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Ilja Trojanow: Zur Wahrheit verfälschen

Es gibt keine Heimat, die nicht zur Fremde werden könnte: Ein Besuch bei dem Schriftsteller Ilija Trojanow in Wien.

Es gibt in Ilija Trojanows Roman „Der Weltensammler“ eine Stelle, die man als poetologische Selbstauskunft deuten kann, als eines der Credos des Schriftstellers Trojanow. Der Schreiber, der Lahyia, den Richard Burtons indischer Diener Naukaram engagiert hat, damit er sein Leben und das seines Herrn notiert, bemerkt plötzlich, wie viel Spaß es ihm macht, diese wahre Geschichte nicht nur aufzuschreiben, sondern sie auch auszuschmücken und ihr Eigenleben führen zu lassen. „Das ist wahre Gewissenhaftigkeit“, denkt der Lahyia, „die Geschichte zur Wahrheit zu verfälschen“.

Besucht man Ilija Trojanow in seiner Wohnung im lauschig-hippen Servitenviertel in Wiens Neuntem Bezirk, erfährt man schnell, wie viel wahre Geschichten er auf Lager hat. Und wie er diese für sich möglicherweise dreht, wendet und auf ihre Tauglichkeit prüft, sie zu Literatur oder gar zu einer Wahrheit verfälschen zu können. Kaum hat man die Schuhe ausgezogen und einen neuen Lesesessel probegesessen, nimmt Trojanow das von ihm offerierte Glas Weißwein zum Anlass, ins Erzählen zu kommen. In Südafrika habe er sich viel mit Wein beschäftigt, gar Lehrgänge absolviert, sagt er und kommt sogleich auf die bemerkenswerte Odyssee eines österreichischen Winzerpärchens zu sprechen. „Die beiden lagern ihren Wein in Tonkrügen, die in die Erde eingelassen werden, was sonst nur in Georgien gemacht wird. Dorthin sind sie gereist, um sich über diese Methode auszutauschen, ausgerechnet in der Woche, in der der Süd-Ossetien-Krieg ausbrach. Und beide mittendrin. Sie mussten nach Armenien, haben dort aber auch Winzer getroffen, die mit Tonkrügen arbeiten. Vermutlich ist das wie bei Schriftstellern oder jeder anderen Berufsgruppe: Man erkennt sich.“

Ilija Trojanow ist an diesem Freitagnachmittag in Empfangs- und Gesprächslaune. Am Mittag waren schon zwei Mitarbeiter des Piper Verlages zu Besuch, um mit ihm über den weiteren Umgang seiner Bücher bei Piper zu sprechen. Ein aktuelles „Geo“-Heft auf dem Wohnzimmertisch mit einer Trojanow-Reportage über Indien deutet zudem auf Gespräche über neue Buchprojekte hin.

Trojanow ist ein gefragter, vielbeschäftigter Schriftsteller, seitdem er 2006 mit „Der Weltensammler“ den Preis der Leipziger Buchmesse gewann und von dem Roman eine halbe Million verkauft hat. Doch hat ihn dieser Erfolg nicht überrollt. Denn im hiesigen Kulturbetrieb mischt er schon seit zwanzig Jahren mit – zuerst als Leiter des von ihm gegründeten Marino Verlags, dann als durchaus beachteter Autor, der mit einem Auszug des Romans „Die Welt ist groß und Rettung lauert überall“ beim Bachmann-Lesen in Klagenfurt debütierte. 1998 verkaufte er den Verlag, um nach Bombay überzusiedeln und für den „Weltensammler“ zu recherchieren, lange Jahre, auf die Aufenthalte in Afrika und eine Pilgerreise nach Mekka folgten.

Trotzdem kommt ihm die jetzt überbordernde Aufmerksamkeit entgegen. Er nutzt die Konjunktur, die er hat. Fast nicht mehr zu zählen sind die Bücher, die Ilija Trojanow in den letzten zwei Jahren herausgegeben, kompiliert, mitgeschrieben oder selbst geschrieben hat, in Verlagen wie Hanser (sein Stammverlag), Piper oder Blessing. Doch weiß er auch um die Tücken des gewachsenen Interesses: „Ich habe manchmal den Eindruck, zu freundlich zu sein. Ich muss lernen, öfter Nein zu sagen.“ Tatsächlich überlegt er, „einen Assistenten für den organisatorischen Kram einzustellen, der mich vom Schreiben abhält“. Und vom Recherchieren. Denn dieses ist unablässig für sein Schreiben, es produziert erst die Geschichten, die sich zur Wahrheit verfälschen lassen. „Zumeist sitzen Autoren aber am Schreibtisch und erinnern sich ihres Körpers erst dann, wenn der Rücken zu schmerzen beginnt oder die Beine taub werden“, so hat er es 2007 in einer Rede als FU-Gastdozent formuliert: „Recherche ist die Wiederaufnahme des Körpers, und der Körper bedankt sich mit eigenen Einsichten.“

Und obwohl Ilija Trojanow sich seit langem wieder einmal häuslich eingerichtet hat – erstmals in seinem Leben auch mit einer Bibliothek –, obwohl die Stadt Wien für ihn fester Anlaufpunkt werden soll, gehört das Unterwegssein, die immerwährende Auseinandersetzung mit dem Anderen, dem vermeintlich Fremden nach wie vor zu seinem Lebensstil. „Es gibt keine Heimat, die nicht zur Fremde werden könnte, und umgekehrt“, hat Trojanow geschrieben, und: „Die Auseinandersetzung mit dem Unbekannten hält mich in einem Zustand flimmernder Ungewissheit.“

Indien, Brasilien, Patagonien und die Schweiz waren Trojanows letzte Stationen. Die Reisen nach Patagonien und in die Schweiz hatten konkret mit einem Romanprojekt zu tun. „Ich schreibe einen Roman über einen Gletscherforscher, dem der Gletscher wegschmilzt. Mich interessiert, was passiert, wenn ein Wissenschaftler seinen lebenslangen Forschungsgegenstand verliert, was das für seine Psyche, sein Leben bedeutet. Wenn einer vom Fach mir sagt, dass sei alles Quatsch, lasse ich das sofort. Nicht jede Idee taugt ja was. Ich habe also in der Schweiz einen Gletscherforscher getroffen und ihm von dem Roman erzählt, und der hat mich ganz erstaunt angeblickt. Der war geradezu erschüttert, da ihn und seine Kollegen genau das umtreibt.“ Gehören nun Gletscherforscher nicht gerade zu einer Berufsgruppe, über die man viel weiß, so sind wiederum Schriftsteller nicht die Sorte Mensch, die gern über zukünftige Bücher redet. Außer Ilija Trojanow. Freimütig berichtet er nicht nur über ein Buch, das er gerade mit Juli Zeh über „Innere Sicherheit“ schreibt, darüber, wie viele Staaten Europas ihre Bürger immer gläserner zu machen versuchen. Sondern er erzählt auch von einem ein anderen Romanprojekt, einem Gesellschaftspanorama Bulgariens nach dem Zusammenbruch des Sozialismus. Hauptfiguren darin: ein Angehöriger der Staatssicherheit und ein Bürgerrechtler. „Der eine wird mit seiner Tochter konfrontiert, von deren Existenz er nichts wusste. Seine Tätigkeit reflektiert er auch vor dem Hintergrund dieser plötzlichen Vaterschaft. Der andere findet nach und nach unter der wie üblich nur scheibchenweise stattfindenden Herausgabe seiner Stasi-Akten heraus, wie sich seine Wahrheit mit den Aufzeichnungen der Stasi überkreuzt und dann wieder konträr dazu verhält.“

Die Exposition erinnert an eine ältere Reportage von Trojanow, „Bulgariens Kohlhaas“, entstanden 2003. Ilija Trojanow bestätigt, dass diese eine Art Blaupause für sein Romanvorhaben gewesen sei. Und er bestätigt, gern aus seinem biografischen Fundus zu schöpfen. Bulgarien ist für ihn ein Quell ständigen Interesses, es ist das Land, in dem er 1965 geboren wurde und das er 1971 mit seinen Eltern erst Richtung Deutschland, später Kenia verlassen hatte. Die Probleme so mancher seiner Kollegen, gerade die der Stofffindung, sind Trojanow jedoch völlig unbekannt. Er strotzt geradezu vor Kreativität: „In meinem Computer lagern bestimmt zwanzig Ideen für Texte oder Bücher. Ich habe das Gefühl, das Schreiben erst jetzt richtig zu beherrschen. Ich befinde mich sozusagen auf der Höhe meiner eigenen Literatur, und das beflügelt mich.“

Die Frage, ob er sich vielleicht verschwende, verausgabe, verneint er. Auch die Gefahr, den Markt mit Trojanow-Büchern überzustrapazieren, sieht er nicht. Dafür kenne er das Geschäft zu gut. Schon als Verleger habe er immer genau gewusst, wie er seine 1000er-Auflagen verkaufe. Und dafür, merkt er noch selbstbewusst-fragend an, sei er auch zu sehr auf der Suche nach dem „Kern der Wahrheit“, ohne diesen genau benennen zu können, auf der Spur der „Wirklichkeit von anderen“. Wozu wiederum eine Offenheit gehört, die sich auch auf die eigene Privatsphäre erstreckt. Denn plötzlich fällt Ilija Trojanow ein, dass er ja noch ein Bett bereiten muss für einen weiteren Besuch aus Deutschland: „Der Mann, der in Berlin die ‚Lettre‘ verkauft, kennen Sie den?“

Spricht’s, zieht ein Laken über eine Matratze und erzählt dann noch die Geschichte, wie er zu seiner schönen, in einem der attraktivsten Wohnviertel Wiens gelegenen Wohnung gekommen ist. Diese Geschichte aber sei, fügt er an, eine wirklich private. Weitere Verwendung, auch von seiner Seite: ausgeschlossen.

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