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Klüssendorf-Erzählungen "Amateure": Liebesrausch mit Kater

Angelika Klüssendorf erkundet in ihren Erzählungen die privaten Folgen der Wiedervereinigung

Die ersten Sätze schlagen schon die beiden Leitmotive an. „Edna hatte Moritz am neunten November kennengelernt, sie waren sich beim Fall der Mauer entgegengeklettert, er von der einen Seite Berlins und sie von der anderen. Sie hatten einander in den Armen gelegen, zwei völlig fremde Menschen, ihr Bild wurde sogar in den Nachrichten gezeigt, sie tauschten in dieser Nacht Telefonnummern, Adressen und einen Kuss.“ Das ist der Paukenschlag rauschhafter Begegnungen im Einigungstaumel. Es folgen Moll-Akkorde und Dissonanzen: „Dann verloren sie sich wieder aus den Augen.“ Das Politische in Angelika Klüssendorfs neuem Erzählungsband „Amateure“ ist privat: Meist sind es Männer aus dem Westen, die sich nach dem Mauerfall an Ost-Frauen heranmachen und sie mit biederem Balzgehabe zu erobern suchen. Der Moment der Euphorie ist kurz, das Elend lang.

Angelika Klüssendorfs Short-Cuts durch die west-östlichen Beziehungslandschaften sind so trübe wie die Stimmung 20 Jahre nach dem Mauerfall: keine Zuversicht, nirgends. Ob die Figuren Moritz heißen oder Steffen, Edna oder Wiebke – sie bekommen alle nicht, was ihnen vorübergehend von den Hormonen vorgegaukelt wurde und was sie sich vom Glück erträumt haben. Noch schlimmer: Sie wissen nicht einmal so recht, was ihre Träume sind. Pathos ist ihnen gleichwohl fremd; nur manchmal wird ihnen ein bisschen viel schwülstige Verlorenheit zugemutet: „Selbst das Sterben ist ihm zu anstrengend geworden.“

Die 1958 in Ahrensburg geborene und bis zu ihrer Übersiedlung in die Bundesrepublik 1985 in Leipzig aufgewachsene Autorin, die vor einigen Jahren in ihrem Episodenroman „Alle leben so“ subtil Verliererbiografien zwischen Ost und West miteinander in Beziehung setzte, glaubt erzählerisch an die Lakonie der Gefühle. Und überlässt ihre Vereinigungsverlierer doch manchmal allzu leichtfertig dem Klischee. Die West-Männer sind weltgewandt, großspurig, arrogant und im innersten Kern bemitleidenswerte Kleinkinder; die Ost-Frauen ein bisschen unbeholfen, skeptisch und anschlussbedürftig zugleich, nachdenklich, und Englisch können sie auch nicht recht.

Das Hochgefühl des ersten Augenblickglücks überdauert kaum ein paar Wochen, aber da ist es meist schon geschehen: Wiebke beispielsweise bekommt Zwillinge, aber die sogenannte Mutterliebe ist irgendwo in ihr verschollen. Der Vater dieser Söhne hatte zuvor mit Edna angebandelt – und die, zunächst beeindruckt, musste schnell konstatieren, dass es mit der Liebe und dem Mann nicht weit her ist: „Er hatte keine Ahnung, dachte sie.“

Einige Jahre und einen Beziehungsbruch später macht einer der Zwillingssöhne Jagd auf den spielsüchtigen Vater, im Internet, per Computergame und Mausklick. Regression und symbolischer Vatermord kommen hier zusammen. Georg, der Bruder von Moritz, wird über dem Unglück, sein Coming-out verpasst zu haben, zum Bankräuber – als er sich ins Ausland absetzen will, stürzt sein Flugzeug ab. Und die Mutter von Moritz und Georg hat alles fast schon hinter sich: Sie wartet im Altersheim auf den Tod und spielt im Kopf mit ihren Erinnerungen – „was wäre aus ihr geworden, hätte sie ihre Wünsche zugelassen und nur einen davon gelebt“.

Klüssendorfs Kurzgeschichten sind untergründig miteinander verknüpft und stehen doch für sich allein. Manches wird aus anderer Perspektive und aus zeitlichem Abstand noch einmal neu erzählt. Verbindet man die Handlungsfäden miteinander, ergibt sich eine Art Roman des Scheiterns: Hoffnungsschimmer sucht man in diesen sprachlich mager instrumentierten Texten vergeblich. Das wäre nicht schlimm. Aber diese kunstvoll kunstlose Trostlosigkeit hat auch etwas Aufgesetztes: Sie boykottiert mitunter die Vielschichtigkeit der Figuren und spannt diese ein in eine Parabel über das, was zusammenwachsen sollte und nicht zusammengewachsen ist.

In den stärksten Momenten der elf Erzählungen aber vergisst man, dass hier ein Buch zum Saisonthema „20 Jahre Mauerfall“ vor einem liegt. Dann liest man Sätze, die gar keine politische Bedeutungsaufladung nötig hätten: „Aus den Augenwinkeln sah sie einen Mann schnell auf sich zukommen, und es dauerte eine Weile, bis sie begriff, dass es Steffen war. Da entsann sie sich, dass sie ihn schon die ganze Zeit etwas fragen wollte, aber sie kam einfach nicht dahinter, was es war, was sie überhaupt von ihm wollte.“ Weil hier jeder auf sich bedacht ist, sieht er den anderen nicht. Selbst in den intimsten Augenblicken spiegelt sich das eigene Ich noch im Gegenüber. So leben sie aneinander vorbei und nicht aufeinander zu. Klüssendorfs Figuren bleiben von Beginn an Amateure, in der Liebe und im Leben. Und sind uns deshalb oftmals so vertraut.

Angelika Klüssendorf: Amateure. Erzählungen. S.-Fischer-Verlag, Frankfurt a. M. 2009. 144 Seiten, 16,95 €.

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