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Literatur BETRIEB: Das große Stofflager

Gerrit Bartels über die vielfältigen Professionen junger Schriftsteller

Auf einmal machte es laut „Rumms“ im LCB. Ein älterer Herr war mit seinem anscheinend kaputten Plastikstuhl unsanft auf dem Allerwertesten gelandet, und irritiert unterbrach Uwe Tellkamp die Lesung aus seinem Roman „Der Turm“ und fragte besorgt: „Brauchen Sie Hilfe? Muss ich wieder in meinen alten Beruf zurückkehren?“ Hilfe benötigte der Mann zum Glück nicht, weshalb der Schriftsteller sich auch den Scherz mit seinem Erstberuf erlauben konnte. Tellkamp ist Arzt und arbeitete jahrelang in der Chirurgie, genauer: der Unfallchirurgie. Nach dem Gewinn des Bachmann-Wettbewerbs 2004 entschloss er sich, die Facharztausbildung zum Unfallchirurgen nicht fortzusetzen und ausschließlich als Schriftsteller zu arbeiten.

Die Medizin spielt jedoch weiter eine Rolle bei ihm. So kann er in Interviews etwa unter Ärzten kursierende, nicht ganz ernst gemeinte Selbsteinschätzungen zum besten geben: „Internisten wissen alles und können nichts. Chirurgen können alles und wissen nichts. Und Pathologen können alles, wissen alles, kommen aber leider immer zu spät.“ Oder er sagt, die Chirurgie habe ihn zur „Genauigkeit“ erzogen, was ihm nun beim Schreiben zugute komme. Und nicht zuletzt ist sein Erstberuf ein nicht ganz kleines Stofflager: „Der Turm“ ist unter anderem auch ein Arztroman. Das erinnert an Heftchengeschreibsel, bedeutet bei Tellkamp aber gleichfalls große Literatur. Das Kapitel „In unserer Hand“, in dem einer von den drei „Turm“-Hauptfiguren, der Handchirurg Richard Hoffmann, sich über das Wesen von Händen Gedanken macht („Hände erzogen zur Sparsamkeit, zumindest den Operateur. Es gab keine überschüssige Haut. Wunden konnte man nicht, wie sonst üblich, großzügig ausschneiden“), gehört zu den Höhepunkten von Tellkamps Großroman.

Uwe Tellkamp bildet unter den Schriftstellern keine Ausnahme, auch Rainald Goetz oder Jens Petersen sind ausgebildeter Mediziner. Auch andere Autoren haben „ordentliche“ Berufe erlernt, was sich in ihren Büchern oft thematisch spiegelt. Ulrich Woelk und Ralf Bönt sind Physiker, Bernhard Schlink ist Jurist, Ernst-Wilhelm Händler Wirtschaftswissenschaftler und Unternehmer, um nur einige zu nennen. Sie alle gehen dezent mit ihren Erstberufen um. Erinnert sei hier aber auch an die lange Zeit herrschende Mode und Unart gerade junger Schriftsteller, jeden noch so kurz ausgeübten Hiwi-Job mit in die Biografie hineinzuschreiben – des vermeintlichen Glamours halber, von der Lieferfahrerei über das Führen eines Krans bis zur Arbeit auf dem Bau. Oder der Tätigkeit als Schlafwagenschaffner. Diese gibt Steffen Kopetzky, Jahre nach der Veröffentlichung seines in Zügen und Bahnhofshallen spielenden Romans „Grand Tour“, auch jetzt wieder in der Kurzbiografie für seinen neuen Roman „Der letzte Dieb“ an.

Um diesen zu feiern und zu bewerben, lud sein Verlag neulich zu einem der beliebten Medienessen, auf dem zweierlei auffiel: Kopetzky hatte einen professionellen Schlossknacker eingeladen, der demonstrierte, wie Schlüssel und Schlösser so funktionieren. Das war unterhaltsam, und es passt ja nur zu gut zu diesem Roman mit einem Auftragsdieb als Hauptfigur.

Bis auf dieses halbstündige Intermezzo drehte sich der Abend aber weniger um Kopetzkys Roman als um seinen aktuellen Zweitberuf: Kopetzky arbeitet gerade als Lokalpolitiker in seiner Heimatstadt Pfaffenhofen, er sitzt als Kulturreferent im Stadtrat. „Pfaffenhofen begeistern durch Anspruch in Kunst und Kultur. Stell Dir das mal vor!“ lautet sein Slogan auf der Internetseite der Pfaffenhofener SPD.

Engagiert, gänzlich unironisch und abendfüllend berichtete Kopetzky dann von dieser Tätigkeit. Etwa davon, was für ein schönes Gefühl es gewesen sei, auf einmal den roten Balken bei 60 Prozent für den SPD-Kandidaten bei der Bürgermeisterstichwahl stehen zu sehen. Oder was er mit der örtlichen Trabrennbahn und deren Gelände alles so vorhabe: Grüner solle es dort werden, auch im politischen Sinn, „nachhaltiger“.

Steffen Kopetzky stritt zwar ab, dass er das alles irgendwann literarisch auszuwerten gedenke. Doch sicher kein Schelm ist, wer darauf wettet, dass eines Tages ein Roman von ihm erscheint, in dessen Zentrum die Gründe und Abgründe bayrischer Lokalpolitik stehen.

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