem wird an diesem Abend im Februar 2013, als er die Brit-Awards als Breakthrough-Artist und bester Solo-Künstler gewinnt, auf Twitter vor allem eine Frage verhandelt: „Who the fuck is Ben Howard?“ Wer zum Teufel ist dieser Blondschopf mit Schlabber-T-Shirt und Akustikgitarre?

Auffallen gehört nicht zu den Stärken des englischen Musikers und Hobbysurfers, Jahrgang 1987. Das liegt zum einen an seiner Stimme: ziemlich hoch, leicht angeknödelt, nicht besonders kraftvoll. Zum anderen an seinem zurückhaltenden Auftreten, diesem The-boy-next-door-Image, das ihm Vergleiche zum anderen britischen Durchschnitts-Barden mit Star-Status einbringt, Ed Sheeran.

Wenn Ben Howard nun seine vierte Platte veröffentlicht, muss er sich diese Vergleiche nicht mehr anhören. „Collections From The Whiteout“ (Universal/Island) ist ein kleines Kunstwerk geworden, mutig und widerspenstig. Vielleicht sogar ein bisschen zu kratzbürstig für jene Fans, die schon bei den Brit-Awards längst wussten, wer Ben Howard ist, und sich bislang so gern in die aufrichtige Melancholie seiner Songs geschmiegt haben.

Denn so verwechselbar die einzelnen Zutaten sind, zusammengenommen entwickeln sie einen emotionalen Punch wie eine kraftvolle Gerade. Seine Lieder bieten sentimental veranlagten Folkpop-Liebhaber:innen ein wohliges Zuhause – bis jetzt zumindest.

Als Whiteout wird ein Wetterphänomen bezeichnet, bei dem das Licht in schneebedeckter Umgebung derart diffus strahlt, dass man weder Konturen noch Horizont erkennt und schließlich ganz die Orientierung verliert. Klingt mehr nach Tod in der Eiswüste als nach Kuscheln vor dem Kamin? So schlimm wird es zwar nicht, doch Howard streunt weiter weg vom Pfad der Singer-Songwriter-Behaglichkeit, als er es sich bislang getraut hat.

Der Brite tat sich mit Aaron Dessner von The National zusammen

Das deutet sich schon im Opener „Follies Fixtures“ an. Der Song springt sofort aufs Keyboard-Karussell, das vor sich hin daddelt, als stünde es zwischen den Attraktionen eines Dorf-Rummelplatzes. Alles dreht sich, auch der Text, den Howard wie ein Mantra vorträgt, ganz ohne klassischen Wechsel von Strophe, Refrain und nächster Strophe. Immer wieder singt er mit gleichbleibender Intonation: „Every sight of you I know is worth the keeping.“ Drumherum brummt und bimmelt es: Zither-Gezirpe, Gitarren-Wetterleuchten und Synthies, die wie Posaunen dräuen.

Howard hat sich mit dem Loop- und Feedback-Fetischisten Aaron Dessner zusammengetan, der sonst mit der Band The National den äußeren Pop-Orbit erkundet. Dessner wiederum hat eine ganze Reihe von Gastmusiker:innen in sein Long Pond Studio im Bundesstaat New York geholt. So steuert Kate Stables von This Is The Kit Background-Gesänge bei, James Krivchenia von der Folk-Rock-Kombo Big Thief spielt einige Drum- und Percussion- Parts, andere übernimmt Yussef Dayes, der sonst eher im Jazz zu Hause ist.

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Richtig spannend wird es jedoch, wenn Howard und Dessner zu zweit draufloswerkeln. Dann kommt eine Songskizze wie „Finders Keepers“ dabei heraus, in der Howards E-Gitarre ziellos herumstromert. Dazu Pianotupfer, die der Produzent selbst in das Gedengel setzt, und die zögerliche Stimme des Sängers: „What’s that in the river, that suitcase, that floating thing?“ Ja, was schwimmt denn da in der Themse? Nichts Gutes, man ahnt es schon. Der Song ist inspiriert von einem Freund von Howards Vater, der in einem treibenden Koffer eine Leiche fand. „Why’s it always me, finding things I should never have seen?“, lässt ihn Howard fragen.

Schon auf dem Album „Noonday Dream“ von 2018 haben Ben Howards Songs eine dunklere Färbung angenommen. Die Formen begannen auszufransen. Allerdings noch nicht mit der Entschlossenheit, die „Collections From The Whiteout“ prägt. Die Stücke legen an Ideenreichtum zu, an innerer Dynamik. Mit Dessner an seiner Seite traut sich der Sänger aus der Deckung.

In einer zweiten Aufnahmerunde mit seiner alten Band hat Howard für die nötige Erdung der Songs gesorgt. Einigen verleiht er sogar eine Unplugged-Facette. Da klingt plötzlich die Akustik-Gitarre durch, und seine Stimme, sonst eher Zweig im Sounddickicht, verschafft sich Freiraum. Ganz so, als würde der Musiker auf eine Lichtung treten und sich für Momente auf seine Wurzeln besinnen.

[Konzert im Stream: 8. April, 21 Uhr auf benhowardmusic.co.uk]

So gelingt ihm eine Platte, die von einem entspannten Selbstbewusstsein zeugt. Die Leichtigkeit kommt nie abhanden. Wobei „Collections From The Whiteout“ bei aller Experimentierfreude ein zugängliches Album bleibt, was auch an den eingestreuten Pop-Perlen („What A Day“, „Far Out) und Folk-Miniaturen („Rookery“, „Buzzard“) liegt. Damit dürfte der Sänger seine Fans milde stimmen und gleichzeitig zu manch einem durchdringen, der sich sonst eher nicht die Frage gestellt hätte, wer zum Teufel dieser Ben Howard ist.

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