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Harald Martenstein.

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Harald Martenstein: Unter Buchmessdienern

Harry Rowohlt isst Salat, Dieter Bohlen zeigt Zähne, das E-Book bittet um Geduld, einem Verlag wird der Kredit gekündigt - vor allem aber wird viel geschrieben. Auch dieser Text hier.

Für schreibende Menschen ist die Frankfurter Buchmesse ein sowohl reizvoller als auch deprimierender Ort. Reizvoll klingt die Information, dass Hape Kerkeling drei Millionen Hardcover verkauft hat, von seinem Wanderbuch. Deprimierend dagegen klingt die Information, dass alle Bücher herausbringen, alle, auch du, auch ich, auch Ruth Maria Kubitschek.

Ruth Maria Kubitschek hat ein Buch über Ruth Maria Kubitschek gemacht.

Es wird wirklich wahnsinnig viel geschrieben. Alles ist schon geschrieben worden, manches sogar gut. Jede einzelne gottverdammte Geschichte gibt es garantiert schon irgendwie. Auch diesen Text hier. Es hat im Grunde keinen Zweck zu schreiben. Muss man denn unbedingt über die Frankfurter Buchmesse schreiben? Sollte man nicht besser die Klappe halten?

Eckart von Hirschhausen hat ein Buch über Strandkörbe gemacht.

Auf der Fahrt nach Frankfurt treffe ich im Speisewagen den Übersetzer und Autor Harry Rowohlt. Harry Rowohlt hat ein Buch über Pferde gemacht. Außerdem will Harry Rowohlt als geladener Gast an dem Mohammed-Ähnlichkeitswettbewerb teilnehmen, den das Satireblatt „Titanic“ anlässlich der Buchmesse im Frankfurter Historischen Museum veranstaltet. „Titanic“-Experten wollen herausgefunden haben, dass der Koran zwar Abbildungen des Propheten verbietet, nicht jedoch das Auftreten von Doubles. Zu Doubles bezieht der Koran nicht eindeutig Stellung.

Harry Rowohlt isst einen Salat, aus dem er mit der Gabel die Käsestreifen herauspult, den Käse legt er auf ein Stück Brot und übergießt das Ganze mit thailändischer Soße. Die Soßenflasche führt er immer mit sich. Wir stellten fest, dass wir beide nicht an das E-Book glauben. Das E-Book, der Computer zum Lesen, stellt angeblich die Zukunft des Buches dar, angeblich ist dies das große Thema der Buchmesse 2008.

Harry Rowohlt sagte, dass er oft in der Badewanne liest, dabei fällt ihm manchmal das Buch ins Wasser. Er legt es dann auf die Heizung. Um bei ihm zu Hause überhaupt annähernd konkurrenzfähig zu sein, müsste ein E-Book so etwas abkönnen. Ich sagte, dass ich oft Bücher verliere. Das E-Book kostet 300 Euro. Außerdem unterstreiche ich gerne wichtige Sätze. Ich bin nicht bereit, meine Gewohnheiten aufzugeben, bloß wegen der verdammten E-Book-Blase.

Rowohlt sagt, dass die Schriftstellerin – so nannte man früher die Bestsellerautoren! – Ingeborg Bachmann etwas mit dem DDR-Bestsellerautor Peter Huchel gehabt habe. Bachmanns Briefwechsel mit einem anderen Geliebten, dem Bestsellerautor Paul Celan, ist gerade ein Bestseller. Ingeborg Bachmann war überhaupt ein wilder Feger, die Carla Bruni der Gruppe 47. Heute würde Ingeborg Bachmann jede Woche in der „Gala“ stehen.

Rowohlt fragt, ob ich wisse, dass Naomi Campbell die erste Prominente sei, die ihre Autobiografie nicht nur nicht selber geschrieben habe. Sie hat ihre Autobiografie nicht einmal gelesen. Wenn man sie auf ihre Autobiografie anspricht, sagt sie: „Keine Ahnung, was da drinsteht.“

Elke Heidenreich hat ein Buch über Italien gemacht.

Frankfurt ist auch die Bankenstadt. Der erste Frankfurter Verlag, den es wegen der Bankenkrise möglicherweise erwischt, heißt Stroemfeld, ehemals „Roter Stern“. Ein linkes Projekt mit bewegter Geschichte, gegründet 1970. Sechs Arbeitsplätze. Der Chef, K. D. Wolff, war eine große Nummer beim SDS, inzwischen hat er sich in einen gemütlichen älteren Herrn verwandelt, Typus Genießer, der teure Kafka- und Hölderlinausgaben herausbringt. Die Bank hat, weil ihre Blase platzt, Stroemfeld ohne Vorwarnung den Überziehungskredit gekündigt, 100 000 Euro.

Für die 100 000 gibt es einen Bürgen, einen linken reichen Menschen, der anonym bleiben möchte. Gerade erst haben sich die Banken vom Staat an die 500 Milliarden Bürgschaft geben lassen, man erinnert sich: Die haben als Zocker massenhaft Kredite ohne Sicherheiten vergeben. Auf Wolffs sichere Bürgschaft aber pfeift die Bank. Sie will Cash sehen. Jetzt sitzt Wolff an seinem winzigen Buchmessenstand und bittet um Spenden. Er kann das alles gar nicht begreifen, sein Verlag sei doch seit Ewigkeiten Kunde bei dieser Bank, habe niemals gezockt und immer alle Schulden beglichen. Seinen Frieden mit dem Kapitalismus hat K. D. Wolff zu früh gemacht. Die Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth setzt sich für den 68er-Verlag ein. Eine CDU-Frau.

Cem Özdemir hat ein Buch über die Türkei gemacht. Cem Özdemir trägt Koteletten, die länger sind als die Haare der Beatles bei ihrem ersten Nummer-eins-Hit.

Es ist überraschenderweise gar nicht so einfach, auf der Buchmesse überhaupt ein E-Book zu finden. Erst heißt es am Infostand, sie sind in Halle 6, dann wird man in Halle 3 geschickt. Am Ende landet man in Halle 4, dort, beim Börsenverein des deutschen Buchhandels, sind genau zwei E-Books vorhanden sowie ein Herr, der sie mühsam vorzuführen versucht. Das „Kindle“ – klingt wie schwäbisches Bier, ist aber das angeblich neueste und beste E-Book von Amazon – gibt es noch gar nicht. Stattdessen nur einen Apparat von Sony und einen, der „Readius“ heißt. Die Apparate haben schwarz-weiße Displays, auf denen nicht viel Text Platz hat, beim Umblättern flackert es unangenehm. Auf dem Display erscheint auch auffällig oft die Formulierung „Please wait“.

Der Vorführer drückt verzweifelt auf den Tasten herum und sagt: „Das sind Prototypen. Die nächste Modellversion wird ausgereifter sein.“ In diesem Moment leuchtet wieder „Please wait“ auf. Vor dem E-Book muss bis auf weiteres keiner Angst haben. Womöglich ist auch das E-Book nur eine Blase. Der Kapitalismus ist sowieso erst mal unglaubwürdig.

Die bekanntesten Besucher und geistigen Antipoden der Buchmesse sind in diesem Jahr der Rapper Bushido, der seine Biografie von einem Ghostwriter hat verfassen lassen, und Dieter Bohlen. Letzterer hat, ähnlich wie Oliver Kahn, einen Lebensratgeber verfasst, „Der Bohlenweg“, Untertitel: „Planieren statt sanieren“. Dieses Buch, schreibt der Autor, „braucht die Welt wie der kleine Dieter seinen Piepmatz“.

Wer es schafft, seine Ressentiments gegen Bohlen und seinen Ton zu überwinden, wird feststellen, dass es gar kein dummes Buch ist. Der Musiker predigt seinen vermutlich meist jungen Lesern fast auf jeder Seite protestantische Ethik, Leistungsprinzip und Abschied von Illusionen. „Das Leben ist kein Ponyhof, wer etwas anderes erzählt, der lügt. Es gibt nur eine Wahrheit, und das ist Arbeit.“

Bohlen ist gar nicht so weit weg von Reich-Ranicki, ein strenger, manchmal auch gütiger Patriarch, einer, der Klartext redet. Seid froh, wenn euch einer ehrlich kritisiert, schreibt Bohlen, der meint es besser mit euch als ein pseudonetter Heuchler. In einer Umfrage unter Jugendlichen hat eine Mehrheit gesagt, dass sie einen wie Bohlen gerne als Vater hätte.

Das Gegenteil des Trashbuches, für das Bushido, Kahn und Bohlen stehen, hat der Gewinner des Deutschen Buchpreises vorgelegt, Uwe Tellkamp mit seiner 1000-seitigen DDR-Saga „Der Turm“. In seinen Interviews auf der Messe erzählt Tellkamp, dass sein Text sogar den Verlagsleuten bei Suhrkamp, dem Intellektuellenverlag, zuerst ein bisschen sperrig vorkam. Sie hätten gesagt: „Muss das sein?“ Tellkamp hat daraufhin 130 Seiten gekürzt. Nach der Preisverleihung ist er schnell ins Hotel gegangen, hat um 21 Uhr 45 im Hotelzimmer noch ein Gedicht geschrieben und ging dann, wie jeden Tag, um genau 22 Uhr zu Bett. Das ist halt ein Suhrkamp-Autor.

Irene Dische hat einen neuen Roman geschrieben. Seit ich ein Bub war, unter Adenauer oder Willy Brandt, ist auf ihren Buchklappen immer das gleiche Foto einer jungen Frau abgebildet. Inzwischen will ich das gar nicht mehr anders haben. Irene Dische, das ist ein Monument des ewig Weiblichen wie die Nofretete. Beim E-Book gibt es keine Buchklappen und keine Autorenfotos. Also, nein.

Am Abend feiert der Rowohlt-Verlag mit einer großen Party im Kunstmuseum Städel seinen 100. Geburtstag, parallel dazu findet der traditionelle Suhrkamp-Empfang in der Villa des toten Verlegers Unseld statt. Das Erdgeschoss ist unverändert geblieben, ein Unseld-Museum, im Obergeschoss soll die Witwe Ulla Berkéwicz umgebaut haben. Kritiker, die Berkéwicz’ letzten Roman nicht gut fanden, wurden nicht eingeladen, das halten sie bei Suhrkamp ganz ähnlich wie in der Volksrepublik China.

Diejenigen, die hineindurften, äußern sich hinterher im Städel überschwänglich über Ullas Performance, sie habe wieder mal hinreißend mit den Augen gerollt und lautlos geseufzt, diese Frau sei Deutschlands expressivste Schauspielerin seit dem Stummfilmstar Pola Negri. Bei Rowohlt dagegen werden die putzmuntere Inge Feltrinelli und die Witwe von C. W. Ceram gesichtet. Dann geht auf der Party plötzlich das Gerücht umher, die „Frankfurter Allgemeine“ sei pleite, Feuilletonisten aus allen möglichen Blättern wollen davon gehört haben. Die „FAZ“ habe mit ihren Kapitalreserven gezockt und alles verloren. „Die ,FAZ‘ wird schon irgendwie fehlen“, sagt einer von der „Süddeutschen“ nachdenklich. Nach einer Weile kommt heraus, dass Redakteure der „Tageszeitung“ das Gerücht in die Welt gesetzt haben, nur zum Spaß, um die Nervosität der Szene zu testen. Ergebnis: Die Nervosität der Szene ist groß.

Anne Golon (94) schreibt gerade an ihrem dreizehnten „Angélique“-Roman, sie ist wirklich eine reizende alte Dame.

Zu Dieter Bohlens Pressekonferenz kommen mehr Leute als zu der des neuen Nobelpreisträgers, dessen Namen sich keiner merken kann. Die beiden ersten Bücher Bohlens haben es jeweils auf Platz eins der Bestsellerliste geschafft. „Der Bohlenweg“ steht auf Platz vier. Bushido war Nummer eins.

Dieter Bohlen zeigt seine weißen Zähne. Eine Journalistin, die bei ihrer Vorstellung den Namen ihres Blattes vernuschelt, eine Frauenzeitschrift offenbar, fragt er grinsend: „Kommen Sie von ,Frau im Koma‘?“ Er betont, dass er diesmal jede Zeile selber geschrieben hat, ohne seine Ghostwriterin Dr. Katja Kessler. Auf Malle, also Mallorca. Es gebe auf der Welt genug Vollpfosten, die ihre Bücher selbst schreiben, also könne er das auch. Im Gegensatz zu gewissen Rappern, die mit „B“ anfangen und die es ohne Ghostwriter offenbar nicht packen.

In Bushidos Buch geht es hauptsächlich um Sex und Drogen. Bushido ist stolz darauf, ungebildet zu sein. Bohlen sagt: „An Disziplin und Arbeit glaub ich einfach. Bildung, Ausbildung. Geld kannst du wieder verlieren, Bildung kann dir keiner nehmen.“ Sein Sohn studiert Jura, die Tochter fängt demnächst mit Medizin an.

Im „Bohlenweg“ schreibt Bohlen auch, dass er früher Reitpferde gehabt hat, die musste er dauernd füttern. Inzwischen hat er gelernt, dass es praktischer sein kann, sich ein Pferd zu leihen. So weise ist er inzwischen. Bohlen sagt: „Das ist alles Sülze, was Bushido erzählt.“ Das Leben sei, statt eines Ponyhofes, ein Marathonlauf. Bushido ist gerade erst bei Kilometer zwei. Gibt an mit seinem Stundenlohn von 80 000 Euro. Nino de Angelo hat 50-mal so viel Platten verkauft wie Bushido, sagt Bohlen, heute ist Nino de Angelo pleite.

Eigentlich könnte der Gegensatz zwischen Bushido und Dieter Bohlen, Spaß versus Arbeit, Kaufpferd versus Leihpferd, so etwas hergeben wie einen neuen Historikerstreit, oder wie Reich-Ranicki gegen Gottschalk, man könnte sie im Fernsehen gegeneinander debattieren lassen, naturgemäß bei RTL. Zu Reich-Ranicki sagt Bohlen: „Wenn ich einem Kandidaten bei ,Deutschland sucht den Superstar‘ sage, du singst scheiße, muss RTL Strafe zahlen. Wenn Reich-Ranicki sagt, das gesamte Fernsehen ist Dreck, findet man das okay.“

So unterschiedlich sind die Kulturen. Nun müsste man wohl zum Mohammed- Ähnlichkeitswettbewerb gehen. Aber der Museumschef und der Kulturdezernent haben den Wettbewerb kurzfristig abgesagt, da bei dem erwarteten großen Andrang für die Sicherheit der Besucher nicht garantiert werden könne. Es gab keine konkrete Drohung. Das Verbot hat vorbeugenden Charakter. Freiheit, so heißt es doch schon bei Rosa Luxemburg, ist immer die Freiheit desjenigen, der nicht den Islam beleidigt. Was aber würde passieren, wenn Marcel Reich-Ranicki bei der nächsten Gala sagt, noch schlimmer als Comedy im Fernsehen sei eigentlich nur Mohammed?

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