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© Kitty Kleist-Heinrich

Bibliotheken: Literatur im Landeanflug

Soll die Landesbibliothek auf den Flughafen Tempelhof ziehen? Eine Recherche bei Lesern und Machern.

Schon vormittags sind in der Amerika- Gedenkbibliothek fast alle Leseplätze besetzt. Menschen senken ihre Häupter, ob mit Kopftüchern, Afro-Frisuren und graumelierten Haaren. Das Klientel entspricht dem Straßenbild. Eine Frau sitzt auf dem Fensterbrett und liest Tageszeitung, ein Mann schaut einen Loriot-Sketch und dreht dabei eine Zigarette, ein Rentner kniet vor einem Regal mit russischer Literatur, eine Dramaturgieassistentin recherchiert Noten.

Rund 7000 Besucher zählt die Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) täglich in ihren drei Häusern Amerika-Gedenkbibliothek, Berliner Stadtbibliothek und Senatsbibliothek. 4,2 Millionen Medien werden jährlich ausgeliehen, worunter nicht nur Bücher und andere Druckerzeugnisse fallen, sondern auch CDs und DVDs. Trotz digitaler Informationskultur scheint die antiquierte Bildungseinrichtung nicht an Bedeutung zu verlieren. „In meiner Generation liest man noch mit einem Buch in der Hand“, sagt eine Rentnerin und zeigt auf ihre Brille, „Computer sind schlecht für die Augen.“ Ein französischer Pianist, mit einem Stapel DVDs unterm Arm, leiht regelmäßig Filmklassiker der fünfziger Jahre aus. „So eine Auswahl findet man sonst nirgendwo in der Stadt.“ Eine arbeitslose Besucherin recherchiert Stellenanzeigen im Internet. Einen eigenen Computer besitzt sie nicht. „Sozialschwache Leute wie ich sind auf die Bibliothek angewiesen“, sagt sie.

Die ZLB ist für viele Berliner die wichtigste Kultureinrichtung. In ihrer jetzigen Form entstand sie 1995, als man die Ost-Berliner Stadtbibliothek mit der Amerika-Gedenkbibliothek in Westberlin fusioniert, was – wie üblich im politischen Vereinigungsgeschäft – auf eine Addition hinauslief. Erhalten blieben alle Standorte. Bis heute verursachen sie enorme Transport- und Personalkosten, lästige Magazinbestellungen und lange Wartezeiten. Die Hauptstandorte Breite Straße und Blücherplatz sind veraltet und nicht sehr funktionstüchtig, es fehlen Räume, in denen Schulklassen arbeiten können, und ruhige Lesesäle für diejenigen, die sich in Schriften vertiefen möchten.

Nur zehn Prozent der Medien sind derzeit direkt im Freihandbestand zugänglich. Die übrigen schlummern in den Magazinen. Über 3,3 Millionen Medien besitzt die ZLB, um sie angemessen unterbringen zu können, benötigt sie eine Nettofläche von 67 000 Quadratmetern. Derzeit hat sie aber nur 40 000 Quadratmeter. Mehr als ein Drittel fehlt.

Was die Stadt dringend bräuchte, wäre ein neues Arbeitszimmer für jederman. Klaus Wowereits Ankündigung, einen Neubau der Zentral- und Landesbibliothek auf das stillgelegte Flughafengelände Tempelhof setzen zu wollen, kam wie gerufen. 250 bis 300 Millionen Euro stellte der Regierende Bürgermeister dafür bereits in die mittelfristige Finanzplanung des Haushaltes 2010 /2011 ein. Ulrich Nußbaum, der neue Finanzsenator, will das Projekt wieder einkassieren. Er hält es für nicht finanzierbar. (Tagesspiegel vom 9. Mai).

„Wie kann man eine neue Bibliothek bauen, wenn das alte Flughafengebäude leer steht?“, fragt der CDU-Bauexperte Rainer Ueckert. „Ein Umbau der bestehenden Substanz ist kostengünstiger.“ Dass das Tempelhofer Flughafengebäude den Anforderungen der ZLB genügen würde, bestätigt eine Machbarkeitsstudie mit dem Titel „Buchhafen Tempelhof“, die 2005 am Lehrstuhl für öffentliche Bauten der TU Dresden erstellt wurde. Angeregt durch den Historiker Götz Aly, untersuchten Studenten in einem Projekt von Professor Ivan Reimann, inwieweit die funktionalen Abläufe und das Platzangebot dem Bedarf einer Großbibliothek entsprächen. „Die gigantischen Räume des Flughafengebäudes sind sehr gut erhalten“, sagt Reimann, „eine Nutzung durch die Bibliothek wäre optimal.“ Die Studie zeigt, wie man in den Seitenflügeln des Gebäudes Magazine unterbringen könnte und sich in den Galerien große Lesebereiche einrichten ließen.

„Eine Halle allein ist kein Leseraum“, kontert die ZLB-Generaldirektorin Claudia Lux. Ihrer Meinung nach erfüllt der Altbau die Anforderungen in keiner Weise. Die Flughafenhalle mit ihren riesigen Mauern und Ecken würde den Buchtransport, der einem fabrikmäßigen Ablauf gleicht, stark behindern. Der obere Bereich des Gebäudes müsste mit Säulen gestützt werden, um dort einen Freihandbestand mit vielen Büchern zu ermöglichen. Säulen, die dann wieder den unteren Bereich der Bibliothek zerstückelten. „Was wir brauchen, sind angemessene Räume, technische Innovationen und gute klimatische Bedingungen.“

Große Lesesäle, das hat Lux andernorts, in Paris und Dresden, festgestellt, erleben eine Renaissance. „Die großen Säle sind gefüllt mit Menschen, die Tisch an Tisch arbeiten. Viele Leute schätzen diese Lernatmosphäre und entwickeln eine Art Flirt mit ihr.“ Einen Neubau in Tempelhof findet Lux schon deshalb attraktiv, weil er die Bauvorbereitungen beschleunigen würde. Da die Flächen dem Land gehören, wären langwierige Verhandlungen mit dem Bund überflüssig. Die ZLB könnte der Initiator für weitere Infrastrukturplanungen auf dem Gelände sein.

Ein neuer Standort für das Bücherhaus wurde seit zwei Jahren gesucht. Verschiedene Flächen in der Nähe des Haupt- und Ostbahnhofs und der Yorckstraße wurden geprüft, auch der Ausbau der Amerika-Gedenkbibliothek stand zur Debatte. Und vom ursprünglich geplanten Einzug im Humboldt-Forum im künftigen Stadtschloss blieb am Ende bloß ein „Schaufenster“ von 5000 Quadratmetern. Der jüngste Vorschlag sähe einen Neubau in unmittelbarer Nachbarschaft zum Schloss am Marx-Engels-Forum vor.

Wo die Berliner in Zukunft ihren Bildungshunger stillen werden? „Hier jedenfalls nicht“, stöhnen zwei Medizinstudentinnen. Auf der Suche nach einem Arbeitsplatz landeten sie in der Gedenkbibliothek. Nun sitzen sie neben einer Gruppe von Schülern, die ihre Notebooks hochfahren. Nacheinander. „Das stört, so können wir das Examen gleich vergessen.“ Die Studentinnen packen ihre Sachen.

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