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Beirut-Roman: Die aus der Hölle kommen

Russisches Roulette: Rawi Hage erzählt in seinem Debütroman "Als ob es kein Morgen gäbe" vom Beirut der achtziger Jahre.

Das Spiel, dem dieser Roman im Original seinen Titel und seine Schlüsselszene verdankt, „De Niro’s Game“, ist ein Glücksspiel, ein Spiel auf Leben und Tod. Robert De Niro muss es in Michael Ciminos Vietnamkriegs-Epos „Deer Hunter“ in Kriegsgefangenschaft spielen und spielt es später auch in den Spelunken von Saigon: Russisches Roulette – eine Kugel in der Trommel eines Revolvers, ein Schuss ist tödlich, fünf andere nicht.

Die beiden jungen Männer, die in Rawi Hages 2006 veröffentlichtem und nun auf Deutsch vorliegendem Debütroman „Als ob es kein Morgen gäbe“ mit „De Niro’s Game“ eine Art Showdown veranstalten, heißen Bassam, der Ich-Erzähler, und George, sein Freund, den alle nur De Niro nennen. Sie wachsen im Beirut der frühen achtziger Jahre auf. In diesem Beirut ist kein Stein mehr auf dem anderen, es ist vom Bürgerkrieg zerstört und in Sektoren unterteilt. Bassam und George schlagen sich mit Jobs, Gelegenheitsdiebstählen von Benzin, Waffen und Whiskey sowie Betrügereien durch dieses Chaos.

„Zehntausend Bomben waren eingeschlagen, und ich wartete auf George“, so beginnt Bassam seine Geschichte. „Zehntausend Bomben waren auf Beirut, die übervolle Stadt, gefallen, und ich lag auf einem weißen Schonbezug auf einem blauen Sofa, dem weder Staub noch der Dreck meiner Füße etwas anhaben konnten. Ich muss hier weg, dachte ich.“

Dieses Motiv treibt die Handlung voran – für Bassam und George heißt es, raus aus der Stadt zu kommen. Oder mitzumachen. George schließt sich den christlichen Milizen an, er wird Soldat mit Rolex und Armani-Brille. Und Bassam träumt von Rom, landet aber in Paris, wo das dritte große Kapitel des Romans spielt. Und das schwächste. Denn solange der 45-jährige Hage, der als Sohn einer christlichen Familie in Beirut und Zypern aufgewachsen ist und seit 1991 in Montreal lebt, von Beirut und Bassams Leben erzählt, scheinen er und sein Roman ganz bei sich selbst zu sein.

Da funktioniert vor allem Hages impressionistisch aufgeladene, sich an filmischer Schnitttechnik orientierende Sprache. Wo ein Krieg wie dieser keinen vernünftigen Alltag zulässt, wo ein zufälliger Schuss, eine von den zehntausend Bomben jede aufkeimende Liebe, jeden Lebensplan sofort zunichte machen kann, sind schnelle Schnitte, grelle Bilder und eine kraftmeierische Sprache genau das Richtige. Führt in Nicolaus Borns „Fälschung“ der Kriegsreporter Laschen vor allem die damals zeitgemäßen Innerlichkeitsdiskurse, zeigt Hage das brutale Leben und Überleben im Krieg: hard-boiled, aber gleichfalls literarisch versiert.

Am Ende jedoch schlägt er mit aller Gewalt einen erzählerischen Bogen. Da muss er noch Camus’ „Fremden“ und das Nazi-Vichy-Paris drüberpinseln, da muss die Schlüsselszene erklärt werden, da bekommt das Ganze den Haut-Gout einer Gangsterklamotte. Auch Sujet und Sprache passen dann nicht mehr zusammen, was aber zumindest die große Nachhaltigkeit der ersten zwei Romankapitel nicht beeinträchtigt.

Rawi Hage: Als ob es kein Morgen gäbe. Roman. Aus dem Englischen von Gregor Hens. DuMont Verlag, Köln 2009.

256 S., 19, 95 €.

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