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Schwarz und Weiß. Jonathan Frantini realisierte eine Fotoserie für die „MiArt“ 2019.

© Jonathan Frantini, MiArt

Kunst und Design: Kunstmesse „MiArt“ bringt Mailand in Eventmodus

185 Galerien zeigen auf der „MiArt“ Werke von der Moderne bis zur aktuellen Avantgarde. Dabei profitiert die Messe von weiteren tollen Events in der Stadt.

Was macht Wolf Vostell in Mailand? Man muss schon sehr überlegen, wann und wo man zuletzt einer Arbeit des Berliner Künstlers im Rahmen einer Messe begegnet ist – und selbst dann will einem keine einfallen. Gedanklich sperrig, kritisch, provokant: Dieser Dreiklang wirkt abschreckend auf den Kunstmarkt. Welcher private Sammler holt sich schon handfeste Kommentare zu Holocaust oder Vietnamkrieg ins Haus?

Doch dann hängen da 30 blattgroße Boxen von Vostell aus den frühen siebziger Jahren auf der MiArt, der Mailänder Kunstmesse. Die Galerie Cardi (London/Mailand) hat sie mitgebracht. Der Zyklus „Calatayud“ – benannt nach einer Stadt, in der im Mittelalter jüdische Pogrome stattfanden – war lange in Mailänder Privatbesitz. Nun bietet sie die Galerie zu einem ungenannten Preis zwischen Arbeiten von Mimmo Paladino und Michelangelo Pistoletto an, und allein diese Nachbarschaft verdeutlicht das Renommee des hierzulande unterschätzten Avantgardisten zwischen Italiens künstlerischen Heroen. Messen sind vor allem Geschäft. Aber manchmal hilft ihr Besuch auch, Dinge aus einer anderen Perspektive zu sehen.

Bewährte Namen stark vertreten

Gewohntes relativiert sich, auch im Fall von Heiner Wemhöner. Seit Jahren sucht der Sammler aus Herford in Berlin nach einem Domizil für seine Kunst. In Mailand hatte man ihn eingeladen, zehn Tage lang den lässig heruntergekommenen Palazzo Dugnani zu nutzen. „Hypervisuality“ versammelte großartige Videos von Isaac Julien, Julian Rosefeldt oder Yang Fudong unter barocken Fresken. Eine Ausstellung, die sicher nicht allein der Kunst dient, sondern auch zeigt, dass man sehr wohl flüchtige Medien erwerben und präsentieren kann. Eine Option für die Zukunft: Auf der MiArt sind solche Genres derzeit noch unterrepräsentiert.

Die Messe bildet ab, was im reichen Norden des Landes geht. Henri Matisse, Pablo Picasso, Giorgio de Chirico oder Franz Kline, solche Namen tauchen im Programm der renommierten Galerie D'Arte Maggiore G.A.M. auf. Dazu gesellt sich die italienische Avantgarde vergangener Jahrzehnte: Alberto Burri, Emilio Vedova und Lucio Fontana, dessen geschlitzte Leinwände schnell über zwei Millionen Euro kosten.

Der Kunsthandel mit den bewährten Namen ist seit Gründung der MiArt 1996 stark vertreten. Selbst wenn ein Direktor wie Alessandro Rabottini nun mehr Galerien mit individueller Künstlerliste auf die Messe lockt, bleiben die klassische Moderne und Etabliertes aus den Sechzigern ein starker Akzent. Die MiArt mit ihren 185 Galerien aus 18 Ländern macht daraus ein Konzept: In der Sektion „Generations“ stellt sie maßgebliche Kunst etwa von Piero Dorazio (Galerie Tega) oder Birgit Jürgenssen (Galerie Hubert Winter) vergleichbaren jungen Positionen gegenüber. „Decades“ versammelt zentrale Künstler vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart und breitet ihr Werk sorgfältig aus, statt die Kojen mit einem möglichst breiten Angebot rein auf Verkauf zu trimmen.

Auch die großen Mailänder Stiftungen beeindrucken mit Ausstellungen

Messe-Chef Rabottini, ein Kurator mit Museumserfahrung, weist zugleich auf die starke Verknüpfung Mailands mit den Themen Mode und Design hin. Tatsächlich schließt jedes Jahr unmittelbar an die Milano Art Week noch die Design Week an – und nicht wenige Besucher der MiArt bleiben gleich noch für die wichtige Möbelmesse. Es lohnt sich. Allein was die Stiftungen verschiedener Unternehmen hier realisieren, hinterlässt Eindruck. So hat die Fondazione Nicola Trussardi den Documenta-Künstler Ibrahim Mahama eingeladen, die alten Stadttore mit seinen monumentalen Überwürfen aus alten Kaffe- und Kakaosäcken zu verhüllen. Die Fondazione Carriero zeigt bis in den Juli die erste Retrospektive der Brasilianerin Lygia Pape in Italien, während im Hangar Bicocca – einer Folge riesiger Ausstellungshallen in der Hand von Pirelli – die beeindruckende Rauminstallation von Sheela Gowda zu sehen ist (bis 21.7.). In der ehemaligen Eismanufaktur Frigoriferi Milanesi sponsert Dior die Ausstellung „The Unexpected Subject“ über die feministische Kunst Italiens der späten siebziger Jahre (bis 26.5.). Und natürlich reiht sich auch die Fondazione Prada mit neuen filmischen Arbeiten von Lizzie Fitch und Ryan Trecartin ein.

Diese Einbettung begründet den Erfolg der MiArt. Sie sorgt für den verlässlichen Auftrieb in jedem Frühjahr und trägt die regionale Messe, deren Anziehungskraft – trotz vieler Highlights – nicht allein aus dem Angebot rühren kann. Eben weil die Stadt sich ebenso mit Mode und Design schmückt, sieht man in den Kojen mitunter viel Dekoratives. Und doch zeigt sich an der MiArt, was eine bürgerlich geprägte Stadt kulturell zu leisten vermag.

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