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Kultur: Landstraßenrand

Christoph Bouet in der Galerie Berlin

Da trägt einer dick auf, ganz dick. Als wolle er alle beschämen, die es vor ihm versucht haben. Eine Tube pro Strich, so ungefähr. Blauestes Blau. Und das Rot gleich daneben ist wie eine Kriegserklärung. Ein typischer Bouet-Baum ist ein Schlachtfeld. Aber eines von berückender Harmonie.

Baumstämme sind braun? Niemand, der ein Christoph-Bouet-Bild gesehen hat, würde das je wieder behaupten. Ja, vielleicht könnte er es nicht einmal mehr so sehen.Das Merkwürdigste, das Faszinierende an Bouets botanischen Bacchanalien aus dem Geist der Magdeburger Börde ist: Jeder Strich scheint absolut notwendig, an diese und nur an diese Stelle zu gehören. Mit den Farben ist es ebenso. Was für Arrangements aus Chaos und Notwendigkeit! Wer ist dieser Maler, der mit einer Selbstsicherheit, die ans Brutale grenzt, Welten erschafft, umschafft, als sei es das Nächstliegende?

Freundlich ist er, von großer Ruhe. Nicht laut wie die Bilder. Aber nein, auch seine Bilder sind ja nicht laut, sondern in all ihrem Aufruhr zugleich sehr leise. Als wüssten sie etwas vom Frieden des Schöpfungsmorgens. Egal wie: Menschen, die ihre schöpfungsmorgendlichen Schlachtfelder in sich selber tragen wie Bouet, sind oft von gewinnender Zurückhaltung und vor allem ohne Pose. Es gibt unter seinen Bildern solche, die ihn sofort glücklich machen, wenn er sie wieder ansieht, und solche, die ihn erst noch überzeugen müssen. Er traut es ihnen zu. Denn nicht selten ist ein Bild klüger als sein Maler.

Vor zehn Jahren zeigte die Galerie Berlin Bernhard Heisigs Ausstellung „Eine Malerfamilie“. Bouet kam, sah und wusste: Hier bin ich richtig. Er ging wieder, ohne etwas zu sagen. Damals lag sein Diplom an der Burg Giebichenstein in Halle genau ein Jahr zurück. Als der junge Maler während seines Zivildienstes Menschen manchmal bis in den Tod begleitete, konnte er keinen Pinsel halten. Aber das würde wiederkommen, er wusste es. Und es kam wieder, fast ohne Farben. So malte er Spanien: ein Dunkelland, mit plötzlichen Aufhellungen, Rötungen, brandigen Zukunftsrändern. Bouet steht zwischen seinen neuen Farbexplosionen – fast alle aus diesem Herbst – und sucht ein Wort für sein schwarzes Spanien und sein nicht viel helleres Südfrankreich: „Es waren … nein, nicht Kopf-, es waren Herzgeburten.“

Herzgeburten. Ein schönes Wort. Seine neuen Bilder sind es wohl auch noch immer, wenn man die Voraussetzung macht, dass da einer mit dem Herzen sieht. Und zwar ganz unmittelbar, ohne erst den Verstand zu befragen, ohne Vorbereitung, ohne Skizze.

In der Umgebung von Gommern bei Magdeburg können Autofahrer manchmal einen Mann am Straßenrand stehen sehen, den Oberkörper vorgebeugt, die Beine auseinander, die Arme, stark und schnell über dem Boden schwingend. Dazwischen immer wieder kurze Blicke nach oben. Nicht jedem scheint das unverdächtig. Manche halten auch an, etwa die Polizei.

„Was machen Sie da?“, will sie dann wissen, und irgendetwas an Bouets Auskunft, er male, scheint ihr jedes Mal unbefriedigend. Richtige Maler stehen nicht an Landstraßenrändern. Und benutzen richtige Maler nicht Staffeleien? Aber Bouets Bilder sind so groß, was für Staffeleien müsste er jedes Mal aufstellen! Und er mag dieses Arbeiten kopfüber, Leinwand auf Erde, das jähe Aufblicken in den Baumhimmel. Hoffentlich stimmt das Licht noch! Es sind Kraftakte. Andere malen, was sie wissen. Bouet malt, was er sieht. Er ist ein Maler des Nächstliegenden. Das ist für ihn der Weg nach Menz oder diese wunderbare Allee mit den Birnbäumen. Er weiß, dass die Dinge, die wirklich wichtig sind, auch in Gommern vorkommen. Oder auf dem Darß.

Es wird dunkel vor den großen Galeriefenstern in der Auguststraße. Aber die Bouet-Bäume lohen, die Fischerboote gehen schon im Hafen auf große Fahrt. Und die Steilküste des Darß scheint direkt ins Meer zu fallen.

Galerie Berlin, Auguststraße 19; bis 23. Dezember, Di–Sa 11–18 Uhr.

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