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Literatur BETRIEB: Die große Vermessung (II)

Gerrit Bartels über den frühen, einzigen Hype dieses Bücherfrühlings

Dieses Jahr, das ist sonnenklar, 2009 geht schließlich schon jetzt als eines der allerschwierigsten in die Geschichte ein, dieses Jahr also wird es einen enorm schwierigen Bücherfrühling geben. Und einen enorm interessanten. Wie halt jedes Jahr – mit neuen Büchern etwa von Philip Roth, Wilhelm Genazino, Sibylle Lewitscharoff, Amos Oz, Ralf Rothmann, Cees Nooteboom, Günter Grass, Heinz Strunk oder Julia Schoch, um nur ein paar große und nicht ganz so große Namen zu nennen. Schwieriger als sonst wird dieser Frühling jedoch trotz dieser größtenteils literarische Qualität versprechenden Auswahl aus einem anderen Grund, eines anderen Buchs wegen.

Am Freitag erscheint der neue Roman von Daniel Kehlmann. Und damit hat dieser Bücherfrühling seinen todsicheren Höhepunkt, seine ultimative Buchmarktvermessung schon Mitte Januar – der Rest dürfte, wenn es ansonsten schlecht läuft und Kehlmanns Buch gut und groß ist, höchstens noch eine Art Ausschwimmen nach dem großen Wettkampf sein. Bei fast anderthalb Millionen verkauften Exemplaren von Kehlmanns Vorgängerroman „Die Vermessung der Welt“ ist das kein Wunder. Zum anderen aber ist Kehlmanns neues Buch mit dem eindeutig zweideutigen Titel „Ruhm“ lange vor Erscheinen zwar noch nicht in aller, aber doch in vieler Munde. Denn der Rowohlt Verlag, in dem der Roman erscheint, untersagte nach dem wie üblich frühen Versand der Buchfahnen an die Rezensenten zwar per Vertrag und unter Androhung einer hohen Geldstrafe Rezensionen vor nächsten Freitag. Er ließ aber vorab doch hier ein paar Besuche bei Kehlmann in Wien zu – oder dort ein langes Interview inklusive Vorabdruck aus „Ruhm“.

Ausgeschlafen und professionell, dieses Marketing, keine Frage – einerseits ein sowieso vorhandenes Interesse gezielt anfachen: Es geht doch nichts über die richtigen Multiplikatoren. Andererseits zumindest einen Teil der potentiell anderthalb Millionen „Ruhm“-Leser nicht verprellen, weil man das Buch noch nirgendwo kaufen kann, obwohl alle Welt drüber berichtet. (Was sie vermutlich getan hätte, gäbe es da nicht besagte Verträge.)

Natürlich steht in dem Kehlmann-Interview schon sehr viel über „Ruhm“ drin, eigentlich geht es um nichts anderes. Und natürlich kommen aktuelle Kehlmann- Porträts nicht ohne „Ruhm“-Passagen aus – Schriftsteller, die gerade ein Buch abgeschlossen haben, stecken da in der Regel noch ziemlich tief drin. Nur der Daumen, der geht bei diesen journalistischen Formaten nicht so kräftig rauf oder runter. Das besorgen erst die Rezensenten. Und deren Meinungen, das verraten erste Reaktionen aus dem Kollegenkreis, werden alles andere als einhellig sein. Was zu erwarten war: Denn die Messlatte liegt hoch. Nolens volens dürften da die Erwartungen vor dem Hintergrund des auch von der Literaturkritik gefeierten Romans „Die Vermessung der Welt“ doch eine Rolle spielen.

Die Reaktionen von Leserseite aber sind es auch, auf die es dem jungen, erst 34 Jahre alten Schriftsteller jetzt ankommt – und nicht, ob sich „Ruhm“ genauso oft verkauft wie die „Vermessung“ oder auf dem Markt abschmiert. Über seine Freiheiten als Bestsellerautor hat Daniel Kehlmann zuletzt viel geschwärmt, und das glaubhaft: über die Freiheit, literarisch ausprobieren zu können, was er will. Und den großen Druck, einen weiteren Bestseller schreiben zu müssen, verspüre er so gar nicht, betonte er oft. Als er 2007 den „Welt“-Literaturpreis erhielt, versicherte er in seiner Dankesrede über den Umgang mit seinem Erfolgsbuch: „Noch immer macht mich jede Anerkennung, die es nicht als nur Verkaufsschlager, sondern als geformtes literarisches Kunstwerk erhält, stolz und sehr glücklich.“

Hier verzehrt sich also keiner nach neuerlichen Verkaufserfolgen, wie einst vielleicht ein Simmel oder sicher ein Coelho. Kehlmann dürfte sich eines Tages nach anderer, rein literarischer Anerkennung verzehren. Zum Beispiel in Form eines Georg-Büchner-Preises, wie das so mancher wiewohl viel ältere deutschsprachige Schriftsteller tut. Bevor es so weit ist, sollte Daniel Kehlmann aber, na, wenigstens eine halbe Million „Ruhm“- Exemplare verkaufen. Denn hat er jetzt nicht auch eine Verantwortung für die Bilanzen des Buchmarktes – und somit dafür, dass 2009 nicht ganz so mies wird?

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