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Literatur: Die Grenzen der Selbstliebe

Hier wird viel geräumt und viel in der Schwebe gehalten. Menschen retten: Reinhard Kaiser-Mühleckers Roman "Wiedersehen in Fiumicino".

Knapp 12 000 Kilometer liegen zwischen Österreich und Argentinien, und diese Distanz, vermutet man zunächst, liege auch zwischen den ersten beiden Romanen Reinhard Kaiser-Mühleckers und seinem neuen Werk „Wiedersehen in Fiumicino“. Spielten „Der lange Gang über die Stationen“ und „Magdalenaberg“ auf dem österreichischen Land, in einem bäuerlichen, beengten Milieu, so geht der neue Roman hinaus in die Fremde, nach Argentinien – wo es auch schon einen frühen Helden von Arnold Stadler hingetrieben hat. Stadler hat sich stark für die Bücher des jungen Österreichers Kaiser-Mühlecker eingesetzt; er steht nicht zuletzt auch Pate für diese Form der verlorenen, unkitschigen Heimatliteratur, die besessen ist von den Details des alltäglichen, dörflichen Lebens, von den Abstoßungsbewegungen von der Herkunft und den Anziehungskräften, die sie gleichwohl besitzt. Die Sätze zielen hinaus ins Offene, aber wie von einem unsichtbaren Band gezogen werden sie doch immer wieder an den Ursprung zurückgeholt. Sie haben einen Rhythmus, der demjenigen bedächtig erscheinen muss, der sich nicht für die Rhythmen der Natur interessiert, nicht für das langsame Verzweifeln, nicht für das von stärkeren Reizen unabgelenkte, unbedingte Alleinsein. Die Wörter werden zuweilen aus einer anderen Zeit in die Gegenwart hinübergeholt, die zwar unsere ist, aber doch durch die Sprache Kaiser-Mühleckers ganz fremd.

Nun also Argentinien, nun also greifbare Weltzugewandtheit, gar ein Aufbruch? Ja. Und nein. Das Erzählen Kaiser-Mühleckers ist zwar variantenreicher, es sind mehrere Stimmen, die erklingen, man spürt den Wunsch, viele kleine Geschichten zu einem Panorama zu verbinden. Aber Kaiser-Mühleckers Hauptfigur Joseph kann auch hier nicht aus seiner Haut. Joseph ist Agrarwissenschaftler, tätig für eine Nichtregierungs-Institution, die sich mit Projekten zur Welternährung und Entwicklungspolitik beschäftigt. Er verlässt Wien, ohne seine Frau davon zu unterrichten, um in Buenos Aires weiterzuarbeiten. Joseph ist einer, der vielleicht von Melancholie heimgesucht wird, sie aber zu verdrängen versteht.

Er antwortet nicht auf die Mails seiner Gefährtin, bleibt über ein Jahr verschwunden. In Argentinien wird er von seinem alten Studienfreund Hans Kramer empfangen; es ist eine Freundschaft nicht ohne Spannungen. Hans kümmert sich um eine Unterkunft für Joseph, der wie ein Besucher durchs Leben zu gehen scheint. Joseph lernt den Arzt Augusto kennen, der seine reiche Rinderzüchterfamilie durch seinen Entschluss, in die Hauptstadt zu ziehen, vor den Kopf gestoßen hat. Und er verliebt sich in Savina, zumindest zieht er bei ihr ein, ohne sich ihr aber wirklich zu öffnen – Nähe entsteht nur, wenn Joseph es erlaubt. Auch diese Beziehung geht bald in die Brüche; Joseph entzieht sich einfach.

Aus verschiedenen Blickwinkeln, aus der Perspektive von Joseph, Hans, Augusto und Savina, wird dieses argentinische Jahr erzählt und letztere bemühen sich erfolglos, dem Denken und Handeln Josephs auf die Spur zu kommen. Eigentlich ist er ein Katalysator: Durch ihn, durch seine Undurchdringlichkeit, werden seine Freunde auf sich selbst zurückgeworfen, beginnen, sich mit ihrem eigenen Leben, den eigenen Verfehlungen und Wünschen auseinanderzusetzen. Es scheint eines so empathielosen Mediums zu bedürfen, um Vergessenes und Verdrängtes wieder heraufzubeschwören. Eines Tages verabschiedet sich Joseph, kehrt zurück nach Österreich, kauft sich in der Nähe seines Herkunftsortes einen Hof und zieht sich dorthin zurück. Ein Einsiedler, der mit seiner Arbeit die Welt verändern will. Ein Retter der Menschheit, der mit Menschen nicht viel anfangen kann. Man kennt diesen Solipsismus bei den Figuren Kaiser-Mühleckers.

Aber doch hat sich durch die Multiperspektivik in seinem Schreiben etwas Entscheidendes gewandelt: Waren seine Erzähler bisher ganz in sich gefangen und die Perspektive ganz auf sie gerichtet, so wird diese nun aufgerissen. Die Gefühlswelt Josephs wird facettenreicher, weil sie sich in jener der andern Figuren spiegelt. Die Hauptfigur gerät so auch unfasslicher, angreifbarer. Man erkennt lange nicht, mindestens auf den ersten 100 Seiten nicht, worin die Notwendigkeit dieses Buches besteht, die Notwendigkeit dieser Figur, von was sie angetrieben wird und warum sie tut, was sie tut.

Man hat zunächst den Eindruck, der Autor interessiere sich gar nicht für sie – sondern folgt einer Masche des Raunens, hält alles in der Schwebe. Aber dieses Gefühl verfliegt nach und nach. Der „manische“, „rastlose“ Held wird immer enger umkreist und bleibt gleichwohl erratisch. Auch hier ist es einer, der nicht recht kommunizieren kann, der sein Innerstes nicht nach außen kehrt, verschlossen, verdrossen einer Idee folgt, die vornehmlich für ihn selbst von Bedeutung ist.

In den meisten Beziehungen ist er fast ohne Talent zur Nähe, letztlich folgt er nur eigenen Impulsen. „Wir können andere nur lieben, lehren die Theologen, wenn wir, in einem gewissen Maß, uns selbst lieben, und die Neugier beginnt beim eigenen Ich“, zitiert Kaiser-Mühlecker als Motto Graham Greene. Mit der Selbstliebe ist es bei Joseph nicht weit her. Er betrachtet sich als einen, der sich „wegsperren“ müsse, „um nicht mehr zu verletzen, nicht mehr zu enttäuschen“. Er gesteht sich ein, nicht lieben zu können. Sein Rückzug gründet sich auf der „vergessensnahen Hoffnung“, die Gegenwart zu bewältigen. Das alles zeugt von Josephs tiefer Überzeugung, man verstünde nicht einmal jene, die einem am nächsten sind. „Tragisch, irgendwie.“

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