zum Hauptinhalt
Wer den ganzen Tag Holz hackt, hat einen guten Tag. Die österreichische Schriftstellerin Anna Weidenholzer, 32.

© Verlag

Anna Weidenholzers neuer Roman: Liebe ist wie der Giersch im Blumenbeet

Wenig Plot, viel Humor: Anna Weidenholzers Roman „Weshalb die Herren Seesterne tragen“ ergründet den Sinn im Unglück.

Oft motiviert einen ja gerade das Unglück, eine Situation zu verbessern oder zumindest die Verschlechterung eines Zustands aufzuhalten. Wird das Unglück jedoch überwältigend, droht Übermut – oder Lähmung. Was aber, wenn es die Grundierung eines Lebens ist? Pegelnull. Das Unglück als Konstante, von der man abweichen kann, aber nur so lange, bis es einen wieder zurücktreibt. Verdrängt man es? Begrüßt man es vielleicht?

Karl Hellmann, pensionierter Lehrer und Protagonist des zweiten, „Weshalb die Herren Seesterne tragen“ betitelten Romans von Anna Weidenholzer, will verstehen, woher es kommt, dieses langsame, dauerhaft anklopfende, nie aber erschütternde Unglück. Deshalb packt er eines Tages heimlich seinen Koffer, sucht sich einen zufälligen Ort auf der Karte aus und fährt los. „Margit, mein Mädchen, es war so weit, ich musste weg von hier“, sagt er seiner Frau noch am selben Abend, knapp 500 Kilometer entfernt, am Telefon. Karl ist auf der Suche nach dem Glück, und weil er kein Teenager mehr ist, sucht er, wie er es als Akademiker gelernt hat: wissenschaftlich.

Inspiriert durch den König von Bhutan und dem dort 1972 zur Staatsdoktrin gemachten „Bruttonationalglück“ forscht er nach dem Glück, komplett mit Fragenkatalog und Randomisierung. Und weil Karl eher der nüchterne Typ ist, nimmt er das pathetische Wort vom Glück nicht in den Mund. Stattdessen sagt er: „Ich erhebe, wie es um unsere Gesellschaft steht.“ In einem österreichischen Gebirgsdorf angekommen, quartiert er sich in das Hotel Post ein und befragt am Abend die Wirtin. Auf seinem Katalog markiert er Antworten, Beobachtungen, Bewertungen. Wie zufrieden sind Sie mit ihrem Leben? Wie ernst nehmen Sie den Klimawandel? Kennen Sie die Namen Ihrer Urgroßeltern? So richtig Lust scheint die Wirtin aber nicht zu haben, und der erste Forschungsabend endet damit, dass die Wirtin Karl Tarotkarten legt. Am nächsten Tag befragt er erst einen Handwerker und nach und nach andere Dorfbewohner, die ihm skeptisch, dann aufgeschlossen und schließlich wieder skeptisch gegenüberstehen.

Wenig Plot, viel Humor

Und das war’s eigentlich schon. Viel mehr passiert nicht. Karl Hellmanns Suche nach der Zufriedenheit ist aber bisweilen so lustig, so voller überzeichneter, entrückter Figuren, dass ein dringlicherer Plot ablenken würde. Gerade die Bonmots, die bäuerlichen Besserwissereien, der floskelige Dorfschnack machen das Buch so unterhaltsam. „Hat man einen Tag lang Holz gemacht, kann er nicht schlecht gewesen sein“, sagt zum Beispiel der Handwerker. „Lache, wenn die Gäste lachen, ob die Backen davon schmerzen, spielt keine Rolle“, rät die Wirtin. Auf den ersten Seiten spielt sich ein buntes Kammerspiel im Hotel Post ab. Da werden Karten gelegt, Biere getrunken, gelästert und die Wirtin leitet aus der Heizungsnutzung ihrer Gäste ab, wieso die Welt, schneller als man denkt, zugrunde gehen wird. Aber je länger man liest, desto häufiger schleichen sich diese Momente ein, in denen die Plauderei nicht weniger abstrus ist.

„Der Eichelhäher ist der Polizist des Waldes, wie kommt er mit seinem schlechten Ruf zurecht“, fragt sich Karl beim Anblick der Bäume, „die Krähen statt Früchte tragen.“ Karl scheint immer weniger von der Sinnhaftigkeit seiner Forschung überzeugt. Er führt sie weiter, trotz Heimweh nach seiner Margit, aus einer Mischung aus Pflichtbewusstsein und Ausweglosigkeit. „Ich möchte mit der Vergangenheit abschließen“, sagt er am Telefon. „Schade“, so Margit, „da steckt so viel Arbeit drin.“ Der Erzähler wirkt, als säße er am Tisch, auf Augenhöhe, ohne sich beratschlagend oder erklärend einzubringen.

War auf der Longlist des Deutschen Buchpreises

Dass sie das kann, hat Anna Weidenholzer schon mit ihrem Debütroman „Der Winter tut den Fischen gut“ bewiesen. Darin begleitete sie eine arbeitslose Frau mittleren Alters, für die Konzeption führte sie Interviews mit Arbeitslosen. In „Weshalb die Herren Seesterne tragen“ steht mit Karl wieder eine Person mit viel Herz und Zeit, aber wenig Kontrolle im Zentrum. Die Faszination für diesen Außenseiter ist in ihrer Nüchternheit erfrischend. Weidenholzer erlaubt sich keine Sozialromantik und keinen Milieutourismus. Völlig zu Recht ist sie damit wie mit ihrem Debüt auf der Longlist des Deutschen Buchpreises gelandet.

Am Ende der Suche nach Zufriedenheit findet man vielleicht nur wieder das, womit man angefangen hat. Pegelnull. Egal wie weit man zeitweise abweicht. Und für Karl Hellmann wartet, trotz allen Unglücks, noch die Liebe. Vielleicht verhält es sich ja wie in einem von Margits und Karls hortikulturellen Parabeln: „Ja, die Kommunikation ist die Basis einer Beziehung, so wie die Wurzeln beim Baum, kappt man sie, fällt er um. Das weiß ich doch alles, Margit, aber die Liebe ist auch wie der Giersch im Blumenbeet, den bekommst du nicht einfach so weg, indem du ihn ausreißt.“

Anna Weidenholzer: Weshalb die Herren Seesterne tragen. Roman. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2016. 192 Seiten, 20 €.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false