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Dichterlandschaften: Peter Handke und die „Bar des Voyageurs“

Ortsbesichtigungen: wo Schriftsteller leben und dichten.

Manche inspiriert der Trubel einer Metropole, andere finden ihre Sätze nur am Meer oder brauchen die Berge, um Geschichten zu schreiben. So interessant wie Dichter und ihre Werke sind die Orte, an denen sie entstehen. Zwölf Schriftsteller und ihre Landschaften hat die Autorin Brita Steinwendtner auf liebevoll-behutsame Art in ihrem Buch porträtiert. Peter Handke zum Beispiel, der seit 1990 in Chaville, westlich von Paris lebt. Eine schicke Villengegend ist es nicht, aber auch kein Vorort, in dem sich der Zorn arbeitsloser Jugendlicher entzündet. Hier entstand Handkes „Mein Jahr in der Niemandsbucht“, ein Ort im „Weltstadtmeer“, im Herzen von Chaville. Versailles ist nicht weit entfernt, aber dort im königlichen Park mag Handke nicht spazieren gehen. „Ich bin ein Waldmensch“, sagt er und durchstreift lieber die ausgedehnten Forste der Region. Für die Pfade fand er Namen wie Kamm-, Eidechsen- oder Waldbienenweg. Man sieht den Dichter sitzen in der „Bar des Voyageurs“ am Bahnhof von Chaville, wo er die Musikbox Van Morrison spielen lässt oder „Satisfaction“ von den Stones.

Ilse Aichinger hat ihren Stammschreibplatz im Café Jelinek im sechsten Wiener Bezirk. Vielleicht gibt es keine grantelnden Kellner dort, obwohl der herbe Charme der österreichischen Hauptstädter für Aichinger womöglich gar eine Art Lebenselixier ist. In ihren Aufzeichnungen (1950–1985) schildert sie einen Besuch bei einer Augenärztin. Die diagnostiziert: „Auf beiden Augen grauer Star. Sterbens lieber.“ Böse und doch geliebte Heimat. Für die Wienerin Aichinger steckt die Stadt voll trauriger Erinnerungen. Der jüdische Friedhof etwa wurde zum Spielplatz, weil Kindern mit dem gelben Stern alle anderen Orte zum Herumtollen versperrt waren. Auf der Schwedenbrücke über dem Donaukanal hörte sie die Rufe ihrer Großmutter, die im offenen Viehwaggon in den Tod transportiert wurden. „Aichingers Schauplätze zeigen Grenzen und Übergänge an, Abstürze und Untergänge“, schreibt Steinwendtner, porträtiert die Dichterin und dokumentiert detailreich „die Zeit eines Lebens“.

Peter Turrini tauschte seinen Wohnort Wien im Jahre 2000 gegen das niederösterreichische Weinviertel ein. Zur Freude der Gemeinde renovierte er ein heruntergekommenes Weinbauernhaus. Der Ortsvorsteher ließ die Kellergasse prompt in „Peter-Turrini-Gasse“ umbenennen. Der Schriftsteller hat das Schild gleich wieder abmontiert, er mag kein „Promi“ sein. In seine anderen Lebens- und Schreiborte fährt Steinwendter mit ihm, ins Dominikanerkloster nach Retz, ins slowakische Znojmo (früher Znaim) und zum Schloss Ungarschütz/Uhercice. Turrini, der leidenschaftliche „Kämpfer für Toleranz und Menschenliebe“ hasst Grenzen, geografische ebenso wie kulturelle. Dagegen schreibt er an. Ein politischer Mensch, der sich im Gespräch als sensibler Suchender entpuppt. „Die Frage nach dem Glück halte ich immer noch für die revolutionärste aller Fragen“, sagt er – und zieht sich zurück in die Kellergasse.

Zwölf Schriftsteller, zwölf Landschaften. Man taucht ein in faszinierende Welten. Hat plötzlich Lust, Bücher zu lesen, die einen zuvor kaum interessierten. Und will Orte sehen, die Reiseführern keine Zeile wert sind.

Brita Steinwendtner: Jeder Ort hat seinen Traum. Dichterlandschaften, Haymon- Verlag, Innsbruck- Wien, September 2007, 278 Seiten, 19,90 Euro.

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