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Otto-Dix-Ausstellung in Dresden: Leid ohne Erlösung

Das Anti-Altarbild „Der Krieg“ von Otto Dix ist ein Schlüsselwerk des 20. Jahrhunderts. Hundert Jahre nach Beginn des Ersten Weltkriegs zeigt nun das Dresdner Albertinum das Triptychon – und präsentiert neue Fakten zur Entstehung.

Vize-Feldwebel war er zum Schluss, „planmäßig“ befördert am 8. Oktober 1918, einen Monat vor dem Beginn der Waffenstillstandsverhandlungen zwischen den Mittelmächten und der Entente. Am 31. Oktober nimmt er letztmalig an einer Schlacht teil, und am 22. Dezember wird Otto Dix in seine Heimatstadt Gera entlassen, auf den Tag genau vier Jahre und vier Monate, nachdem er als „Ersatz-Reservist“ eingezogen und zum Schützen am schweren Maschinengewehr ausgebildet worden war. Schon im November 1914 wird er, bereits Unteroffizier, mit dem Eisernen Kreuz 2. Klasse ausgezeichnet.

Otto Dix (1891–1969), einer der bedeutendsten deutschen Künstler des 20. Jahrhunderts, hat den Ersten Weltkrieg von Anfang bis Ende mitmachen müssen. Er wurde in gewisser Weise sein Lebensthema. Denn so oft er sich auch als Maler, als berühmter Professor an der Dresdner Akademie seit 1927, mit der Gegenwart beschäftigte, so sehr blieb er doch dem Kriegserlebnis verhaftet. Es ließ ihn nie mehr los, er habe „jahrelang, mindestens zehn Jahre lang immer diese Träume gehabt, in denen ich durch zertrümmerte Häuser kriechen musste“, bekannte er noch im Alter. 1915 notierte er im Tagebuch mit jener Drastik, die auch seine „veristischen“ Gemälde kennzeichnet: „Läuse, Ratten, Drahtverhau, Flöhe, Granaten, Bomben, Höhlen, Leichen, Blut, Schnaps, Mäuse, Katzen, Gase, Kanonen, Dreck, Kugeln, Mörser, Feuer, Stahl, das ist der Krieg, alles Teufelswerk.“

Die Aufzählung liest sich wie eine Bildbeschreibung des Triptychons „Der Krieg“, das Dix in seinem Dresdner Atelier zwischen 1929 und 1932 gemalt hat. Dix, von den Nationalsozialisten 1933 aus dem Lehramt gejagt, konnte sich am Bodensee buchstäblich aus der Schusslinie bringen, und sogar sein Dreiflügelbild konnte er über die NS-Zeit retten. Es war allerdings zuvor nur ein einziges Mal gezeigt worden und daher nicht so im Bewusstsein wie sein „Schützengraben“ von 1923, der in der Weimarer Republik enormen Skandal machte. Nach dem Krieg kam das Triptychon in Dresden zur Aufstellung, und 1968 erwarb es die Galerie Neue Meister endgültig für 500 000 West-Mark. „Es gehört nach Dresden“, hatte Dix stets erklärt.

Nun ist das Gemälde, das Dix als Summe seines Könnens angelegt hatte, hinsichtlich Entstehung und Technik gründlich untersucht worden. Im Ergebnis entstand die Ausstellung im Albertinum, „Otto Dix. Der Krieg – das Dresdner Triptychon“, die die Staatlichen Kunstsammlungen als ihren Beitrag zum Gedenkjahr 2014 ausrichten. Dix arbeitete während des Krieges intensiv. Als Unteroffizier musste er nicht Wache schieben und konnte während der mitunter langen Pausen zwischen den eigentlichen Kampfhandlungen im Unterstand festhalten, was er sah und erlebte. Mehr als 500 Blätter entstanden so, in Kreide, Grafit, Deckfarben, sogar Öl, aber jeweils auf Papier oder Pappe. In Formaten, die in den Tornister passten, um sie mitnehmen zu können. Bisweilen sind Einflüsse des Kubismus erkennbar; meist dann, wenn Dix die Gelegenheit hatte, neueste Kunst zu sehen oder etwas darüber zu erfahren.

Er selbst blieb im weitesten Sinne dem Realismus verbunden. Nach dem Krieg ging er wie Menzel in die Pathologie, um Gliedmaßen und Eingeweide zu malen, um die Farbigkeit der toten Materie zu studieren. Das waren Vorarbeiten für das große Gemälde „Schützengraben“ von 1923, das das Kölner Museum erwarb und nach Protesten wieder abgeben musste, das dann fünf Jahre später nach Dresden kam, von der Stadt erworben, und das folglich 1937 als „entartet“ beschlagnahmt und höchstwahrscheinlich zerstört wurde. In der jetzigen Ausstellung ist erstmals eine originalgroße Fotografie des lediglich in Schwarz-Weiß überlieferten Gemäldes zu sehen.

Otto Dix bewunderte die altdeutsche Malerei.

Verglichen mit dem „Schützengraben“ springt ins Auge, wie stark Dix beim folgenden, über vier mal zwei Meter messenden Triptychon die Fülle der Detailszenen reduziert, wie er die große Form gesucht und gefunden hat. Die Vorzeichnungen lassen diesen Reduktionsprozess erkennen, vor allem aber die bei der Durchleuchtung der Holztafeln zutage getretenen Übermalungen. Sie sind umso bemerkenswerter, als Dix in altmeisterlicher Lasurtechnik arbeitete, also mit feinen Schichten von Farbe, die den Untergrund durchschimmern lassen und sich gegen spontane Veränderungen sperren.

Dix bewunderte die altdeutsche Malerei, insbesondere Grünewald, und suchte ihre Technik für dieses sein Jahrhundertwerk zu übernehmen. In die Zeit des Schaffensprozesses fallen mit dem Erscheinen von Erich Maria Remarques Welterfolg „Im Westen nichts Neues“ im Jahr 1929 sowie dessen Verfilmung durch Lewis Milestone bereits im folgenden Jahr, wie auch dem gleichzeitigen Film „Westfront 1918“ von Georg Wilhelm Papst, wichtige Ereignisse für den Diskurs über den verlorenen Krieg. Gut zehn Jahre nach dessen Ende war die Zeit reif – allerdings auch für den ungezügelten Revanchismus der politischen Rechten. Dix benutzt Bildformeln wie den Gasmaskenträger oder die im Geäst hängende Leiche, die durch Fotografien jedermann geläufig waren. Insofern, und der vorzügliche Dresdner Katalog weist darauf hin, ist es falsch, dem Kriegs-Triptychon eine seinerzeit besonders verstörende Wirkung nachzusagen.

Dix verwendet zwar die jahrhundertealte Form des Dreiflügelbildes, das traditionell der Darstellung des christlichen Heilsgeschehens vorbehalten ist, aber im Sinne „einer fundamentalen Umwertung, ja Verkehrung der christlichen Heilslehre“, wie Olaf Peters schreibt, der gemeinsam mit Birgit Dalbajewa die Ausstellung konzipiert hat. Es handele sich „um die alltägliche, säkularisierte Passion des ,Frontschweins‘, des namenlosen, unbekannten Soldaten“. Das Bild „verschließt die Möglichkeit einer Erlösung“. Das dürfte die Stimmung einer Mehrheit in der Weimarer Republik getroffen haben. Ihr gegenüber standen die Verherrlicher soldatischen Heldentums, denen nicht zuletzt Ernst Jünger eine beredte Stimme gab.

Dresden, Albertinum, Georg-Treu-Platz, bis 13. Juli. Di–So 10–18 Uhr. Katalog im Sandstein Verlag (Dresden), 29,90 €.

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