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Zwischen Zugspitze und Karwendel: der Bariton Christian Gerhaher auf Schloss Elmau.

© Nikolaj Lund

Liederwoche auf Schloss Elmau: Lob der kleinen Dinge

Sängergipfeltreffen in den Alpen: Christian Gerhaher und Pianist Gerold Huber gehen gemeinsam mit anderen Gesangsstars in ihrer dritten Elmauer Liederwoche über Grenzen.

Von Eleonore Büning

Kürzlich wurde Schloss Elmau, das dank der G7-Gipfel weltberühmte Paradies zwischen Zugspitze und Karwendel, zum besten Spa-Hotel Europas gewählt, vom Condé Nast Traveller Guide. Was sonst? Wer will, kann hier einsam seine Bahnen ziehen in einem der vielen Pools, mit nichts als Himmel und nochmals Himmel darüber. 

Dass hier außerdem auch jährlich bis zu 200 Konzerte und Kulturveranstaltungen stattfinden, ist eine Zugabe, die weniger bekannt ist. Die ausgezeichnete Akustik des Elmauer Konzertsaals hat sich zwar längst tief ins Gedächtnis der Musikbranche eingeschrieben, durch diverse Plattenaufnahmen. Trotzdem hört man ab und zu immer noch abfällige Bemerkungen wie „Ach, Elmau! Das ist was zum Abchillen für die Künstler!“ Was in etwa der Scherzfrage entspricht: „Was machen Musiker eigentlich tagsüber?“

Probate Antwort: Sie arbeiten. Der Bariton Christian Gerhaher und der Pianist Gerold Huber sind von früh bis nachts auf Trab in dieser dritten Liederwoche, die sie für die Elmau kuratiert haben. Gerhaher moderiert und rezitiert, wenn er nicht gerade Schuberts „Schwanengesang“ oder Hugo Wolfs „Abendbilder“ probt und singt.

Außerdem triezt er junge Sänger in öffentlichen Masterclasses. Huber probt und konzertiert nicht nur mit Gerhaher, auch mit fast allen Gastsängern. Zuerst: mit Franz-Josef Selig. Der wollte ursprünglich mal Organist werden, seine einmalig tiefe, runde, satte Opernstimme wollte es anders. Er wurde Sarastro, Gurnemanz, Arkel. Lieder singt Selig fast nie. Und wenn, dann nur mit Freund Huber. Es gibt bislang nur eine einzige Lied-CD von den beiden, sie handelt von Todesahnungsliedern. Der Gang hinunter, in die Schattenwelt, ist wie geschaffen für Bassisten. 

Der Bariton Christian Gerhaher (r) und der Pianist Gerold Huber kuratierten die dritte Elmauer Liederwoche.

© Nikolaj Lund/Schloss Elmau

Für Elmau haben die beiden diese Idee weiter verfolgt. Es geht diesmal um die düster-sarkastischen Sonette des Michelangelo Buonarotti. Huber spielt „Il Penseroso“ von Franz Liszt, der dazu inspiriert wurde von der Michelangelo-Figur auf dem Grabmal des Lorenzo di Medici. Gerhaher rezitiert. Dann singt Selig die Michelangelo-Suite von Dmitri Schostakowitsch, ein Spätwerk voller Stacheln, harter Schnitte, Reduktionen. Klavierzwischenspiele münden in Tonlosigkeit. Finaltöne verschwinden im Nichts. Choräle spuken vorbei. Kinderspielgeklingel, Hammerschläge im Klavier.

Das Timbre Seligs ist fast zu rund und schön für den bitteren Stoff. Die Besonnenheit, mit der er den Sinn von Text und Ton auslotet, hat eine Intensität, die unter die Haut geht. Hoffentlich entsteht daraus bald seine zweite Lieder-CD.

Anderntags wird es vergnügt und gemütlich, da ist Mörike-Tag. Der Literaturwissenschaftler Helmuth Kiesel erklärt, wie es dazu kam, dass ausgerechnet der lakonische Hugo Wolf den biedermeiernden Dichter Eduard Mörike für sich entdeckte. Und nicht nur für sich: Wolfs Lieder setzten diesen längst vergessenen Dichter noch mal ganz neu auf die Tagesordnung.

Wo er heute noch an erster Stelle steht, wie Gerhaher und Huber mit einer Kurpackung von Wolf-Mörike-Liedern beweisen, zusammen mit Julia Kleiter. Mit perfekt geführtem Engels-Sopran gestaltet Kleiter den Karfreitagszauber der „Karwoche“ und gleichermaßen das unzüchtige „Erste Mädchen-Liebeslied“ vom Aal und der Schlange. Mit haarfeinem Pinsel malt Huber die Textbilder aus, die Wolf dem Klavier anvertraut hat. Kleine Dinge zum Entzücken, große zum Erschrecken. 

Legendär: Das jüngste G7-Treffen auf Schloss Elmau fand 2022 statt.

© dpa/Michael Kappeler

Und Gerhaher? Er wirkt freier als sonst, fast aufgeknöpft, in diesem Wechselbad zwischen Idylle, Einkehr und Satire, vielleicht auch dank des Austauschs mit den Kollegen und dem spezifischen Elmauer Ambiente. Nicht nur ein Sängergipfeltreffen findet hier statt. Auch eine Hinterfragung dessen, was die zerbrechliche Gattung des romantischen Klavierlieds heute noch bedeutet. Gerhaher nennt es: „eine Inventur“. 

Den Auftakt macht Magdalena Kožená mit Debussy und Messiaen. Mit bewährtem All-Over-Mahler-Programm gastiert die Sopranistin Christiane Karg, strahlend gut gelaunt. Mit Schillers Bürgschaft, vertont von Schubert, erobert Shootingstar Konstantin Krimmel alle Herzen. Seine außergewöhnliche Baritonstimme wirkt wie ein Geheimnis, das sich selbst erklärt: mit natürlichem Schmelz, jung, klar und präzise.

Später in der Nacht, beim Song-Kehraus in der Bar von Schloss Elmau, begleitet sich Krimmel dann selbst am Flügel. Er brilliert mit „Die kleine Kneipe“ von Peter Alexander. Huber entzückt mit „Der guate, alte Franz“ von Georg Kreisler. Gerhaher dagegen, der ernste Liedguru, Meister aller Klassen, surft einmal quer durch Schnulzen und Evergreens von Dean Martin, Gershwin und Paolo Conte: eine Weltpremiere. Und spottet, in koketter Selbstzerknirschung: „Wir wollten hier mal was machen, was wir nicht können.“ 

Schwanengesänge: Christian Gerhaher (r.) und der Pianist Gerold Huber im Elmauer Konzertsaal, der für seine Akustik geschätzt wird.

© Nikolaj Lund/Schloss Elmau

Das Beste indes blieb auf der Elmau diesmal nicht die Grenzüberschreitung zur leichten Muse, sondern die in die Gegenwart. Christian Gerhaher diskutiert mit dem österreichischen Schriftsteller Händl Klaus über die Entstehung der Oper „Lunea“, in der er selbst die Hauptrolle sang, bei der Uraufführung in Zürich vor vier Jahren. Die Worte dieses Werks stammen von dem Dichter Nikolaus Lenau, das Libretto schrieb Händl Klaus, die Musik Heinz Holliger. Huber ergänzt das mit drei sekundenkurzen Spuk- und Nachtstücken für Klavier von Holliger, und begleitet Gerhaher dann durch Holligers Liederzyklus „Lunea“, die eigentliche Keimzelle zur Oper. Das sind keine Lieder mehr. Vielmehr die kurzen, bösen Aphorismen eines Sterbenden, der das Leben liebte. Und es jetzt hasst. Bis zum letzten Glockenschlag.

Im Lied, dem Reich der kleinen, großen Dinge, zwischen Leben und Sterben, mag man der Welt zwar immer wieder neu abhanden kommen. Aber man kann auch aufs Glatteis geraten. Das erfuhr die junge, preisgekrönte Operndiva Vera-Lotte Boecker in ihrem ersten Liedrecital. Als Lulu in Wien viel bewundert, wirkt ihre Lesart der sieben frühen Lieder von Alban Berg laut und angestrengt. Auch die fünf Schumann-Lieder singt sie opernhaft. Doch dann, mit George Crumbs Zyklus „Apparition“, nach Texten von Walt Whitman, kommt sie zu sich und zur Sache. Und noch einmal zog damit einundzwanzigstes Jahrhundert, ja, beinahe Gegenwart ein in diese fulminante Woche.

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