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Bettlektüre. Sarah (Doria Tillier) und Victor (Nicolas Bedos)

© Temperclayfilm

Komödie „Die Poesie der Liebe“: Küss mich, Großmaul!

Die Geschichte eines Künstlerpaares: Nicolas Bedos' Regiedebüt „Die Poesie der Liebe“ ist der Familienfilm zum Heiligen Abend.

Wir feiern gleich wieder das Fest einer Personengruppe, die dadurch definiert ist, dass die Abstände zwischen den Mitgliedern denkbar gering sind, ja fast nicht vorhanden. Euphemisten sprechen auch von Intimität oder Familie. Und manchmal müssen die Beteiligten dann bis ans Ende der Welt auseinandergehen, andere finden sich immer wieder. Wie Monsieur und Madame Adelman. „Die Poesie der Liebe“ ist in diesem Jahr der Familienfilm zum Heiligen Abend. Der Titel dürfte robustere Nervensysteme eher abschrecken, für andere scheint er ein Versprechen zu sein. Ein falsches allerdings.

Poesie kommt von poiesis, von Machen, von Erschaffen also. Und was beim Erschaffen der Liebe herauskommt, hat mit ihr selber oft nicht mehr viel zu tun. Nicht einmal Gott hatte eine glückliche Hand, als er den Menschen schuf, was sein Großkritiker Kant in dem Satz zusammenfasste, der Mensch sei aus so krummem Holz geschnitzt, dass niemals etwas Gerades daraus werden könne.

So wie im Fall von Sarah und Victor Adelman. Ihre Geschichte beginnt mit Victors Begräbnis. Die Gäste reden ein wenig zu laut für den Anlass, offenbar hat niemand mit diesem Todesfall gerechnet. Die Rede hält François Mitterrands früherer Kulturminister Jacques Lang, denn der Tote war ein großer Schriftsteller des Landes. Er zählte also zu der Personengruppe, die man „Söhne Frankreichs“ nennt.

Eine einzige lebenslange Rückblende

Adelman gab Mitterrand die Schuld an der Grundverfehlung seines Lebens, denn er hat das Ideal seiner Jugend – den Sozialismus – ruiniert. Insofern ist der trauerredende Jacques Lang eine erste wunderbar makabre postmortale Pointe. Die trauernde Witwe stellt eine schon fast befremdlich wirkende Gefasstheit unter Beweis. Und mit welcher Kühle sie den enthusiastischen jungen Mann empfängt, der eine Biografie ihres Mannes schreibt – „es gibt schon zu viele“ – und der nicht recht weiß, ob er den Schreibtisch des Toten nun berühren darf oder nicht. Sarah: „Er hat ihn nie benutzt.“ Aber sie wird jetzt diesen jungen Mann benutzen, um ihm die wahre Geschichte von Madame und Monsieur Adelman zu erzählen.

Das Schöne ist: „Die Poesie der Liebe“ gehört keineswegs in das nicht unbedingt erfreuliche Genre „Eine verbitterte Ehefrau rechnet ab“. Im Januar startet gleich die Parallelgeschichte mit Glenn Close und Jonathan Pryce, die im Original „The Wife“ heißt, deutsch leider „Die Frau des Nobelpreisträgers“. Statt des Nobelpreises hat Victor Adelman immer nur den Prix Goncourt gewollt.

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Dieser Film ist eine einzige lebenslange Rückblende, und es gibt Menschen, auch Cineasten, die beginnen einzuschlafen, sobald sie das Wort Rückblende auch nur hören. Aber das wäre ganz falsch. Was wirklich Spaß macht an „Die Poesie der Liebe“, ist, wie er ein Gespräch zwischen den verschiedenen Zeiten beginnt. Die handelnden Personen reden über die Jahrzehnte hinweg miteinander, aus entlegenen Situationen heraus. Die besten Argumente fallen den Menschen immer danach ein. Und warum sollte man sich nicht posthum bei seinem Psychoanalytiker beschweren?

Es ist ein Tanz der Bilder und Perspektiven, das hat etwas wunderbar Virtuoses, immer wieder Überraschendes. Als der junge Biograf noch zögert, ob er Victor Adelmans Schreibtisch anfassen darf, da begegnen wir einem typischen Siebziger-Jahre-Geniegroßmaul, schon ziemlich betrunken, das nur ein Problem hat: Außer ihm weiß keiner, dass er ein Genie ist, schon gar nicht sein Verlag. Victor Adelman, der noch lange nicht so heißt. Die junge Sarah glaubt zwar auch nicht an den Stern dieses Mannes, zumindest nicht mehr, nachdem sie sein Manuskript las, aber sie weiß: Dieses Würstchen will ich!

Dieser Film ist zu voll

Der in Frankreich recht bekannte Autor Nicolas Bedos, der auch für Film und Theater schreibt, spielt den Autor Victor Adelman, der eher nicht für Film und Theater schreibt. Außerdem führt er zum ersten Mal Regie. Seine Frau Doria Tillier, im bürgerlichen Beruf meteorologische Berichterstatterin, ist auf überwältigende Weise seine Frau Sarah.

Sarah, die dem Mann ihrer Wahl erst den Unterschied zwischen einem missratenen und einem guten Satz erklärte, zwischen einem schlechten und einem guten Buch. Und hätte er je ohne sie gelernt, dass man eine Wendung wie „befreit vom Schnauzbart des Morgens“ am besten schon vergisst, bevor sie einem einfällt? Ja, dieser Film hat Witz und Tempo. Und dann entdeckt Victor das Judentum der Familie seiner Frau und weiß plötzlich, wer er ist: ein jüdischer Autor! Der Erfolg gibt ihm recht, sonst nichts.

Aberwitz ist immer überbordend, und doch: Dieser Film ist zu voll. Weniger ist mehr? Französische Komödien haben noch nie an diesen Spezialfall der Ökonomie geglaubt. Aber zuletzt ist es mit Filmen wie mit Menschen: Sie haben Fehler. Man muss sie mit ihren Fehlern mögen.

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