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Kraftvoll. Das Bundesjugendballett im Konzerthaus.

©  Musesouvenir/Kai Bienert

Vivaldi, Pop und Tanz: Kommt mit, wir reißen Mauern ein

Debussy, Pop und ein Moderator im Dirndl: Das Bundesjugendballett tanzt bei Young Euro Classic, begleitet von Musikern der Jungen Norddeutschen Philharmonie.

Umgekehrt proportional zur Länge seines Namens umfasst das Bundesjugendballett nur acht Tänzerinnen und Tänzer. Zwei Jahre gehören sie dem von John Neumeier 2011 gegründeten und von Kevin Haigen geleiteten Ensemble an, erobern sich ohne feste Spielstätte ständig neue Locations, bringen Tanz dahin, wo er nicht selbstverständlich ist, treten in Schulen, Seniorenheimen, Gefängnissen auf.

Und bei Young Euro Classic – wo sie ein verzückter Pate Boris Aljinovic als „höhere Bühnengötter“ ankündigt, mit denen er als ausgebildeter Schauspieler immerhin zwei Minuten mithalten könne, bevor er zusammenbräche. Dass Aljinovic ein begnadeter Komiker ist, hat er gerade beim „Weißen Rössl“ im Renaissance-Theater demonstriert – und sich dabei offenbar so in die alpenländische Tracht verliebt, dass er jetzt im Dirndl auf die Bühne des Konzerthauses tänzelt.

Himmel und Hölle der Liebe

Engagiert begleitet von Musikern der Jungen Norddeutschen Philharmonie (Leitung: Miguel Peréz Inesta) tanzen die acht jungen Menschen zu Kompositionen von Vivaldi oder Debussy Choreografien, die in den letzten Jahren für sie entstanden sind oder die sie selbst entwickelt haben. In „Rain Memories“ scheint ein Paar Himmel und Hölle der Liebe zu durchleben, entfremdet sich, findet wieder zusammen, während die anderen diese Emotionen körpersprachlich begleiten und kommentieren.

Was auffällt: wie unglaublich traditionell diese Choreografien sind, obwohl sie von 2013 oder 2017 stammen. Ist es tänzerisches Naturgesetz, dass immer der Mann die Frau hebt, trägt, herumwirbelt, beschützt – und nie umgekehrt? Dass immer völlig klar ist, wer hier Subjekt und Objekt ist?

Erst mit „Dumbarton Oaks“ auf das gleichnamige Werk von Strawinsky ändert sich das. Jetzt stehen keine Paarbeziehungen mehr im Vordergrund, die Tänzerinnen und Tänzer reißen gemeinsam eine Mauer ein, hinter der das Orchester auftaucht, und führen ein wildes, archaisches Fest in Röcken auf.

Lauter crazy moves

Richtig gut wird es nach der Pause: „What We Call Growing Up“ versammelt acht Choreografien auf Pop- und Folksongs, alles löst sich auf in Gruppen, dazu kommen Klavier, Keyboard, E- und Akustikgitarre und Sänger, hübsch skulptural arrangiert. Das hat was von Kelly Family, macht aber enorm Stimmung, pustet durch, wirkt frisch und modern. Lauter crazy moves, dazu ein Tänzer, der seinen verkrümmten Körper präsentiert wie den Heiligen Sebastian mit den Pfeilen, und vor allem: keine Hierarchien mehr zwischen Mann und Frau.

Zum Schluss Tracy Chapmans „Talkin' 'Bout A Revolution“: Eine Sängerin rezitiert einen Text, der hervorragend zur Klimakatastrophe passt, die sich gerade vollzieht. „We are still at the mercy of nature. But there is hope. We, humanity, are in this together.“ Schön wär's, wenn das jedem bewusst würde.

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