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Literatur: Ein Rätsel und kein Rätsel

Alle Umfragen sehen Schwarz-Gelb im Vorsprung. Zwei neue Bücher über die Hauptprotagonisten Angela Merkel und Guido Westerwelle zeigen: Sie ist Meisterin unbedeutender Worte - er will zuviel

Dirk Kurbjuweit: Angela Merkel: Die Kanzlerin für alle? Hanser Verlag, München 2009, 160 Seiten, 16,90 Euro. 

Bücher über Angela Merkel füllen inzwischen halbe Regale. Autoren haben ihre Kindheit ausgeleuchtet, ihren Werdegang als Politikerin akribisch nachgezeichnet oder sie selbst zu Wort kommen lassen. Etwas ratlos geblieben sind sie alle; das Buch über Merkel gibt es nach wie vor nicht. Dirk Kurbjuweit, Leiter des Berliner „Spiegel“-Büros, nähert sich auf ungewöhnlichem Weg. Und er kommt damit der Sache ein großes Stück näher als alle Vorgänger: Er macht die Ratlosigkeit kurzerhand zum Thema.

Schon das Fragezeichen im Titel lässt diesen Ansatz erahnen: „Angela Merkel – Kanzlerin für alle?“ Die folgenden 150 Seiten setzen das Fragezeichen fort. Es gibt dort keine Enthüllungen, keine unbekannten Details aus Merkels Leben und andere gängige Biografie-Auslegeware. Der „Spiegel“-Mann räumt im Gegenteil unumwunden ein, dass sein Zugang zur ersten Frau im Kanzleramt sich nicht groß von dem unterscheidet, den andere Hauptstadt-Journalisten auch haben. Doch aus der Halbdistanz beobachtet sich sowieso vieles schärfer als aus übergroßer Nähe. Und Kurbjuweit ist ein herausragender Beobachter. Vor allem aber gehört er zu den ganz wenigen, die das, was sie hören und sehen, zu Begriffen und Strukturen ordnen können.

Herausgekommen ist dabei ein langer Essay, einer in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes: Ein halb spielerischer, halb ernster Versuch, einem Rätsel auf den Grund zu gehen. Es handelt sich um das Rätsel der doppelten Angela. Öffentlich sichtbar ist fast immer nur eine: Eine Kanzlerin und CDU-Vorsitzende, die als Rednerin eine Viertelstunde Aufwärmzeit braucht, bis sie unverknäulte Sätze zustande bringt, deren Kurs oft schlingernd, häufig taktisch und immer zögerlich wirkt und die auch sonst wenig von einer klassischen Führungsfigur an sich hat. Kurbjuweit kennt aber auch die andere Angela Merkel, die hinter den Kameras und Mikrofonen: hoch intelligent, ironisch, ja witzig, unideologisch, aber keineswegs ohne Ziele, dazu eine scharfe Analytikerin mit klarem Blick auf das, was eigentlich nottäte. Kein anderer Spitzenpolitiker ist derart janusköpfig. Ein Helmut Kohl oder Gerhard Schröder waren simple Charaktere im Vergleich. Daraus ergeben sich die Fragen dieses Buches. Was will Merkel wirklich? Was treibt sie an – und vor allem: Wieso macht diese blitzgescheite Frau so wenig aus ihren Einsichten und Begabungen?

Die letzte Antwort kann Kurbjuweit nicht geben, und genau genommen will er das auch nicht. Denn er traut dieser Kanzlerin mehr zu, als sie bisher geliefert hat. Anders, als es im deutschen Leitartikelwesen en vogue ist, sieht er in Merkel nicht bloß eine begabte Taktikerin, deren Ehrgeiz sich darin erschöpft, möglichst lange und bequem an der Macht zu bleiben – ihren Leipziger Reform-Idealismus hält er im Kern für echt. Anders, als im Leitartiklerwesen üblich, findet er andererseits Taktik und Machtkalkül nicht sofort moralisch anrüchig. Dazu kennt der „Spiegel“-Mann viel zu genau die milde absurden Umstände, unter denen Politik gemacht wird, allem voran die Medien-Öffentlichkeit mit ihren künstlichen Aufgeregtheiten, ihren raschen Urteilen, ihrem Herdentrieb und ihrer Allgegenwart. Gewisses Verständnis dafür, dass der Mensch Merkel sich in dieser Umwelt hinter den Panzer von „Politik total“ zurückzieht, kann er nicht leugnen.

Kurbjuweit beschreibt, analysiert, illustriert beides in seinen Wechselwirkungen: Das System und die Spiele des Politischen ebenso wie die Irrungen, Wirrungen und das Eiserne im Kern der Angela Merkel. Man lernt so als Leser etwas über den Unterschied zwischen politischen Schwächlingen – für die Matthias Platzeck, Edmund Stoiber, Kurt Beck und Christian Wulff herhalten müssen – und den anderen Kalibern, den Wild-Entschlossenen. Man lernt aber auch viel über die Angst der wild entschlossenen Kanzlerin vor diesem Volk, das sie nicht versteht, und vor dem Einsatz mit vollem Risiko. Oder, na ja, wenigstens mit ein bisschen Risiko. „Sie muss ja nicht gleich Basta rufen“, schlägt Kurbjuweit im leichten Plauderton vor: „Sie hätte mal Nein sagen können und sehen, was passiert.“

Hat sie aber nicht, sondern sich zur „Meisterin der unbedeutenden Worte“ entwickelt, heute Klimakanzlerin, morgen Energiekanzlerin, übermorgen Was-weiß-ich-Kanzlerin. Der Autor nimmt ihr das durchaus übel. Überhaupt kann er hellsichtig polemisch sein: Merkel als „Totalinszenierung“, eine Kanzlerschaft als Prozess der Selbstauflösung: „Merkel hat regiert mit dem Satz: Ich bin bereit, mich zu verbiegen.“ Aber Kurbjuweit ist eben zu klug, um all das bloß als Charakter- oder Überzeugungsmangel zu verdammen. Er sieht zugleich die Umweltbedingungen, die das ihre dazu beitragen, dass sich dieses seltsam durchsichtig-undurchsichtige Wesen herausgemendelt hat. „Überzeugungen sind mittlerweile ein Problem für Politiker“, vermerkt er zum Beispiel, denn: „Wer gestern aus Überzeugung Überzeugendes gesagt hat, ist heute schon der Depp, weil die Worte nicht mehr passen zum Heute.“

Womit wir beim Morgen wären und beim Ausgangspunkt, dem Rätsel Merkel. Kurbjuweit behauptet nicht, es gelöst zu haben. Aber er hat die leise Hoffnung, dass es sich vielleicht von selbst noch löst. Vielleicht, schlägt der Essayist vor, haben wir seit 2005 „Übergangsjahre“ erlebt? Eine „Weltzwischenzeit“ nach dem Ende der Ost-West-Blöcke und vor der ersten globalen Krise des Kapitalismus? Verliert Merkel im Herbst die Wahl, bleibt sie Übergangskanzlerin. Aber die meisten deutschen Regierungschefs, gibt der Autor zu bedenken, sind erst in der zweiten Amtszeit gut und manche sogar groß geworden. Da klingt im Subtext ein „Angela Merkel, mach’ endlich was aus dir!“ unüberhörbar mit.

Aber sicher ist er sich nicht. Darum bietet er dem Leser eine zweite Theorie darüber an, wie diese Geschichte ausgehen könnte. Vielleicht hat diese Angela Merkel aus sich ja schon das Beste gemacht? Vielleicht ist sie ja in Wahrheit damit das Modell der Zukunft – die Moderatorin ohne eigenen starken Willen als Idealbesetzung für die Unübersichtlichkeiten eines Fünf-Parteien-Staats?

Kurbjuweit schaudert’s. Im Grunde ist er dann doch lieber Idealist. Von Robert Birnbaum

Majid Satter: "…und das bin ich!" Guido Westerwelle. Eine politische Biographie. Olzog 2009, 288 Seiten, 24,90 Euro.

Es sind die kleinen Episoden, die das Buch groß machen. Etwa diese: Guido Westerwelle geht auch nachts nicht über rote Ampeln, selbst wenn sie noch so abgelegen sind, weil er sagt: Es könnte von Nachteil sein, gesehen zu werden. Guido Westerwelle muss, um aufs Gymnasium zu kommen, den Umweg über die Realschule machen. Aber als Realschüler auf dem Gymnasium wird er wie andere Realschüler von manchen Lehrern abgelehnt. In der Schülerzeitung "Ventil", deren Chefredakteur der junge Guido ist, erscheint ein Artikel, der die Lehrer beim Namen nennt und einfordert, dass die Schule ihrem Auftrag gerecht werden muss, qualifizierte Realschüler zum Abitur zu führen. Majid Sattar, der Autor der ersten Westerwelle-Biografie, zitiert einen Schulfreund: "Wir hatten ohnehin ein Problem, jetzt hatten die auch eins." Dann schreibt Sattar: "Es war, wenn man so will, Guido Westerwelles erster politischer Akt."

Was Majid Sattar, Politikredakteur der FAZ, recherchiert und aufgeschrieben hat, ist spannend und lohnt sich zu lesen. Es gibt schon Urteile über das Buch, die besagen, es sei eine gute politische Biografie - mehr nicht. Es ist mehr. Man muss nur die vielen kleinen, manchmal versteckten Geschichten über Westerwelle wie ein Puzzle zusammensetzen, dann entsteht auch ein Bild vom Menschen Westerwelle - und von seinem Charakter. Sattar charakterisiert ihn so: "Weniger Selbstbewusstsein, mehr Selbstbehauptung" hätten Westerwelle immer angetrieben, Niederlagen in seiner frühen politischen Zeit machten "den jungen Mann verbissener und ängstlicher. Immer wieder braucht er die Ermunterung, es noch mal zu probieren, immer wieder äußert er Zweifel". Das Buch beschreibt mehr Niederlagen als Siege, weil es wohl auch mehr Niederlagen gab.

Das Persönliche kommt nicht zu kurz, das Politische dagegen erzählt Sattar mit großer Leidenschaft für Details. Davon gibt es eine Menge, schließlich ist Westerwelle schon lange Teil einer "Elefantenrunde", ohne Elefant zu sein. Seine Gegner waren - in der eigenen Partei wie in anderen Parteien - eine Generation von Politikern, die Deutschland in den 70er und 80er Jahren ins Schlaraffenland des Wohlfahrtsstaates führte ohne zu sagen, dass dieser Wohlstand auf Schulden gebaut ist. Westerwelle aber wird erst wirklich dann zu den "Elefanten" zählen, zu den Kohls, Genschers oder auch Schröders, wenn er in Berlin mitregiert. Politisch schwergewichtiger ist Westerwelle aber schon geworden, auch dafür gab es einen symbolischen Moment: Als Gerhard Schröder bei der Elefantenrunde nach der Wahl 2005 unter massiven Adrenalinschüben nicht nur Angela Merkel beleidigte, sondern auch der FDP öffentlich bescheinigte, sie werde umfallen, konterte er: "Herr Bundeskanzler, ich bin vielleicht jünger als sie, aber nicht dümmer." Westerwelle eroberte mit diesem Satz zumindest in der eigenen Partei den letzten Respekt zurück, den er als "Spaßpolitiker" einst verloren hatte. An dieser wie an anderen Stellen erweist sich Sattar als kluger Analytiker, der seinen Protagonisten kennt.

Interessant aus heutiger Sicht sind Westerwelles frühe politische Überzeugungen und Forderungen, von denen er im Laufe der Zeit weit abrückte. Als Juli-Chef mahnte er 1985 die Mutterpartei, die Koalition mit der Union dürfe keine "Blutsbrüderschaft" werden, die FDP müsse sich stärker abgrenzen, er, der Anwalt, aufgezogen vom Vater, macht sich stark für Bürgerrechtsthemen, für Ökologie. Es sind Themen, die Westerwelle als Parteichef später vernachlässigen wird, so dass nur noch eine Wirtschafts- und Steuersenkungspartei übrig bleibt. Später sind es ironischerweise seine Julis, die ihn daran erinnern, dass die FDP mehr sein muss.

Im Buch lesen sich die politischen Kämpfe wie ständige Mutproben, vor denen Westerwelle auch oft genug zurückschreckte, so dass ihn Weggefährten, wie Sattar schreibt, für "hasenfüßig" halten. Aber immerhin: Westerwelle hat Helmut Kohl früh öffentlich bescheinigt, dass seine Ära vorbei sei - ein Skandal, damals regierte die FDP noch mit der Union. Jürgen Möllemann hat er im richtigen Moment auf dem Parteitag im Mai 2001 in die Schranken gewiesen, mit einem Satz, der auch den Titel des Buches trägt: "Auf einem Schiff, das dampft und segelt, gibt es einen, der die Sache regelt. Und das bin ich." Besiegt hat Westerwelle Möllemann nicht, das tat der später mit dem Antisemitismusstreit selbst.

Welcher Partei Westerwelle schon als Generalsekretär diente, bevor er Wolfgang Gerhardt als Parteichef entmachtete, macht folgende Episode deutlich: Nach der verlorenen Wahl 1998 ist die FDP-Bundestagsfraktion die älteste, "sie betrachtet den Regierungswechsel als Betriebsunfall", schreibt Sattar. Damals faxten die FDP-Außenpolitiker noch immer ihre Wünsche und Bedenken ans Auswärtige Amt, wo jahrelang Hans-Dietrich Genscher gesessen hatte. Nun faxten sie noch immer - an Joschka Fischer. Die Faxnummer war noch im Verteiler. Als Westerwelle das merkt, "dachte ich, ich werde wahnsinnig", zitiert ihn Sattar. Was die Renovierung seiner Partei angeht, hat Westerwelle durchaus viel bewegt: Heute ist die Fraktion jung, und es gibt Nachwuchs in den Bundesländern. Nur zur Regierungspartei im Bund hat er die Liberalen noch nicht wieder machen können.

Politisch betrachtet, ist das nicht sein einziger Makel. Westerwelle hat es bis heute nicht geschafft, einer breiten Öffentlichkeit sympathisch zu erscheinen. Noch immer wirkt er seltsam unsouverän. Als Angela Merkel, seine Duz-Freundin, bei deren 50. Geburtstag er erstmals im öffentlich-politischen Raum seinen Freund mitbringt, im Bundestag umherläuft und er redet, sagt er: "Frau Bundeskanzlerin, könnten sie mir einen Moment ihre Aufmerksamkeit widmen. Hier spricht ihr Wunschpartner." Beleidigt sein, schlagfertig sein - das sind bei Westerwelle zwei Seiten einer Medaille. Sattar schreibt: "Er ist eitel und lernbegierig, er schaut sich Auftritte auf Video an." Westerwelle studiert sich und seine Gesten akribisch, gerade in der politischen Rede, seiner Paradedisziplin. Auf keinen Fall will Westerwelle hier versagen. Ohnehin ist die Angst vor dem Versagen der größte Antrieb für seine Professionalität - und Grund seiner Unsicherheit. Was Sattar nicht schreibt, sind die Folgen dieser Art von Professionalität: sie wirkt aufgesetzt.  Von Armin Lehmann


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