zum Hauptinhalt

Kultur: Lichtorgel in Schwarz-Rot-Gold

Kaum ein Kultursektor ist so flüchtig wie das Berliner Nachtleben. Darum tauchen Clubs auch eher selten in Büchern auf.

Kaum ein Kultursektor ist so flüchtig wie das Berliner Nachtleben. Darum tauchen Clubs auch eher selten in Büchern auf. Die Gefahr ist einfach zu groß, dass sie schon bei Erscheinen antiquiert wirken würden. In seinem egomanischen Tagebuch „Der romantische Egoist“ (Ullstein Verlag) wälzt der französische Bestsellerautor Frédéric Beigbeder nun seine Theorie der „Clubbisierung der Welt“ aus. Würde man die Adressen sämtlicher darin erwähnter Clubs und In-Restaurants aneinander reihen, so hätte man einen prima Gastronomieführer. Nur nicht für Berlin. Denn die Berliner Clubs, die Beigbeder erwähnt, gibt es schon längst nicht mehr.

Den meisten Läden ist das auch gerade recht so. Man meidet Publizität, denn sie zieht unweigerlich Touristenströme nach sich, und in mittelbarer Folge kann sich der DJ nur noch mit „Lambada“ und „Mambo No. 5“ Gehör verschaffen. Nun trifft es das White Trash . In seiner Kampfschrift „Wir Deutschen“ (S. Fischer Verlag) landet „Spiegel“-Kulturchef Matthias Matussek auf Seite 72 in jener Berliner Erlebnisgastronomie und isst dort einen Cheeseburger. Das Kapitel ist überschrieben: „Eine Exkursion in die deutsche Seele, die zwangsläufig im ‚White Trash‘ in Berlin enden muss.“ Zwei Fragen drängen sich auf: Was macht die deutsche Seele ausgerechnet in einem Laden, der von Amerikanern geführt, von Kanadiern dekoriert und von italienischen und spanischen Austauschstudenten frequentiert wird? Und: Ist die Erwähnung des Clubs in einem Hardcover-Buch mit goldenem Lesebändchen nun sein Ende beziehungsweise der Beginn einer Existenz als Touristenstation mit Souvenirshop und Berlin-Partner-Siegel an der Tür? Nun, sollte sie tatsächlich im „White Trash“ wohnen, dann muss man sich um die deutsche Seele keine allzu großen Sorgen machen (schon eher um die deutsche Leber). Immerhin spielen dort (Schönhauser Allee 6) heute um 23 Uhr weder Rammstein noch die Arzgebirgischen Randfichten. Sondern Duke Fox & The Teenage Terror, eine neue Combo aus der Konkursmasse der Surf-Kapelle The Vampires.

Und wenn, angeregt durch Bestsellerlektüre und Debattenfeuilleton, der krawattentragende Teil der Deutschen auch mal einen vormaligen Szene-Club entdeckt, dann ist das ein ganz normaler Prozess, wie er überall auf der Welt geschieht. Es wird ohnehin Zeit, dass sich ein paar Clubs dem Establishment öffnen. Kurzlebige Episoden gibt es genug. Morgen feiert das Deep in der Bötzowbrauerei (Saarbrücker Str./Prenzlauer Allee) seine Abschiedsparty.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false