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Parkender Trabbi auf dem Ku'damm am 10. November 1989.

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Vereinigung von Ost- und West-Berlin: Am Anfang war Kühle

Macht in der Senatskanzlei: Norbert Kaczmarek beschreibt, wie die zwei Berlins zusammenwuchsen. Eine Rezension

Selten ist einem Autor eine so hintersinnige Unterzeile gelungen wie Norbert Kaczmarek. „Revolution ist, wenn die Verwaltung Überstunden macht“, nennt die langjährige graue Eminenz in der Berliner Senatskanzlei sein Buch über die Wiedervereinigung Berlins nach dem Mauerfall. Augenzwinkernd spielt er mit den gängigen Vorurteilen, setzt die große Umwälzung und die graue Amtsmaschine in Beziehung, um seine Geschichte an den Leser zu bringen: Sie handelt davon, wie die Verwaltung an dem schwierigen, wahrhaft revolutionären Prozess mitwirkte, aus den zwei Teilstädten wieder eine Stadt zu machen.

Kaczmarek ist prädestiniert dazu, den Blick auf diese halb verborgene Ebene des Geschehens zu öffnen: Er war als „Abteilungsleiter Politische Koordination“ in der Senatskanzlei nah am Zentrum der Macht, führte bei unendlich vielen Sitzungen des Senats das Protokoll und war in die wichtigsten Entscheidungsprozesse einbezogen. Der Gang des Vereinigungsprozesses, den West und Ost bald nach der Kommunalwahl in Ost-Berlin im Mai 1990 Schulter an Schulter und schließlich Arm in Arm vorantrieben, beförderte ihn außerdem in die Ost-Berliner Magistratskanzlei. So wurde er, in Amtshilfe, zum Dauerpendler zwischen den beiden Rathäusern und zum „Diener zweier Herren“, nämlich des West-Berliner Regierenden Bürgermeisters Walter Momper und des Ost-Berliner Oberbürgermeisters Tino Schwierzina: der Sache nach der administrative Wegbegleiter der entstehenden gemeinsamen Stadt.

Er beschreibt Tino Schwierzina voller Hochachtung

Dabei war die verwaltungsrechtliche Zusammenführung von Ost und West in der noch immer unter dem Viermächtestatus stehenden Stadt zwar schwierig genug, aber nur eine Seite der Vereinigung – bei aller politischen Relevanz eher etwas für Liebhaber des öffentliche Rechts. Während die Praxis sich als ein riesiges Puzzle von Kooperationen, Absprachen und der Suche nach Lösungen darstellte, auf die keiner vorbereitet war – ein Zustand, so Kaczmarek, „von Miteinander, Überkreuz und Parallel“. Am Anfang durchaus begleitet von Befangenheit: „Das Klima war eher kühl. Zurückhaltung schien angesagt“, erinnert er sich an die erste Sitzung, mit der West-Beamte und ihre Ost-Kollegen gemeinsam an die Arbeit gingen. Es dauerte seine Zeit, bis der Prozess in Gang kam, „an beide Hälften gleichzeitig zu denken, sich zu vergegenwärtigen, dass es nicht damit getan war, eine Lösung für den Ostteil zu finden, wenn sie nicht von Dauer sein würde, aber auch nicht im Westen etwas zu zementieren, was sich durch die Einheit für die ganze Stadt nicht bewähren und erhalten lassen würde“.

Das Zusammenwachsen der Stadt nimmt in Kaczmareks Nachzeichnung einen höchst konkreten Charakter an. Er reicht, immer wieder, ins Anekdotische – etwa wenn die West-Beamten dem entstehenden demokratischen Magistrat unter die Arme griffen, indem sie ihm zum Beispiel den Entwurf für die erste Tagesordnung lieferten. Andererseits wollte der Osten zwar die Vereinigung, aber auch seine Eigenständigkeit bewahren. Die exemplarische Verkörperung dieser Haltung sieht Kaczmarek in Tino Schwierzina, dem Ende Mai 1990 gewählten letzten Oberbürgermeister Ost-Berlins. Der Autor beschreibt ihn voller Hochachtung. Überhaupt ist er voller Anerkennung für die „Frauen und Männer aus den neuen und alten Parteien in der DDR, die sich meist nicht – oder jedenfalls nicht auf die im Westen übliche Art – danach gedrängt hatten, plötzlich in das Rampenlicht der Berliner Kommunalpolitik zu treten und dabei gelegentlich auch in die Scheinwerfer der Weltpolitik zu geraten“.

Norbert Kaczmarek: Wie zwei Berlins zusammenwuchsen. Revolution ist, wenn die Verwaltung Überstunden macht. Vergangenheitsverlag, Berlin 2015. 237 Seiten, 16,90 Euro
Norbert Kaczmarek: Wie zwei Berlins zusammenwuchsen. Revolution ist, wenn die Verwaltung Überstunden macht. Vergangenheitsverlag, Berlin 2015. 237 Seiten, 16,90 Euro

© Vergangenheitsverlag

In solcher Nahsicht ist das historische Ereignis des Vereinigungsprozesses bislang noch nicht beschrieben worden. Es macht den großen Vorgang, aber auch die Probleme, mit denen er zu ringen hatte, in neuer, instruktiver Weise sichtbar. Kaczmarek verschweigt auch nicht, dass die Politik damals – „im glücklichen November war’s“, paraphrasiert er Heines „Winterreise“ – keineswegs auf der Höhe der Zeit war. Vor allem der damals West-Berlin regierende rot-grüne Senat, insbesondere die Alternative Liste kapierte nicht, was die Stunde geschlagen hatte, wollte es wohl auch nicht – Kaczmarek beschreibt es ohne Häme, erlaubt sich allenfalls einen Hauch von Ironie. Des Buch ist ein exemplarischer Beitrag zur Nachwendegeschichte – auch weil in ihm trotz aller Akribie, die den erfahrenen Verwaltungsmann erkennen lässt, der große Bogen des Geschehens spürbar wird.

– Norbert Kaczmarek: Wie zwei Berlins zusammenwuchsen. Revolution ist, wenn die Verwaltung Überstunden macht. Vergangenheitsverlag, Berlin 2015. 237 Seiten, 16,90 Euro

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