zum Hauptinhalt
Timo Blunck 1982 bei einem Konzert von Palais Schaumburg in der Hamburger Markthalle.

© imago stock&people

"Hatten wir nicht mal Sex in den 80ern?" von Timo Blunck: Komplettzerstörung

Erst Bassist bei Palais Schaumburg, dann besessen von Sex und Drogen: Timo Bluncks Turbo-Pop-Roman "Hatten wir nicht mal Sex in den 80ern?".

Irgendwann im Verlauf seiner fast 500 Seiten zählenden Suada stellt der Held von Timo Bluncks Roman „Hatten wir nicht mal Sex in den 80ern“ die „immer gleiche“ entscheidende Frage: „Wen interessiert das eigentlich?“ In diesem Fall der Sex-Drogen-und-Rock'n'Roll-Report eines Mittfünfzigers, der in den frühen achtziger Jahren eine kleine Popstar-Karriere und ein paar Minuten Ruhm hatte. Und Schröder, so heißt der gute Mann, gesteht gleich, dass ihn selbst das so gar nicht interessiere, er keine Musikerbiografien lese, „die sind nämlich meistens langweilig, auch in Romanform.“

Ob das Selbstironie ist? Oder Timo-Blunck-Dialektik? Tatsächlich hat Blunck mit „Hatten wir mal Sex in den 80ern?" keine Musikerbiografie geschrieben, sondern einen Roman, dessen Stoff wiederum seine eigene Biografie ist, nicht zuletzt eben eine Musikerbiografie. Blunck, der 1962 in Hamburg geboren wurde und aus einem großbürgerlichen Haushalt stammt, war Anfang der achtziger Jahre Bassist der Avantgarde-und NDW-Band Palais Schaumburg, in der später viel bekannter als Blunck gewordene Musiker wie Thomas Fehlmann, Holger Hiller oder FM Einheit ihre Karrieren begannen. Palais Schaumburg war jetzt kein übermäßiger Erfolg beschieden, sie wurden zur großen NDW-Zeit aber wie so viele Bands aus Deutschland in England und den USA viel beachtet, waren hier mitunter erfolgreicher als in ihrer Heimat. 1984 lösten Palais Schaumburg sich auf, und Blunck arbeitete in der Folge als Texter, Komponist und Produzent von Musik für Kino-, TV- und Werbefilme. Kunden seiner Produktionsfirma waren unter anderem Automobilhersteller, Nivea oder die Deutsche Post.

Blunck sprintet geradezu durch die Jahrzehnte

Es gibt also ein Leben nach dem Popstarleben, und davon erzählt Blunck in seinem Roman ebenfalls in aller Ausführlichkeit, von Yacht-Ausflügen mit einem schwulen Werber in Cannes und Los Angeles Anfang der nuller Jahre, von einer Eheschließung, einem Familienleben, Heimwerker-Markt-Besuchen und wilden Partys in den neunziger Jahren in Baton Rouge und New Orleans. Blunck lässt seinen Helden Schröder hin und herspringen zwischen den Zeiten. Von Düsseldorf 1981 und dem Sommer 1982 in Zürich geht es nach London 1990 und ins Hamburg der späten Nuller, stets wild durch die Jahrzehnte, wobei den Rahmen dieser Erzählung Schröders Sitzungen bei einer Psychotherapeutin bilden. Denn nachdem der in die Jahre gekommene Drauflos-Bonvivant „nach meiner letzten Feiernacht total zerstört bei meiner Schwester Esther aufgetaucht war“, hatte ihm Esther empfohlen und gedroht: „Entweder Therapie, oder ich sags Mama!“

Schröder legt dann los, immer mal von einem Kommentar seiner Therapeutin unterbrochen, auf einer A- und einer B-Seite (was so gar nicht originell ist, hat ungefähr jeder zweite Pop-Roman), die sich weder stilistisch noch inhaltlich unterscheiden. Drogen und Sex und manchmal Pop, daraus besteht Schröders ach so wildes Leben. Nur ist das auf Dauer wenig originell, wenn hier wieder geschnubbelt und dort ordentlich gerammelt wird, wenn bemerkenswerte Sätze wie „Die Zeit ist ein endloser Sprint durch eine Periode, die später New Wave heißt" die Ausnahme und nicht die Regel sind.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

„Orte und Personen verwischen, Eindrücke verschwimmen“ heißt es kurz darauf – genau so liest sich dieser Roman. Blunck hat einen Sinn für Schauplätze, auch für Tempo, keine Atempause, Prosa wird gemacht. Aber er will nicht wirklich was erzählen, sondern es bloß krachen lassen, was auf Dauer nur ermüdet. Auch die Anekdoten aus dem Pop-Leben von Blunkc/Schröder haben weder Farbe noch gewinnen sie Fahrt: nicht die Eindrücke aus der Hacienda in Manchester, nicht die Erlebnisse mit Rappern wie Kurtis Blow in New York, nicht die Schlägerei mit den Oasis-Brüdern, das gemeinsame Pinkeln mit dem Sänger der Buzzcocks, Pete Shelley, oder die Hemden der Palais-Schamburg-Bandmitglieder bügelnden Depeche-Mode-Musiker. Sex und Drogen, wie gesagt, das ist Schröders Obsession, bis zum Erbrechen.

Und selbst wenn Bluncks Held hie und da Züge eines polternden Schelms trägt, eines Typen, der sich durchaus selbst auf die Schippe zu nehmen vermag: Er findet sich vor allem toll. Fragt sich: Wen soll das interessieren? Wer noch nie was von Palais Schaumburg gehört hat, (die hier übrigens Villa Hammerschmidt heißen, ach, wie lustig), dürfte das Buch irgendwann entnervt in eine staubige CD-Kiste schmeißen. Eine klassische Musikerbiografie, ein Ausschnitt aus einer Zeit, in der die Jugend bewusst verschwendet wurde, wäre wohl besser und weniger langweilig geworden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false