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Der Grunewald in Berlin.

© Paul Zinken/dpa

Lehren aus einem Sommer in der Hütte: Was den Wald ausmacht – und bedroht

Wolfgang Büscher probt in „Heimkehr“ das Leben im nordhessischen Wald seiner Heimat. Sein Buch ist eine Spurensuche über Natur und Familie geworden.

Der Sturm dauerte nur sechzig Sekunden, doch die Baumriesen im Wald mit ihren platten Wurzelfüßen hatten keine Chance, sie wurden einfach dahingemäht. Die großen Harvester-Maschinen hatten alle Mühe mit dem vielen Totholz. Und dann kam noch der Borkenkäfer, der sich den ganzen Rest nahm.

„In diesem Sommer starb der Wald unbetrauert von der Stadt“, schreibt Wolfgang Büscher in seinem Buch „Heimkehr“. Dieses Mal hat sich der wanderfreudige Autor nicht zu Fuß durch Deutschland oder die USA auf den Weg gemacht, sondern Büscher nistete ein halbes Jahr lang in einer Hütte im nordhessischen Wald, geduckt unter Fichten und Buchen und wo man den Nachfahren des Fürstenhauses noch mit „Durchlaucht“ anspricht. Skurril.

Nicht ein Mann ist ausgezogen, um die Welt auszumessen mit Siebenmeilenstiefeln, sondern der ehemalige Junge in Lederhosen ist zurückgekehrt in die Wälder, durch die er mit Gleichaltrigen streifte, „Halbfreie“ bis zur Abendbrotglocke. Nun ist die Mutter krank, zieht aus dem noch vom Großvater erbauten Haus, in dem Büscher aufgewachsen ist.

Bleiben will und kann er dort nicht, also schlüpft er in der Hütte unter. Kein fließendes Wasser, kein Strom, nur ein Feldbett und eine kleine Solarzelle, Überlebenstraining. Immerhin ein altes Auto, der ihn als Teil der Forstwirtschaft ausweist. Auch das hat ihm der Hüter des fürstlichen Waldes vermittelt, der Förster, mit dem Büscher sich anfreundet.

Dessen Frage, ob er jage, muss er verneinen. Büscher ist kein Jäger, eher ein Sammler. Er sammelt Erlebtes, Gehörtes und Gesehenes, unter die Haut Gegangenes. Kein Menschenfischer, eher einer, der Eindrücke hortet.

Der Erzähler sühnt als Eremit im Wald

An den Futterplätzen der Wildschweine etwa, die der Förster von den bäuerlichen Feldern fernzuhalten versucht durch kluge Überlistung. Auf dem Hochsitz, wo sich Mensch und Wild gegenseitig belauern.

Auf dem Bonifatiusweg und in den nahegelegenen Dörfern, die im religiösen Grenzland ihre Feste katholisch oder protestantisch ausleben. Eigentlich weiß der Waldgänger, dass man die Stätten der Vergangenheit nicht aufsuchen sollte.

[Wolfgang Büscher: Heimkehr. Rowohlt Verlag, Berlin 2020. 208 Seiten, 22 €.]

Mit dem Haus der Mutter verhält es sich anders, dort ist dinghaft konserviert, was der Wald längst geschluckt hat wie die selbst gebauten Hütten der Kinder. In der Schreibtischschublade seines Elternhauses findet der Erzähler die Erinnerungsstücke einer Zeit, in der der Jugendliche seinen Kompass längst ins Weite gerichtet hatte, mental und politisch.

In die große Stadt, in die schon seine Großmutter hatte gehen wollen, aber zurückgehalten wurde wie ihre Tochter. Den Pakt zwischen Alten und Jungen, dem damals niemand entkam, hatte erst der Erzähler gebrochen. Nun sühnt er als Eremit im Wald.

Man denkt hier in Jahrhunderten

Dieser Wald entwickelt sich in „Heimkehr“ zum eigentlichen erzählerischen Subjekt, samt seiner großen und winzigen Bewohner. Vor allem nachts, wenn es knackt und knistert und sich der Erzähler sorgt, ob eine Maus den aufgehängten Brotkorb erreicht. Oder Schlimmeres.

Dieser Wald, er ist ein „Verschwender“ und „Vitalist“, der trotz seiner Bedrängnis überbordend gibt. „Auf Überlebensstress antwortete er, schien es, mit umso größerer Lebensverschwendung.“

Doch er stirbt vor den Augen der Protagonisten, des Eigentümers, des Försters, des Erzählers. Die Schneisen des Sturms, der Trockenheit und des Käfers hinterlassen „räudige Felle, bräunlich gefleckt, halb kahl.“

Vom Frühjahr bis in den Herbst lebt Wolfgang Büscher „den uralten Zyklus“ mit, unterstützt Förster und Waldarbeiter, wandert die endlosen Pfade ab, begleitet die letzten Tage seiner Mutter und geht am Ende sogar mit auf die Jagd. Mit der Herbstkälte kommt der Abschied, und „es wäre gelogen zu sagen, ich wäre leicht gegangen.“

Diese erinnernde Spurensuche legt nicht nur frei, was den Wald zusammenhält und bedroht, sondern auch das Besondere des Landstrichs und seiner Menschen, das eng mit dem feudalen Erbe im Umkreis von Arolsen und Waldeck verbunden ist. „Man denkt hier in Jahrhunderten“, erklärt der Nachfahr. Das gilt für die Dynastie genauso wie für den Wald.

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