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Inga Kerbers „Demoiselle dans les Plantes (Poses variés)“ aus dem Jahr 2020.

© Galerie Jarmuschek + Partner

Leipziger Künstlerinnen: Im Leben schweben

Die Leipziger Künstlerinnen Inga Kerber und Corinne von Lebusa in der Galerie Jarmuschek + Partner.

Wohl jede und jeder hat im Laufe der Pandemie ähnlich gedacht: „Wo nehmen wir eigentlich jeden Morgen den Entschluss her, aus dem Bett aufzustehen?“ Ein Seufzer, der Vilém Flussers Essay „Das Denken vom Bett aus bedacht“ einleitet.

Vom Bett aus betrachten kann man auch die aktuelle Ausstellung bei Jarmuschek+Partner. Per Videotelefonie bietet die Galerie einen Rundgang an, respektive einen Blick in „Dans mon lit“. Den Ausstellungstitel entlehnen Corinne von Lebusa und Inga Kerber einer kleinen Mischtechnik letzterer. Wie beiläufig hängt Kerbers Papierarbeit denn auch auf Betthöhe im Ausstellungsraum. „Dans mon lit“ steht da, in schwarzen Lettern auf rotem Grund. Verheißungsvoll und zugleich dem voyeuristischen Blick einen Riegel vorschiebend. Mehr noch einen Spiegel. Denn das Gros der Arbeiten der Leipziger Künstlerinnen verhandelt den Blick auf den weiblichen Körper. So ästhetisch verlockend ihre Darstellungen im ersten Moment erscheinen, so subtil und humorvoll, bisweilen hinterlistig breiten sie der Wahrnehmung Fettnäpfchen aus.

"Ach, sind Sie das?"

Verführerisch liegt sie da. Der Oberkörper nackt, Schambereich und Beine verschmelzen mit dem Bettüberwurf zu einer Art Nixenleib. Der Blick dabei so selbstbewusst wie der Titel der Zeichnung von Corinne von Lebusa: „I Love You – Muss Genügen“. Der Empfänger dieser Botschaft steht im Off. Langt mit einer Hand über die Bettkante, lugt durchs Schlüsselloch. Man fühlt sich ertappt bei den intimen Szenen der 1978 geborenen Künstlerin.

Gerne möchte man auch als Frau Mäuschen spielen, wenn ein Galeriebesucher (das generische Maskulinum steht hier exakt für das, was es ausdrückt) die Aktbilder mit der Künstlerin oder einer Mitarbeiterin betrachtet und wie selbstverständlich fragt: „Ach, sind Sie das?“

Kristian Jarmuschek schüttelt über solch zweifelhafte Komplimente amüsiert den Kopf. Wie unbedacht manch seiner Geschlechtsgenossen in diese wohlkomponiert subtilen Fallen stapft. Das Konzept der ehemaligen Neo- Rauch-Schülerin geht auf. Erotische Erzählungen, einladend und entlarvend zugleich. So harmlos schön, wie sie auf den ersten Blick wirken, sind sie nicht.

Irgendwo in diesen sinnlich aufgeladenen Fantasien aus dem Beziehungsalltag lauert der Bruch. Schon das dunkle Kolorit verleiht den virtuosen Kompositionen eine surreale Ebene. In der zwielichtigen Räumlichkeit ist es manchmal nur eine hochgezogene Augenbraue, die die Erzählung ins Kippen bringt. Aber auch die faszinierende Textur der Bildträger. Finn-Pappen, in die von Lebusa die Aquarellfarbe so lange einsickern lässt, bis unser Auge angesogen wird, unsere Hand ihre samtigen Oberflächen berühren möchte. Wie die Kindfrau, die von einem graublauen Wesen bedeckt wird. „Der Ausrutscher“ ist ein mannshohes Stofftier zwischen Katze und Krake. Wer hier auf wem ausrutscht, bleibt jedoch offen. Ebenso wer von diesem bizarren Paar in „Melted Man“ die Führung beim Tango übernimmt oder im Flüstergestus „Ohne dich ein Nichts“ gesteht.

Lust und Leidenschaft

Sinnliche Rutschgefahr auf dem Beziehungsparkett, typische Rollenmuster und Klischees. Samt und sonders überkommen. Überwunden sind sie nicht. Also nimmt Corinne von Lebusa Liebe, Lust und Leidenschaft ins Visier. Mit Akribie und Perfektion, mit Humor und jeder Menge Selbstironie. (Preise: 2200–5400 Euro)

Inga Kerber, die sich dem Klischee als Fotografin in seinen vielfältigen gesellschaftlichen wie auch fototechnischen Bedeutungen widmet, greift in ihren Zeichnungen (wie ebenfalls in den Fotografien) kunsthistorische Bezüge auf. In der Art der Figurenführung und mit bisweilen eingeschriebenen Gedanken erinnern Kerbers „Demoiselle dans les Plantes (Poses variés)“ an Zeichnungen und Illustrationen Niki de Saint Phalles. Während die perspektivisch verdrehten Körper und überdehnten Linien im Kubismus wurzeln und nicht zuletzt der Titel der Serie an Picassos „Les Demoiselles d'Avignon“ denken lässt.

"Ich hänge hier nur rum"

Das Bett als Lebens-, Liebes- und Rückzugswinkel versetzt die 1982 geborene Künstlerin vom intimen Raum in die Natur. Hier konzipiert sie den weiblichen Körper als Amalgam aus Schlangenmensch und Schlingpflanze. Gestaltet Figuren von arabesker Biegsamkeit, gerade so, als würden die Körper von den ornamentalen Strukturen geformt. Eine Technik, mit der Kerber neue, eigene Posen zur Disposition stellt – selbstbewusste Sehweisen von Sexualität. Das nackte Fleisch scheint in diesen Körpervariationen sowohl präsent als auch in den Hintergrund zu treten, Fragen um den Sexus trotz der eindeutigen Weiblichkeit fast ein wenig entrückt.

Die kubistische Demontage und deren perspektivische Simultaneität als Ausgangspunkt, lässt Kerber auf ihren Arbeiten (Preise: 800–1400 Euro) Wesen zwischen Land und Wasser wachsen. Frauenbilder von launiger Kreatürlichkeit, die einen irisierenden Rhythmus anstimmt. „Der Körper kann sich leidenschaftlich so winden, dass er sich selbst im Körper des anderen überwindet“, heißt es in Flussers Bettgedanken. Der komplette Titel von Kerbers Schriftbild übrigens lautet „Dans mon lit, j'écris“. Auch Corinne von Lebusas Replik darauf dürfte vielen Menschen zurzeit nicht fremd sein: „Ich hänge hier nur rum.“
Galerie Jarmuschek+Partner, Potsdamer Straße 81a; bis 17. April. Di–Sa, 11–18 Uhr. jarmuschek.de

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