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Clemens Meyer

© ddp

"Die Nacht, die Lichter": Das Glück ganz unten

Clemens Meyers meisterhafte Erzählsammlung "Die Nacht, die Lichter": Die fünfzehn Erzählungen des Bandes vermitteln fast den Eindruck, als sei es Meyers primäre Meisterschaft, kurze Geschichten zu erzählen, short stories in bester amerikanischer Tradition.

Clemens Meyer braucht nicht lang, um zur traurigen Sache zu kommen. In seiner Erzählung „Warten auf Südamerika“ besucht ein Mann seine Mutter, die kurz vor Anbruch der Dunkelheit bei Kerzenschein in ihrer Wohnung sitzt, und er zählt eins und eins zusammen: „Er sah die Kerzen dort, und jetzt wusste er, dass sie nicht freiwillig zusah, wie es langsam dunkel wurde. Sie hatten ihr den Strom abgestellt.“ Und sofort weiß auch der Leser dieser Geschichte, ohne dass Meyer viele Worte machen würde, wie es den Figuren geht, vor welchem sozialen Hintergrund sie sich bewegen.

Das bedarf natürlich einer gewissen Eingewöhnung, auf diese Grundtristesse bei Clemens Meyer muss man sich schon brutalst einlassen. Hat man gerade eine recht düstere Geschichte aus seinem heute erscheinenden Erzählungsband „Die Nacht, die Lichter“ beendet, schluckt man erst einmal, wenn die darauffolgende mit den Worten beginnt: „Das Zimmer, in dem ich sitze, ist klein und scheiße“.

Diese Arbeit des Sich-Einlassens aber bekommt schnell Fahrt und Farbe, da bangt man mit jeder Figur, und da möchte man Meyer attestieren, dass es ihm gut gelungen ist, was er seinem Buch in einer klappentexttauglichen Sentenz mit auf den Weg gegeben hat: „Ich will Geschichten schreiben, die leuchten“.

Meyers Geschichten leuchten, mehr so von innen, und seine gelenkige, sich ihrer selbst sehr gewisse Prosa leuchtet genauso. Und alle seine Figuren eint eine Sehnsucht nach Licht, nach Helligkeit, von Meyer manchmal vielleicht eine Idee zu stark auch wortwörtlich dargestellt. Ständig wollen sie ihrem alles andere als glücklich verlaufenden Leben ein bisschen Glanz verleihen, und wenn es nur ein erträumter ist. Immer mal wieder ahnen sie, „dass es da so was wie ein Glück geben müsste“. So wie der ehemalige Knacki, der dieses Glück plötzlich auf einer Tanzfläche spürt. So wie der Mann, der in „Warten auf Südamerika“ Briefe eines alten Kumpels erhält, der zu Geld gekommen ist und in Mittel- und Lateinamerika herumreist; da macht es auch nichts, dass der Mann sich diese Briefe vermutlich selbst schreibt. Oder so wie Rolf, der Geld für die Operation seines heiß geliebten Rottweiler-Dobermann-Mischlings benötigt und dieses Geld beim Pferderennen gewinnt; in seinem Fall macht es nicht einmal etwas aus, dass er das gewonnene Geld nicht lange sein eigen wird nennen dürfen – der Moment des Glücks, in dem er bier- und redselig von der Rennbahn nach Hause läuft und sich darüber freut, seinen Hund retten zu können, diesen Moment wird ihm niemand nehmen können.

Man kennt den Menschenschlag aus Meyers Geschichten schon , vor allem das Milieu, in dem diese Geschichten spielen – aus dem über fünfhundert Seiten starken Roman „Als wir träumten“, mit dem der 1977 in Halle geborene und in Leipzig aufgewachsene Literaturinstitutsabsolvent Meyer vor zwei Jahren erfolgreich debütierte. „Als wir träumten“ erzählt die Geschichten von Hooligans, Techno-Kids, Knastbrüdern, Autoknackern und Drogensüchtigen aus dem Leipzig der frühen neunziger Jahre. Meyer wurde nicht nur für die Wahl seines Stoffes zu Recht gelobt – wann bewegt sich schon mal ein junger Schriftsteller in so einem sozialen Umfeld und erzählt davon! – , sondern auch dafür, dass er diesen Stoff in einer genauen Sprache und nicht zuletzt mit einem Hang zum feinen Sentiment aufzubereiten wusste. Die einzige Schwäche dieses Debüts ist seine Länge. Einen wirklich überzeugenden erzählerischen Bogen schlägt „Als wir träumten“ nicht, einige Verknappungen hätten dem Roman sehr gut getan.

Dieses Problem gibt es in „Die Nacht, die Lichter“ naturgemäß nicht. Ja, die fünfzehn Erzählungen des Bandes vermitteln fast den Eindruck, als sei es Meyers primäre Meisterschaft, kurze Geschichten zu erzählen, short stories in bester amerikanischer Tradition, die den Vergleich mit denen eines Ernest Hemingway oder Richard Ford nicht zu scheuen brauchen, nicht zuletzt atmosphärisch. Clemens Meyer beherrscht die Kunst der Auslassung, der Reduktion, des sparsamen, vielsagenden Dialogs. Und selbstbewusst, wie er ist, traut er sich auch, die wenigen Gedanken und Motive seiner Figuren geradezu mantramäßig zu wiederholen. Zum Beispiel in der Titelerzählung. In dieser begegnen sich ein Mann und eine Frau nach vielen Jahren zufällig in ihrer Heimatstadt wieder, und der Erzähler wiederholt mehrmals, wie schön es sei, seine Begleiterin anzublicken, „denn sie ist genauso schön wie früher, als wären wir immer noch fünfzehn, sechzehn“. Genauso schön ist es für ihn, die Lichter anzublicken, „und ich sehe die Lichter der Autos und die Lichter der Laternen an den Straßenrändern, und dann stehen wir vor ihrem Haus.“ Mehr braucht es auch nicht. Denn am Ende verschwindet er wieder, einfach so, weil es besser ist, in eine ungewisse Zukunft.

Komischerweise haben Meyer und sein Verlag eine Erzählung in diesen Band aufgenommen, die völlig aus dem Rahmen fällt, die nicht ganz so gut ist und mehr auf den Schreibschulanfänger Meyer verweist. „In den Gängen“ heißt diese Erzählung, will selbst jedoch nicht so recht in die Gänge kommen. Sie handelt von einem Lagerarbeiter in einem Großmarkt und ergeht sich in mancher überflüssiger Beschreibung des Marktes und seiner verschiedenem Abteilungen sowie diverser technischer Vorgänge (was für Palettensorten es gibt, wie man einen Gabelstapler fährt usw.). Zu lange braucht Meyer hier, um auf den Punkt zu kommen, um die ihm wichtigen menschlichen Interaktionen darzustellen. „In den Gängen“ ist ein Aussetzer, ein Schönheitsfehler, der jedoch nur umso besser die anderen Erzählungen in diesem Band in ihrer ganzen Pracht erstrahlen lässt.

Clemens Meyer: Die Nacht, die Lichter. Stories. S. Fischer Verlag. Frankfurt/Main 2008. 266 Seiten, 18.90 €.

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