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Lesung: Innenminister von außen

„Das Wesen der Politik ist die Macht": Joschka Fischer und Michael Kumpfmüller streiten über das wahre Wesen des Politikers.

Die fetten Jahre schienen vorbei. Doch Extreme neigen bekanntlich dazu, eine Anziehung in Richtung des vermeintlich Überwundenen zu entwickeln, um so das gestörte innere und äußere Gleichgewicht wieder herzustellen. Insofern beschreibt die Entwicklung des Ex-Außenministers Joschka Fischer vom pausbäckigen Schwergewicht zum asketischen Läufer und Selbstbezwinger und zurück eine Art natürlicher Pendelbewegung, die vor allem eines lehrt: Die Macht des Menschen, auch des politisch Tätigen, über die Geschicke und über sich selbst, ist begrenzt. Und dennoch braucht die Politik den Willen zur Macht, zur Selbst- und Weltgestaltung. Diese Ansicht vertritt Joschka Fischer am Dienstag in der Akademie der Künste im Gespräch mit Michael Kumpfmüller, Autor des vor wenigen Tagen erschienenen Romans „Nachricht an alle“ über einen westeuropäischen Innenminister in der Krise.

„Die wirklich politischen Menschen sind die, die Geschichte tatsächlich mitgestalten wollen“, so Fischer, „Das Wesen der Politik ist die Macht.“ Wie sie organisiert werde, sei die Frage. Bei der Figur des Innenministers Selden vermisse er das „Sich-Verbrennen und „Sich-Verzehren“ im Dienste der Politik. „Ich verstehe einfach nicht, was diesen Selden antreibt“, entflammt sich Fischer, „vielleicht ist das ja eine typische 68er-Frage!“ Vielleicht aber auch die Frage eines Menschen, der nur ganze Sachen macht und sich mit weniger als der totalen Hingabe bei sich und anderen nie zufrieden geben würde - selbst bei literarischen Figuren nicht.

Kumpfmüller verteidigt seinen Selden: Es fänden sich genug Hinweise im Buch, warum er in die Politik gegangen sei. „Visionen hat er vielleicht nicht, dafür aber eine elaborierte, engagierte Auffassung von Krisenmanagement ähnlich der Ihren als damaliger Außenminister, Herr Fischer.“ Der wehrt sich aber auch im weiteren Verlauf des Abends gegen die Deutung des respektive seines Politikerwesens durch die Literatur.

Schon einer der ersten Sätze Fischers ließ vermuten, dass dort als Vertreter einer realen und einer fiktionalen Sicht auf Politik zwei Königskinder miteinander diskutieren, die qua Erfahrungswelt und Intention gar nicht zueinanderfinden können: „Die politische Literatur hat der Politik in den letzten Jahren nicht gefehlt, es gab kein spürbares Defizit.“ Keiner der Anwesenden, Verleger Helge Malchow und Moderator Hinrich Schmidt-Henkel eingeschlossen, stellt die Frage nach dem politischen Moment von Literatur, ihrer Aufgabe in einer Demokratie, die laut Fischer für alle Beteiligten so offen einsehbar sein müsse wie „ein Null ouvert“. An diesem Punkt trifft er sich dann doch mit Kumpfmüller, der sich in der Hoffnung auf den ihm zunächst fremden Gegenstand der Politik eingelassen habe, dass er „als mündiger Bürger in einer Demokratie eigentlich alles erkennen müsse.“

Da habe das Buch recht, so Fischer, es gäbe keine Mystik, kein Geheimnis in der Politik. „Nur hinter jeder neuen Tür der Macht einen weiteren leeren Raum mit schönen Fenstern.“

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