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Verbrecher JAGD: Ein Lehrer spielt Detektiv

Kolja Mensing begibt sich an die israelisch-palästinensische Front

Eigentlich ist Omar Jussuf Lehrer. Er unterrichtet Geschichte in einem palästinensischen Flüchtlingslager bei Bethlehem, steht kurz vor der Rente und ist berüchtigt für seine unkonventionellen politischen Überzeugungen. Unter anderem erklärt er seinen Schülern gerne, dass die „arabischen Helden“ des Aufstands von 1936 vor allem Verbrecherbanden gewesen seien, die mehr Palästinenser getötet hätten als jüdische Siedler – und rät ihnen, nicht die israelische Besatzungsmacht mit Steinen zu bewerfen, sondern lieber ihre Eltern und die eigene Regierung unter Beschuss zu nehmen.

Matt Beynon Rees’ Kriminalroman „Der Verräter von Bethlehem“ (Aus dem Englischen von Sigrid Langhaeuser. C. H. Beck, München 2008. 326 S., 17,90 €) beginnt inmitten der komplizierten Frontlinien der zweiten Intifada. Gerade erst musste Omar Jussuf sich gegenüber dem Schulinspekteur der Autonomiebehörde für seine „mangelnde Unterstützung“ des palästinensischen Befreiungskampfes verantworten, als er erfährt, dass einer seiner ehemaligen Schüler verhaftet worden ist. George Saba, ein junger Mann aus einer christlichen Familie, soll einen palästinensischen Widerstandskämpfer an die Israelis verraten haben und wartet jetzt auf seine Hinrichtung. Omar Jussuf glaubt an seine Unschuld und macht sich auf die Sache nach dem wahren Verräter: Ein Lehrer spielt Detektiv. Verdächtige gibt es einige. Der Anführer der Al-Aksa-Märtyerbrigaden hatte am Abend vor der Verhaftung einen Streit mit dem vermeintlichen Kollaborateur, der Polizeichef von Bethlehem sabotiert Jussufs Ermittlungen, und auch die Familie des ermordeten Widerstandskämpfers spielt ein doppeltes Spiel. Je mehr Fragen Omar Jussuf stellt, desto verwirrender sind die Antworten. Schließlich gerät er selbst in Gefahr.

Das Schema ist bekannt. Der „Der Verräter von Bethlehem“ ist zunächst ein klassischer Middle-East-Whodunnit in der Nachfolge Agatha Christies – nur spielt die Handlung nicht an Bord eines ägyptischen Kreuzfahrtschiffes oder im Orientexpress, sondern im hermetisch abgeriegelten Westjordanland. Und hier explodiert die Gewalt. Familien, Clans und militante Gruppen bekriegen sich, religiöse Führer und Politiker ringen um die Macht, während israelische Aufklärungshubschrauber über den Flüchtlingslagern kreisen und Scharfschützen auf der Lauer liegen. „Das Leben ist Terror“, hört Omar Jussuf immer wieder, wenn er durch das Minenfeld des palästinensischen Alltags stolpert: „Das Leben ist ein einziger großer Einbruch in unsere Verteidigungslinien.“

Matt Beynon Rees weiß, wovon er spricht. Er ist Mitte der neunziger Jahre als Reporter nach Jerusalem gegangen und hat den Ausbruch der zweiten Intifada im Jahr 2000 als Bürochef des „Time“-Magazins erlebt. Mit „Cain’s Field“ hat er ein Sachbuch über „Religion, Brudermord und Angst im Nahen Osten“ geschrieben, bevor er aus seinen Erfahrungen einen Detektivroman gemacht hat. Er bleibt dabei allerdings nahe an der Wirklichkeit, einer Wirklichkeit, die aus Folter, Selbstmordattentaten und Lynchjustiz besteht und mit ihrem body count den Rahmen jedes herkömmlichen Krimis sprengt. „Alle in diesem Buch beschriebenen Verbrechen haben sich wirklich in Bethlehem zugetragen“, schreibt Rees in einer Vorbemerkung zu seinem ernüchternden Roman. „Diejenigen, die dabei ums Leben kamen, sind in jedem Falle tot.“

Rees verbindet mehr mit der Region als seine Arbeit als Reporter. It’s a family affair: Gleich zwei seiner Großonkel haben im legendären „Imperial Camel Corps“ gedient und während des Ersten Weltkriegs in Palästina zunächst gegen das Osmanische Reich gekämpft und dann im Rahmen des Völkerbundmandats als Angehörige der Besatzungsarmee die wachsenden Spannungen zwischen arabischer Bevölkerung und jüdischen Einwanderern miterlebt. In dieser Zeit nach dem Zusammenbruch der imperialistischen Ordnungssysteme liegen bekanntlich die Ursprünge des Palästinakonflikts. Darüber zu schreiben, wäre wohl die größte Herausforderung für einen britischen Schriftsteller, der sich im Nahen Osten auskennt. Vielleicht macht Matt Beynon Rees das sogar eines Tages. Auf jeden Fall hat er bereits angekündigt, sechs weitere Omar-Jussuf-Romane zu schreiben.

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