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Verdammnis und ewige Liebe. 1854 malte Ary Scheffer die Episode von „Paolo und Francesca im Wirbelsturm“ aus Dantes Göttlicher Komödie.

© Hamburger Kunsthalle

Kunst: Höllische Gnade

Hexen, Gnome, böser Eros: Das Frankfurter Städel steigt in die „Schwarze Romantik“ hinab und zeigt, wie sich in Werken von Goya bis Max Ernst der "delightful horror" breitmacht.

Der Grusel ist herrlich: blanker Wahn, irre Blicke, letzte Küsse vor dem Aus. Im Frankfurter Städel tobt sich aufgewühltes Seelenleben aus, als gäbe es kein Morgen. Nicht weniger als den „Weltuntergang“ (1836-39) beschwört der Brite Samuel Colman in seinem apokalyptischen Gemälde. Architrave krachen runter, Gebäude stürzen ein. Die Erde schickt Feuer, der Himmel Blitz und Donner, das Meer verschlingt die Stadt. Hollywoods Endspieler haben hier ihren Meister gefunden – anderthalb Jahrhunderte bevor der Film dieses universale Drama entdeckte und zum eigenen Genre erhob.

Doch die Frankfurter Schau bremst scharf ab, bevor sie sich der gegenwärtigen Lust am finalen Verhängnis hingibt. „Schwarze Romantik. Von Goya bis Max Ernst“ lautet der Ausstellungstitel. Bis ins Jahr 1948 reicht der 200 Werke umfassende Furor und nicht weiter. Den „delightful horror“, jener lustvolle Schauder aus sicherer Entfernung, wie ihn der irische Philosoph Edward Burke in seiner Schrift „Philosophische Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen“ bereits 1757 beschrieb, gibt es also schon sehr viel früher – nicht erst seit Roland Emmerichs Leinwandspektakeln. In Frankfurt interessiert vor allem die Herkunft dieser Faszination für gewaltsame Darstellungen in der Malerei: ihre Anfänge aus dem Geist der Romantik, ihre Speisung als eine Gegenbewegung zur reinen Vernunft und ihre Tragfähigkeit als künstlerisches Konzept bis hin zu den Surrealisten.

Die Ingredienzien dieses sublimen Vergnügens sind immer die gleichen: das Wilde, das Wahnhafte, die dunkle Seite, jene geheimnisvoll archaische Lust an Gewalt. Das Urbild schuf Johann Heinrich Füssli, der Schweizer Wahl-Londoner, mit seinem „Nachtmahr“, das den Ausstellungsbesucher programmatisch als Erstes begrüßt. Der wie tot hingegossenen Schönen in weißem Nachtgewand, deren Oberkörper schlaff über dem Bettrand hängt, sitzt ein spitzohriger Dämon auf dem Solarplexus. Dazu steckt ein wildes Pferd mit schnaubenden Nüstern und aufgerissenen Augen seinen Kopf durch einen Vorhang. Das Publikum war „shocked“, als Füssli seine erste Version 1782 in der Jahresausstellung der Londoner Royal Academy zeigte, sensiblere Gemüter wurden eigens vor der Betrachtung gewarnt.

Bis heute besitzt das Bild eine magische Anziehungskraft durch die unverhohlene Darstellung von Eros, Angst, nächtlicher Gelüste. In der Verfilmung von Mary Shelleys Horrorklassiker „Frankenstein“ von 1931 hinterlässt das Monster die ohnmächtige Schöne in ihrem Schlafgemach in der gleichen Pose wie auf Füsslis Bild: mit willenlos ausgestreckten Armen und hängenden Blondhaar. Und noch ein anderes emblematisches Motiv aus der Malerei fand Eingang in den berühmten Gruselfilm. Der verschraubte kantige Kopf von Boris Karloff als Frankenstein-Geschöpf stammt aus den Caprichos von Goya.

Neben den irrwitzigen Gemälden Füsslis, seinen Flüche aussendenden Hexen, den dem Wahn verfallenen Frauen, den wie antike Helden muskelbepackten Bösewichten, ist der spanische Maler die andere große Figur dieser Ausstellung. Sein Radierzyklus „Die Schrecken des Krieges“, die grauenvolle Darstellung von Kannibalen, die bestialische Gewalt gegen Frauen bescheren noch immer Schauder, aber nicht der lustvollen Art. Die realistischen Details verstören viel zu sehr.

Das Grauen überspringt Raum und Zeit. Goya, der Visionär des Schreckens, war 1808 Zeuge der Gemetzel napoleonischer Soldaten geworden und sah nun mit eigenen Augen, was vorher noch Fantasiegebilde waren. Zehn Jahre zuvor schienen solche Szenen kaum vorstellbar. „Der Flug der Hexen“ (1797/98) aus dem Prado erscheint noch spielerisch leicht. Das im Nachthimmel schwebende Trio mit seinen spitzen Hüten wirkt wie eine mystische Erscheinung, zwischen sich tragen die drei Hexen eine leblose, nackte Gestalt. Unter ihnen, auf der Erde, rennt ein Mann vorbei, der ein weißes Tuch über seinen Kopf gezogen hat.

Was veranlasste die Künstler dazu, genau dieses Tuch zu lüften, das Abgründige zu offenbaren? Wo war das Lichte, Helle der Aufklärung geblieben? Die Maler, Dichter – Seismografen ihrer Zeit – reagierten mit ihren Werken auf die zerstörerischen Nachwehen der Revolution, die zerbröckelnden staatlichen Strukturen, eine Gesellschaft im Zerfall. Die Romantiker hatten ihnen den Weg ins Reich der dunklen Fantasie gewiesen. Baudelaire gehörte zu den Ersten, der erkannte, welche Kraft ihre Weltsicht auch für die Zukunft barg: „Die Romantik ist eine Gnade, eine himmlische und höllische Gnade, die uns mit ewigen Stigmata gezeichnet hat.“ Romantik als Geisteshaltung verstanden, erweitert den Rahmen auch für das Ausstellungskonzept, so dass neben Goya und Füssli der Franzose Delacroix als Eckpfeiler dazugehört. Von ihm stammt die nur wenige Zentimeter große Ölskizze „Hexensabbat“ (1832-33), in deren braun-blaues Farbgeschliere mit Fingern und Pinselstiel die tanzenden Figuren eingewischt, -gekratzt sind.

Hexen, Gnome, böse Geister – wohin man schaut. Goethes „Faust“, Shakespeares „Macbeth“, die Märchenwelt der Brüder Grimm lieferten den Malern die geeigneten Motive. Wie schwankend die sichtbare Welt war, zeigt sich am stärksten bei den Romantikern selbst. Caspar David Friedrichs Friedhöfe, nächtliche Schiffe mit vollen Segeln, geöffnete Gräber geben eine Ahnung davon, wie gefährlich nahe die dunkle Seite des Mondes ist. Bei Max Ernst versinkt die ganze Welt in einer amorphen, quellenden Masse, als wär’s ein schlechter Traum. Das Bild selbst ist zum Alb geworden.

Städelsches Kunstinstitut, Frankfurt/Main, bis 20. 1.; Katalog 34,90 €.

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