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Weiß-Rot-Weiß. Beim Auftritt von Krambambulya wird die Fahne der Opposition geschwenkt.

© Nik Afanasjew

Konzert: Die weißrussische Rockband Krambambulya und das Lied der Freiheit

Die weißrussische Opposition muss für ihre Konzerte ins litauische Vilnius ausweichen. Der KGB ist mit von der Partie. Für viele Fans ist es das erste Mal, dass sie sich in Freiheit fühlen und die weiß-rot-weiße Fahne schwenken.

Absurde politische Systeme verursachen absurde Begebenheiten. Die aus der Zeit gefallene Diktatur in Weißrussland hat dafür gesorgt, dass Mitarbeiter des KGB – der dort wirklich noch so heißt –, eine vor eben diesem Geheimdienst geflohene Journalistin, 700 weitere Weißrussen und der Botschafter eines EU-Landes das gleiche Rockkonzert in der litauischen Hauptstadt Vilnius besuchen. Weil Krambambulya auf der Schwarzen Liste von Diktator Alexander Lukaschenko steht, ist die Band für drei Auftritte nach Vilnius ausgewichen. Litauen hat kostenlose Visa für deren Fans ausgestellt. Es sind Nächte, in denen mehrere hundert Menschen – viele zum ersten Mal – das Gefühl genießen, sich frei bewegen, frei reden zu können.

Mit der 50 Einträge starken Liste sollen kritische Künstler von den Bühnen und Leinwänden Weißrusslands und damit nach Gusto des Diktators aus den Köpfen der Menschen verbannt werden. Neben lokalen Kunstschaffenden finden sich dort Hollywoodstars wie Kevin Spacey und Jude Law. Der Briten Law war mit dem Porträt von Natallia Radzina durch London gezogen, um gegen deren Verhaftung zu demonstrieren: jene geflohene Journalistin, die zum Konzert gekommen ist, „weil ich mich in Vilnius zum ersten Mal seit 14 Jahren sicher fühle“. Law hat die Aktion damit erklärt, dass seine Schwester den gleichen Namen trägt. Heute Freiheit für eine Natallia, Freiheit für alle gewissermaßen.

Die Welt schaut nach Osteuropa, wo sich die Ukraine im Vorfeld der Europameisterschaft 2012 durch den Fall Timoschenko ins Abseits manövriert. Im benachbarten Weißrussland soll 2014 die Eishockey-Weltmeisterschaft ausgetragen werden. Dabei ist Alexander Lukaschenko die brutalere Version des ukrainischen Machthabers Wiktor Janukowitsch. Wie brutal das weißrussische Regime ist, das weiß Natallia Radzina wie kaum ein anderer Fan an diesem Konzertabend. Als Chefredakteurin des oppositionellen Nachrichtenportals charter97.org saß sie sechs Wochen in Haft. „Die Gefängnisse in Weißrussland haben sich seit Stalin nicht verändert“, erzählt sie. Nachts seien Männer in Schwarz in die Zelle gestürmt, an Schlaf war nicht zu denken, weil nebenan gefoltert wurde. „Dann wurde unser Herausgeber erhängt in seinem Haus gefunden, offiziell war es Selbstmord“, sagt Radzina.

Als ihre Seite mit Klagen überhäuft und gehackt wurde, folgte der Umzug ins benachbarte Litauen. Radzina selbst floh, ohne Papiere, über Russland in den baltischen Staat. „Ich wohne hier nicht, ich arbeite hier nur“, sagt sie trotzig, wohl wissend, dass sie vielleicht nie mehr zurück kann. Sie nimmt einen tiefen Zug von ihrer Zigarette, als im Konzertsaal Krambambulya-Frontsänger Ljevon Volski das Lied „Absinth“ mit den Worten ankündigt: „Das hier ist für eine mutige Frau, die sich nicht den Mund verbieten lässt!“ Radzina erklärt: „Ich habe Ljevon erzählt, wie ich dieses Lied einmal von draußen aus der Zelle gehört hatte. Das hat mir Hoffnung gegeben.“

Hoffnung – die wollen an diesem Abend viele junge Weißrussen zurück in ihr Leben schreien. Krambambulya ist eine Mischung aus Rock, Ska und etwas Punk, in jedem Fall aber auch „Opposition in Concert!“, brüllt ein begeisterter Fan. Überall schwenken Menschen die Weiß-Rot-Weiße-Fahne, die auf eine nur kurze Zeit nach dem Ersten Weltkrieg existierende weißrussische Republik zurückgeht und heute das Symbol der Opposition ist. Auch Sänger Volski hat sie im Kleinformat an sein Mikrofon geheftet. Mittags, als er die Fahne in der Innenstadt von Vilnius gekauft hat, musste er sich von der alten Verkäuferin anhören, dass es die falsche sei. Die richtige wäre doch die grün-weiße, die von Lukaschenko eben. Eine zahnlose Babuschka kam hinzu: „Geht zum Teufel mit dieser verfluchten Demokratie! Euer Lukaschenko ist ein guter Mann, Ordnung macht er!“ Nicht überall in Litauen stößt der Ansturm der weißrussischen Demokraten auf Zustimmung.

Während Krambambulya – die Band hat sich nach einem mittelalterlichen Schnaps benannt – schon eine Stunde spielen, macht im Saal die Nachricht die Runde, dass einige hundert Fans an der Grenze festhängen, manche seit über 18 Stunden. Hektisch rennt der Veranstalter hin und her, überlegt, wie ein Stream oder zumindest eine Radioübertragung an die Grenze hinzukriegen ist, aber die Technik spielt nicht mit. Am Ende werden ungefähr 100 Zuschauer das Konzert verpasst haben. Edminas Bogdanas, der litauische Botschafter in Weißrussland, verzieht das Gesicht. „Das ist ärgerlich. Wir haben alles getan, damit das klappt. Alle Konzertbesucher haben ein Fünf-Tage-Visum. Leider ist Weißrussland eine geschlossene Gesellschaft.“ Er selbst ist erst vor wenigen Tagen offiziell wieder im Dienst in Minsk, wie andere EU-Botschafter auch, die vorher aus Protest gegen die Inhaftierung Oppositioneller aus Weißrussland in ihre Heimatländer zurückbeordert wurden. Gegen die Schikanen an der Grenze kann auch Bogdanas nichts ausrichten. „Unsere Länder sind geschichtlich verbunden, Weißrussland gehört nach Europa“, sagt er nur.

Den meisten Fans sind historische Verbindungen an diesem Abend egal, sie sind „wegen der Musik gekommen und der freien Visa“, sagen Jurij und Sergej. Die beiden Studenten stammen aus dem Süden Weißrusslands, jener Gegend, die durch das Atomunglück von Tschernobyl verseucht ist. Um Krambambulya zu sehen, riskieren sie einen Rauswurf von der Universität, die Reisen zu Oppositionsveranstaltungen nicht toleriert. Dazu schlafen sie illegal in einem Zelt am Rand von Vilnius, Hotelzimmer sind zu teuer. „Die Stagnation nervt. In Weißrussland ändern sich höchstens die Preise, und das zum Negativen", sagt Jurij. Beide waren vorher noch nie im Ausland.

Das Gefühl, im eigenen Land eingesperrt zu sein, nagt an den jungen Weißrussen. Gefragt nach ihren Hoffnungen, antworten die meisten zynisch. „Es wird besser, wenn der Diktator tot ist, also in 20 Jahren“, lautet eine der optimistischeren Antworten. Viele wollen nichts sagen und verweisen auf die anwesenden schwarz gekleideten Männer. „KGB“, flüstern die Fans. Selbst im Ausland, sogar in der EU, lässt sie die Krake nicht los.

Krambambulya-Sänger Volski nutzt statt der drei gefürchteten Buchstaben das Synonym „dunkle Kräfte“. Diese hätten Konzerte von ihm verhindert, als es noch keine Schwarze Liste gab, erzählt der dürre Mann mit dem spitzbübischen Lächeln nach dem Konzert. Volski ist 46 Jahre alt und sieht eher wie ein übernächtigter 30-Jähriger aus. „Wir wollen kreativ mit unserem Auftrittsverbot umgehen, und nicht ins Depressive verfallen“, sagt er. Volski ist der bekannteste Musiker seines Landes. Seine frühere Band N.R.M. gab einer ganzen Protestgeneration gegen Lukaschenko seinen Namen. „Wir wollen nicht alles politisieren, die Leute sollen bei den Konzerten auch Spaß haben“, sagt der Musiker und wendet sich wieder seiner Band zu. Sie reden Weißrussisch, die Sprache der Opposition, weil der verhasste Diktator Russisch spricht. Alles Tun in Weißrussland orientiert sich an Lukaschenko. Das ist keine Autokratie mehr, sondern eine totalitäre Diktatur“, sagt Volski.

Am Ende stürmen Krambambulya noch einmal auf die Bühne und spielen „Drei Schildkröten“, ein Lied über Stagnation und Apathie, in Weißrussland seit vielen Jahren die Hymne der Opposition. Selbst die größten Zyniker springen jetzt mit ihren Fahnen so hoch, als sei die Freiheit im Konzertsaal an der Decke angeheftet. Die einzigen, die starr wie Statuen aus einem anderen Jahrhundert verharren, sind die KGB-Leute. Ihre Betonmienen, inmitten eines zu Tränen rührenden Taumels: Das wirkt einfach nur absurd.

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