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Künstler betäubt sich in Ausstellungs-Video: Bisschen Äther gefällig?

Der Berliner Künstler Christophe Keller betäubt sich in einem Video seiner Ausstellung mit Äther und berauscht sich an der Frage nach dem Nichts.

Äther ist ein echter Räuber. Den Iren stahl er im 19. Jahrhundert die Gesundheit, weil sie ihn mit Wasser mischten und statt des teuren Alkohols tranken. Und in Krankenhäusern raubte er noch vor wenigen Jahrzehnten Patienten das Bewusstsein, bevor sie in den OP gerollt wurden. Betäubung bis zur Willenlosigkeit.

Der renommierte, in Berlin lebende Künstler Christoph Keller will eine ganze Menge und müsste darum eigentlich hellwach bleiben. Stattdessen betäubt er sich in dem Video seiner Ausstellung „Small Survey on Nothingness“ – der kleinen Umfrage zum Nichts – selbst mit dem Zeug. Was etwas kompliziert ist, denn der mehrminütige Film in der Schering-Stiftung (Unter den Linden 32–34, bis 4. Oktober) zeigt, wie sehr der Körper gegen diese Wattebausch-Attacke von Ethanol und Schwefelsäure rebelliert.

Vor seinem Rausch hat Keller noch ein paar Wissenschaftler befragen können. Zum selben Thema, aber in etwas anderer Gestalt: In der Physik galt Äther lange Zeit als substanzielles Element des Universums. 1881 startete der spätere Nobelpreisträger Albert A. Michelson in Potsdam ein Experiment, um die Existenz des Äthers nachzuweisen. Es misslang. Als Folge wurde der Begriff aus der Wissenschaft verbannt. Man überließ ihn Esoterikern, die fröhlich Farben und Astralkörper in den Äther fantasierten. Oder Künstlern wie jetzt Keller, dem es während seines narkotischen Selbstversuchs vermutlich ähnlich ging. Dafür beweist er inhalierend, dass Flüssiges, Flüchtiges, Farbloses sehr wohl Einfluss auf den Körper nimmt. Während die Wissenschaft ein echtes Problem hat, weil ihr die schöne Metapher für das Nichts abhanden gekommen ist.

Das Nichts im Vakuum

Wie also über etwas sprechen, das jenseits des Erfassbaren liegt? Ersatzweise reden die Mathematiker, Physiker oder Philosophen in Kellers zweitem Video mit Händen und Füßen. Sie konstruieren Bilder oder formulieren Paradoxe, denen man staunend folgt, ohne sie zu begreifen. Dass es das Nichts im Vakuum nicht gibt, erklärt ein Mathematiker. Ein anderer, dass auch die Null stets abhängig von ihrem Kontext ist und also nicht nicht existieren könne. Auch das Higgs-Feld als Modell der Teilchenphysik trägt begrenzt zum Verständnis des Laien bei. Am ehesten noch der Philosoph Detlef Thiel, der den Äther bis in die Antike zurückverfolgt hat und zu einem vernünftigen Ergebnis kommt: „Der Äther ist die Bedingung für die Möglichkeit von Erfahrung.“

Na bitte, das ist exakt, was Christoph Keller in seiner Ausstellung praktiziert. Er atmet Äther ein, um mögliche Erfahrungen zu machen. Die Flasche mit der Flüssigkeit hat er übrigens auf einem Sockel zurückgelassen. Für alle, die sich ebenfalls ein bisschen ätherisch fühlen möchten.

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