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Kultur: Kunstprojekt: Kritik statt Kohle

"Es kommt der Tag, da wird die Säge sägen!" Das geflügelte Wort des 80er-Jahre-Kultfilms "Jede Menge Kohle" war für die Kumpel bereits Realität: Fortschritt und Ökonomie sägten munter am Ast montaner Existenzen.

"Es kommt der Tag, da wird die Säge sägen!" Das geflügelte Wort des 80er-Jahre-Kultfilms "Jede Menge Kohle" war für die Kumpel bereits Realität: Fortschritt und Ökonomie sägten munter am Ast montaner Existenzen. Der Strukturwandel, wie das euphemistisch heißt, prägt die Region bis heute. Erst seit wenigen Jahren werden ihre rauen Schätze mit Stolz gewürdigt. Das Ruhrgebiet wandelt sich zum Kulturgebiet. Kurator Florian Waldvogel, bekannt für außergewöhnliche Projekte an der Kunst-Peripherie und Kasper Königs Assistent für Epo-Kunst in Hannover, will mit seinem neuesten Unternehmen "Kokerei Zollverein. Zeitgenössische Kunst und Kritik" jedoch mehr, als nur museale Plattform für Stadtmarketing bieten. Ähnlich wie Industriebrachen neue Überlebensgebiete für seltene Flora und Fauna bilden, soll auch die Kokerei des Bauhaus-Architekten Fritz Schupp zum künstlerischen Biotop heranwachsen.

Gleich am Eingang des Industrie-Denkmals verweist eine Schrifttafel von Angela Bulloch auf das Konzept. Mit markanten Handlungsanweisungen zieht die kanadischen Künstlerin gegen ökologische Probleme ins Feld und regt Besucher zum Eingreifen an - oder wenigstens zum Nachdenken. Was bisweilen an Agitprop-Kunst der 60er Jahre erinnert, könnte sich durch die Einbeziehung der Region und ihrer Bewohner zum Modellprojekt entwickeln und frischen Wind ins Betriebssystem Kunst wehen. Denn Waldvogel, unterstützt vom Berliner Kunstkritiker Marius Babias, setzt auf Integration statt Provokation, auf Vermittlung statt Belehrung.

So glich denn der Ausstellungsauftakt "Arbeit. Essen. Angst" keiner üblichen Vernissage: fünf Kunstprojekte, ein zünftiges Richtfest und die Eröffnung der Badesaison wurden gefeiert. Dazu gehörte auch das "Werksschwimmbad" von Dirk Paschke und Daniel Milohnic, für das das Frankfurter Künstler-Duo zwei Übersee-Container zu einer überzeugenden Außenskulptur und einem funktionalen Pool zusammenschweißte. Zwei verglaste Öffnungen rhythmisieren den rostroten Stahl durch gleißend blaues Farb- und Lichtspiel. Womit sonst Billigkohle aus Südafrika nach Deutschland importiert wird, geben Fenster nun den Blick frei auf im Wasser gleitende Körper.

Zwei Vorhänge suchen einen Kurator

In unmittelbarer Nähe zum arrivierten Design-Zentrum und dem "Palast der Projekte", den Ilya Kabakov Ende Juni im Salzlager der Kokerei eröffnet, gelingt hier eine unprätentiöse Vernetzung künstlerischer und sozialer Aspekte. Sebastian Stöhrer bietet über den Sommer eine "Kochwerkstatt" an, Christine und Irene Hohenbüchler laden Kinder zum Bau eines Hüttendorfs ein, und John Ahearn gießt Skulpturen gemeinsam mit ehemaligen Kokereiarbeitern.

Die Widerspiegelung regionaler Aspekte lässt ausgerechnet Maria Eichhorn vermissen. Die Berliner Konzept-Künstlerin, nicht zuletzt durch ihr Projekt mit der Belegschaft einer Versicherung für den Kokerei-Ansatz prädestiniert, vollendete hier eine 1989 konzipierte Serie. "Zwei Vorhänge suchen einen Kurator" könnte man frei nach Pirandello vermuten; denn gegen die natürliche Präsenz der ehemaligen Kohlen-Bunker wirken die Vorhänge museal und spiegeln als "Sinnbild der Verschränkung von Theorie und Praxis" die Schwachstellen des Projekts.

So geriet der erste Theoriepart zur gewohnten Nabelschau. Im "Disko-Raum", wo man mit workstation und Bibliothek Kommunikation und Kritik anstrebt, ging die Veranstaltung seminarhaft und eher kommunikationsfeindlich über die Bühne. Angelika Nollert, Mitglied im Team der Documenta XI, setzte mit Anleihen an die Documenta und die Münsteraner "Skulptur.Projekte" zudem die Messlatte für die Kokerei in kühne Höhen. Wenn zur zweiten Etappe Matthias Flügge, Vizepräsident der Berliner Akademie der Künste, und der Ruhrgebiets-Literat Max von der Grün den "Bitterfelder Weg" debattieren, könnte es lebendiger werden. Die ehemaligen Kumpel werden kaum scharenweise "zur Feder greifen", wie es Walter Ulbricht 1959 postulierte, aber vielleicht mischen sie sich dann ein.

Man kann dem jungen Team nur wünschen, dass es gegen die Hochkonjunktur der Mega-Events weiterhin eine "Kunst in homöopathischen Dosen" setzt. Über fünf Jahre kann der hehre Anspruch, Kunst und Politik mit neuen Inhalten zu füllen, in ein eigenes Profil umgesetzt werden. Im September, wenn die erste Ausstellungsstaffel mit 24 Kunstprojekten komplett ist, wird eine erste kritische Bilanz zu ziehen sein.

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