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Kultur: Kunstprojekt im Reichstag: Mutterboden fürs Parlament

Nicht gerade tollpatschig, aber ziemlich ungeübt: So sieht es aus, wenn der Bundestagsabgeordnete Detlef Dzembritzki (SPD) einen Spaten nimmt und ihn in die Erde rammt. Donnerstagvormittag.

Nicht gerade tollpatschig, aber ziemlich ungeübt: So sieht es aus, wenn der Bundestagsabgeordnete Detlef Dzembritzki (SPD) einen Spaten nimmt und ihn in die Erde rammt. Donnerstagvormittag. Eine Wiese am Diakoniezentrum in Heiligensee. Der ehemalige Bezirksbürgermeister von Reinickendorf ist an der Keilerstraße erschienen, um im Heimatbezirk Erde für das Kunstprojekt im nördlichen Lichthof des Reichstags einzusacken. Und zwar handgreiflich, mit Spaten und Jutesack.

Vielleicht liegt es auch an dem nagelneuen Spaten, dass Dzembritzkis Rumgesteche in der Heiligenseer Erde so künstlich erscheint. Die Zuschauer stört das nicht. Viele ältere Bewohner sind erschienen, dazu Mitarbeiter und die Bewohner von "Lebensraum 1", einer Wohnstätte für geistig behinderte Erwachsene. "Ich habe mich erst während der Diskussion im Bundestag dafür entschieden", sagt Dzembritzki. Ein Glück auch, das Ergebnis war mit 260 Ja-Stimmen und 258 Nein-Stimmen denkbar knapp. Anders gesagt: Wäre Dzembritzki nicht an die Seite von Hans Haacke getreten, hätte der Künstler villeicht so lange warten können wie Christo von der ersten Skizze bis zur Reichstagsverhüllung. Ob es dann überhaupt etwas geworden wäre mit dem Erdtrog und der Widmung "Der Bevölkerung", ist eine offene Frage. Warum Dzembritzki für Haacke gestimmt hat, sagt er nicht. Er murmelt etwas von "der Idee der Gesamtverantwortung". Dann verrät er, welcher Herkunft der Reinickendorfer Mutterboden sein muss, der mit in den parlamentarischen Trog darf: Revierförsterei Tegel, Europaschule, Dorf Lübars, Domenicusstift, Humboldt-Krankenhaus, Mauerstreifen und russischer Friedhof.

"Das ist aber schöner Boden", sagt Detlef Dzembritzki, lässt eine letzte Schippe Erde mit ein bisschen Gras in den Sack pladdern, und schon geht es zurück in Richtung Auto. "Ist der Spatenstich schon vorbei", fragt eine alte Dame vergeblich ins Motorengeräusch hinein. Doch Dzembritzki ist längst unterwegs zur Europaschule, seiner nächsten Grabungsstation.

Michael Brunner

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