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Spuk auf der Spielwiese. Berlin lockt Künstler und Investoren an. Der Spreepark im Plänterwald soll versteigert werden.

© Kitty Kleist-Heinrich

Kulturpolitik in Berlin: Zukunft zu verkaufen

Die Kluft zwischen Künstlern und Politikern in der Stadt wird immer größer. Steigende Mieten und schwindende Räume setzen den Freien zu: ein Rundgang durch die Szene.

Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt hat einen großen Zukunftsentwurf ausgebrütet: „Berlin 2030“. Wirtschaft, Wohnen und Verkehr stehen auf der Agenda, auch Sport und Gesundheit. Bloß die Kultur kommt in den ersten Planspielen kaum vor (siehe unsere Serie „Berlin 2030“ vom 6. Juni). Und wenn, dann nur „in Stadtmarketingfloskeln“, wie Leonie Baumann, Rektorin der Kunsthochschule Weißensee und Sprecherin des Rates für die Künste, feststellt. Ist ja noch kein fertiges Konzept, heißt es dazu aus dem Ressort von Senator Michael Müller.

Nein, es ist ein Zeichen, kontert die Gegenseite. Dafür, wie wenig zusammenhängend und nachhaltig Kultur in dieser Stadt gedacht wird. Weswegen der Rat für die Künste kürzlich seine eigene Berlin-Vision aufgelegt hat. Überschrieben: „Großbaustelle mit schlechter Prognose“. Eine Mängelliste, die von gekürzten Förderprogrammen bis zu fehlgehender Liegenschaftspolitik reicht. Und die zu dem nicht ganz unpolemischen Schluss gelangt: „2030 ist es vorbei mit Berlins regem Kulturleben.“

Es soll vorkommen, dass Politiker und Künstler verschiedener Ansicht sind. Aber der Fall zeugt von einer gewachsenen Gereiztheit. Weil es längst um grundsätzlichere Forderungen geht als die Etaterhöhung einer freien Spielstätte hier oder die Schaffung eines Ateliers dort. Zur Debatte steht in den Augen vieler Kulturschaffender, ob das Zukunfts-Berlin noch Freiräume für den künstlerischen Wildwuchs bieten will. Oder lieber in aufpolierte Fassaden für den Tross der Reisebusse investiert. „Die Weichen werden jetzt gestellt“, ist Radialsystem-Gründer Jochen Sandig überzeugt. Das sieht Christophe Knoch, Sprecher der Koalition der Freien Szene, genauso.

Hier wird auch ein Kampf um knappe Kassen geführt. Zumal die Beratungen über den kommenden Doppelhaushalt anstehen und allein die Tariferhöhungen für die Opern 15 Millionen Euro verschlingen werden. Und jetzt drohen auch noch Mittel aus dem Länderfinanzausgleich wegzufallen, weil Berliner weniger Einwohner hat als geglaubt. Woher das Geld nehmen?

Das Stichwort der Stunde lautet hier: City Tax. Diese Bettensteuer für Touristen sollte ursprünglich zum 1. Juli eingeführt werden. Ein Termin, der nicht zu halten war. „Ist das Absicht, um das Vorhaben ein für allemal zu beerdigen?“, fragt sich die grüne Kulturpolitikerin Sabine Bangert. Jetzt kursiert als neues Datum der 1. Januar 2014. Seit langem lautet die Forderung verschiedener Initiativen, mindestens 50 Prozent der potenziellen Einnahmen der freien Szene zugute kommen zu lassen. Weil sich ihr schließlich zu großen Teilen das verkaufsfördernde Image Berlins als coolste Kapitale Europas verdanke.

Finanzsenator Ulrich Nußbaum möchte die Hälfte der erhofften Millionen in Kultur und „tourismusnahe Zwecke“ investieren. Ein wunderbar dehnbarer Begriff. Darunter lässt sich auch die Schaffung von Parkplätzen in Marzahn fassen, wo mit den Gärten der Welt eine Touristenattraktion blüht. Selbst im Falle des Frischgeldsegens dürfte wenig bei den freien Künstlern ankommen. Brigitte Lange, kulturpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, könnte sich vorstellen „die Fördertöpfe für die freie Szene aufzustocken“. Und ihr CDU-Kollege Stefan Schlede wäre bereit, über einen Eigenmittelfonds nachzudenken, wie ihn auch der Rat für die Künste fordert. Das war’s.

Derweil laufen in der Berliner Realität die Relationen aus dem Ruder. 50 Prozent der City-Tax-Einnahmen, das wären nach vorsichtiger Schätzung zehn Millionen Euro. 20 Millionen kostet der still vor sich hin leuchtende Flughafen BER. Im Monat. Für 270 Millionen soll die zentrale Landesbibliothek gebaut werden. Die Renovierung der Staatsoper verschlingt 296 Millionen Euro. Mindestens. Wolfgang Brauer, kulturpolitischer Sprecher der Linken, berichtet mit grimmigem Humor, wie den Parlamentariern dramatische Kämpfe gegen das Grundwasser auf der Baustelle geschildert würden. Ihn erinnert das „an einen Lieblingsroman der SED-Führung, ,Wie der Stahl gehärtet wurde‘, eine Geschichte aus dem russischen Bürgerkrieg“. Darin stemmten sich auch die tapferen Komsomolzen gegen die Fluten.

Stefan Schlede zählt dagegen mit Verve die kulturellen Verdienste Berlins auf. Und die Ausgaben. 366 Millionen Euro für den Kulturhaushalt 2013. Er spricht von 100 neuen Ateliers, die für 500 000 Euro angesetzt wurden. Er schlägt den Bogen von den freien Bühnen über die Opernhäuser zu den Galerien und landet beim Vorzeigeprojekt „Zerstörte Vielfalt“. „Da kann man doch nicht so tun“, schnaubt Schlede, „als starteten wir in eine kulturelle Wüste.“

„Die unzufriedenen Künstler“ – von diesem Bild müsse man dringend Abstand nehmen, fordern Judith Raum und Heidi Sill von der Initiative „Haben und Brauchen“. Die Aktionsgruppe hat sich im Nachklang der Querelen um Klaus Wowereits überambitionierte Kunstleistungsschau „Based in Berlin“ gegründet. Auf politischer Seite, so Raum, herrsche generell das Denken vor, dass Kunst einzig zum Zwecke des Verkaufs produziert werde. „Haben und Brauchen“ überlegt indes, wie weit der künstlerische Arbeitsbegriff gefasst werden kann. Da fehlt die gemeinsame Basis. Entsprechend schief läuft die Kommunikation.

Als Fanal gilt in der Szene die Konferenz K2 vom vergangenen November, für 50 000 Euro initiiert von der Senatskulturverwaltung. Teilnehmer auf Künstlerseite beschreiben ein missglücktes Speed-Dating, bei dem sich der erhoffte Partner als bizarrer Autist erwiesen hat. Kulturschaffende, Marketingmenschen und andere einander Fremde wurden zwei Tage lang in Arbeitsgruppen gesteckt, um sich Gedanken zu machen, wie Berlin in fünf Jahren aussehen könnte. In welcher Schublade anschließend die Ergebnisse verschwunden sind, weiß niemand genau.

Es wächst die Kluft zwischen jenen, die sich wie Jochen Sandig einen „Masterplan“ für die Kultur wünschen, und einer Politik, die sich vielfach im Tempo der Kontinentaldrift bewegt. Bislang ging das gut. Die Haltung war: Wandert ein Künstler ab, kommt eine Busladung nach. Schließt eine altgediente Einrichtung wie das Tacheles, schießen anderswo fünf neue aus dem Boden. Aber das ist kein Naturgesetz. Christophe Knoch beschreibt einen Wandel, der in der Szene eingesetzt habe: „Vermehrt kommen Künstler mit Stipendien oder Geld von den Eltern ausgestattet, die sich für zwei, drei Jahre in Berlin ansiedeln und die Stadt als Kulisse für ihr individuelles Schaffen benutzen.“ Ist ja nicht verboten. Aber darüber schwindet der Boden für einen gemeinsamen Diskurs. Und die Mieten steigen kontinuierlich. Was nütze das schönste Atelierprogramm, wenn im Innenstadtbereich keine Räume mehr zu finden seien, die Künstler noch bezahlen können, fragt Leonie Baumann in ihrem Büro in Weißensee.

Nicht nur der Rat für die Künste fordert ein Umdenken in der Liegenschaftspolitik Berlins – die Abkehr vom Prinzip, Immobilien nach dem Meistbieterprinzip zu verhökern. So wie es beim Beispiel Blumengroßmarkt unter dem Label „Checkpoint Art“ geschehen sollte. Zwar gibt es inzwischen eine Reihe von Orten, die Hoffnung machen, wie das Weddinger Areal ExRotaprint, das in ein genossenschaftliches Stiftungsmodell überführt wurde. Aber zahlreicher sind die Brennpunkte mit ungewisser Zukunft: vom Industriegelände Alte Münze bis zu den Brachen am Spreeufer. Seit dem vergangenen Jahr tagt immerhin regelmäßig ein runder Tisch im Abgeordnetenhaus, an dem fraktionsübergreifend und öffentlich über die Neuausrichtung der Liegenschaftspolitik diskutiert wird. Florian Schmidt, Mitbegründer der Initiative „Stadt Neudenken“, regt ein Gedankenspiel an: „Stellen Sie sich vor, jeder Investor, der in Berlin neu baut, hätte die Verpflichtung, nur fünf Prozent seiner Fläche für die Kultur zur Verfügung zu stellen.“

Warum nicht in großen Dimensionen denken? Wenn es schon die Politik nicht tut. Besonders Kultursenator Wowereit wird in der Szene als der große Abwesende empfunden, auf dessen Schreibtisch sich die unbeantworteten Briefe stapeln. Eine Abordnung der freien Szene hat erst kürzlich das Hoffest des Regierenden geentert, um sich Gehör zu verschaffen. Was nur der Auftakt zu einer Reihe von Protestaktionen sein soll.

Kaum einer aber glaubt, dass Berlin das neue London oder Paris werden könnte; eine gründlich durchgentrifizierte, unerschwingliche Shopping-City. Schon weil die Spree-Metropole kein Bankenstandort ist, sondern als Kapital vor allem Kultur und Bildung hat.

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