zum Hauptinhalt
Das Militär hat’s schwer. Der Capitaine (Axel Wandtke) lässt die Komödiantentruppe antreten.

© Thomas Aurin

Komödien-Klassiker an der Schaubühne: Tanz am flachen Abgrund

Endlich spielt ein großes Haus ein Stück aus der komischen Tradition: Bei „Champignol wider Willen“ jagt Herbert Fritsch eine Feydeau-Komödie an der Schaubühne.

Als Robert Wilson in Stockholm einmal August Strindbergs „Traumspiel“ inszenierte, passierte etwas Merkwürdiges. Die Bilder wirkten sehr vertraut, die Aktionen drangen nicht richtig durch. Was sicher auch daran lag, dass Wilson immer schon und immer wieder Traumspiele auf die Bühne gebracht hat – Stücke, die sich wie Strindbergs Werk aus Raum und Zeit lösen und einer hyperrealen Logik folgen. Regisseur und Dramatiker waren sich zu nah. Sie verstanden einander zu gut.

Ein wenig ist es auch so, wenn Herbert Fritsch an der Schaubühne jetzt mit Georges Feydeau herauskommt. Rasender Boulevard, irre Auf- und Abtrittschoreografie, mechanisierter Wahnsinn: Das gehört zu Fritschs Handwerkskunst von Anfang an, natürlich denkt man an die „Spanische Fliege“, den genialen Volksbühnen-Schwank.

Aber was heißt das überhaupt, Komödie? Was ist so lustig daran, dass Eheleute sich betrügen, Liebhaber auf der Flucht sind oder ein Mann für einen anderen gehalten wird? So geht es Monsieur Saint-Florimond. Er sucht bei Madame Champignol sein Elysium, als der Gatte verreist ist. Sex ist wie Sport: viel Taktik, viel Verrenkung. Das Stück, 1892 in Paris uraufgeführt, machte Feydeau berühmt. Er haute einen Erfolg nach dem anderen raus, so wie heute die Regisseure von Inszenierung zu Inszenierung hetzen. Er hielt sich eines Tages selbst für Napoleon, trug majestätische Uniformen und starb 1921, wie es heißt, in geistiger Umnachtung. Zu der Zeit waren schon die Dadaisten und die Surrealisten unterwegs, ihre Nähe zu Feydeau & Co. erscheint evident. Sie alle nahmen das bürgerliche Leben auseinander, zerschossen die Moral. Darum kann es heute nicht mehr gehen, diese Arbeit hat das Theater gut erledigt. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum die Bühnen seit Jahren so selten Komödien spielen. Die Mechanismen und die Moral sind durchschaut: die des bürgerlichen Lebens wie die des Boulevard.

Unsinn in Uniform

Herbert Fritsch treibt seine Leute über eine leere Bühne. Kein Boudoir, keine klassischen Salontüren zum Aufreißen und Zuschmeißen. Dafür ein riesiges Sofa, eine Art Kellertreppe und nachher ein bedrohlicher Kronleuchter. Der Spielraum ist in Camouflage-Grün gehalten, auch die von Victoria Behr entworfenen Kostüme variieren farbig den Tarnfarbenlook. „Champignol wider Willen“ verarscht das Militär. Der falsche Maler Champignol wird, kaum dass er bei seiner Geliebten landen kann, zu einer Reserveübung eingezogen. In der Kaserne toben sich vollidiotische Kommissköppe aus, angeführt von Capitaine Axel Wandtke, der vor lauter Strammstehen nicht mehr gerade laufen kann. Er kommandiert ein großes Chaos-Ensemble. Keiner gehorcht, nichts klappt.

Saint-Florimond rutscht nicht bloß in die Zwangslage mit Uniform, er muss auch den großen Maler Champignol darstellen. Im Salon steht ein gewaltiger Botticelli auf dem Kopf, später ein dickes Porträt in Botero-Manier. Feydeau selbst soll Bilder von Monet, Renoir, Cézanne und van Gogh besessen haben, eine Sammlung zeitgenössischer Malerei. Aber Fritsch geht auf die Kunst-Farce nur kurz ein. Er hat mehr Spaß am dämlichen Exerzieren – die Truppe wird angetrieben von Live-Musik und Techno-Märschen. Im zweiten Teil spielt Taiko Saito auf der Bühne ein mächtiges Xylophon, wunderschön. Ein poetischer Ausreißer aus dem heillosen Getümmel.

Es springt einen an, wie viel Commedia dell’arte in diesem Feydeau steckt: besonders gut zu sehen bei Carol Schuler als renitentem Dienstmädchen und als übermotivierter Caporal. Auch den echten Champignol, Florian Anderer, kann man sich auf einer alten venezianischen Bretterbudenbühne vorstellen. Oder als Comic-Figur. Er kommt aus dem Grinsen nicht heraus, ihm ist alles gleich. Bei Feydeau/Fritsch freuen sich auch die Verlierer, und die Gewinner ergreift die Panik.

Bastian Reiber, dem Schwindler wider Willen, steht das Entsetzen ins Gesicht geschrieben, wenn sich das Netz immer enger um ihn zusammenzieht bei der Champignol-Werdung. Er zappelt allerdings lustvoll in der Falle, ein Stehaufmännchen mit einer unerschöpflichen Batterie. Und Madame Champignol, die natürlich Angèle heißt, Engel, lässt sich erwartungsvoll durch den Wahnsinn treiben: Ursina Lardi, mit sehr hoher Frisur und sehr knappem Kleid, trägt auch sehr dick auf. Ist das Ganze eine Parodie?

Was geht da ab? Ein wilder Haufen ist eingesperrt in einen Experimentierraum, in eine Farce gestoßen, die sich entblößt. Fritsch weiß, wie der Hase läuft in diesen Stücken. Der Zickzack wird zur geraden Linie. Das Überdrehte kann dann vernünftig und klar wirken. Diese Typen sind derart aufgekratzt und hochgejazzt, dass sie nichts mehr überrascht. Sie überspielen eine Leere, springen häufig über das Loch im Boden, tanzen am Abgrund. Aber der ist recht flach.

Das „Wider Willen“ im Titel betrifft auch das Genre. Es handelt sich um eine unfreiwillige Komödie, eine Serie kleinerer Tragödien. Aber sind nicht die meisten Komödien so, dass Menschen etwas passiert, womit sie überhaupt nicht gerechnet haben? Endlich spielt ein großes Haus ein Stück aus der komischen Tradition, und es stellt sich heraus, dass der Boulevard ein empfindliches Wesen ist. Wenn er so breit attackiert wird, zieht er sich zurück. Er will wohl lieber verführt und herausgelockt werden. „Champignol“ ist eine Power-Demonstration, die Schauspieler hetzen einem Phantom hinterher. Man spürt die unerfüllte Sehnsucht nach der Komödie geradezu körperlich.

Vorstellungen wieder am 29., 30. und 31. Oktober sowie am 3. Dezember

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false