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Adriaan van Dis: Angeleint und losgelassen

Adriaan van Dis durchquert die Pariser Banlieue mit einem Hund. Er holt Afrika nach Europa, er zeigt uns die Welt der illegalen Einwanderer, die in unseren Städten ein Leben führen, von dem die Mehrheit nichts mitbekommt.

Mulder ist ein feiner, alleinstehender Herr mit einer Erbschaft, die es ihm erlaubt, in Paris zu wohnen. Eines Tages brennt in seinem Viertel ein besetztes Haus ab, es gibt Tote und Verletzte. Ein Hund entkommt den Flammen und springt ihn bellend an. „Gehört der Hund zu Ihnen“, fragt der Polizist, und der Holländer Mulder nennt bei der Vernehmung nicht nur spontan einen falschen französischen Namen. Er steht plötzlich auch als Retter des irgendwo aus Afrika stammenden Tiers da, das jeder im Viertel zu kennen scheint: der Priester der benachbarten Kirche, der Händler, der schwarze Straßenfeger. So beginnt Adriaan van Dis’ Roman „De Wandelaar“ (Der Spaziergänger), der auf Deutsch den Titel „Ein feiner Herr und ein armer Hund“ trägt.

Dieser Mulder ist ein Fremder in der Stadt, einer, der die Augen offen hält – etwa für den obdachlosen taubstummen Chinesen. Und der Hund erweitert seinen Blick. Er begleitet ihn auf Spaziergänge in die Vorstädte, zu den Migranten und Verlierern. Mulder taucht ein in eine Parallelgesellschaft und wird doch nicht mit ihr eins. Aber der Hund verändert alles. Die Polizei sucht den Besitzer des Hundes aus dem brennenden Haus. Auf der Wache wird Mulder mit den Arabern und Schwarzen konfrontiert, denen, gegen die „der kleine Minister“ polemisiert – das Original erschien 2007 zur Zeit der Unruhen in der Banlieue, als Innenminister Sarkozy mit harter Hand regierte.

Mulder versucht, diese Welt hinter der touristischen Kulisse zu verstehen, Freundschaft zu schließen, ja er verliebt sich in eine Frau aus Sri Lanka, aber letztlich bleibt er ein Wanderer zwischen den Welten. Van Dis, 1946 in Bergen an Zee geboren und auch in Deutschland seit Jahren ein viel geschätzter Autor, holt Afrika nach Europa, er zeigt uns die Welt der illegalen Einwanderer, die in unseren Städten ein Leben führen, von dem die Mehrheit nichts mitbekommt. Dank der Übersetzung von Marlene Müller-Haas bewahrt auch die deutsche Version den leichten Ton, denn dieser Roman ist keine knallharte Sozialreportage. Er vermittelt die Irritationen eines Bürgers, der eine Parallelwelt kennenlernt, helfend eingreift und am Ende doch alleine bleibt. „Ein Fremder, und dennoch Teil des Augenblicks. Dazugehören und nicht gesehen werden. Ein Ich, das sich danach sehnte, kein Ich zu sein. Ein Filmstar inkognito“, all das zu sein, erträumt sich Mulder am Ende. Man muss nicht lange nachdenken, um zu begreifen, wie unmöglich das ist. Rolf Brockschmidt

Adriaan van Dis: Ein feiner Herr und ein armer Hund. Roman. Aus dem Niederländischen von Marlene Müller-Haas. Hanser Verlag, München 2009. 239 S.. 17,90 €.

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