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Literatur: Weinbaden in London

Paul Torday erzählt in seinem Trinkerroman "Bordeaux“ von einer Obsession, die tödlich endet.

Am Anfang sieht es noch so aus, als könnte alles halbwegs in Ordnung sein: Ein Mann steigt einigermaßen angetrunken aus einem Taxi und betritt ein Londoner Nobelrestaurant. Er bestellt Essen und die teuerste Flasche Rotwein, die auf der Karte steht. 3000 Pfund – für einen Weinkenner mit unbegrenzten finanziellen Möglichkeiten, der der Mann ganz offensichtlich ist, ein Abend, der durchaus im Bereich des Möglichen zu liegen scheint. Und dann wird alles merkwürdig. Wilberforce, so heißt der Mann, bestellt eine zweite Flasche jenes Luxus-Bordeaux’, einen Chateau Pétrus aus dem Jahr 1982; er beginnt, vor Freude zu singen; die anderen Gäste werden auf ihn aufmerksam; es wird unangenehm. Schließlich kippt Wilberforce von seinem Stuhl, kommt erst nach einem dreitägigen Koma wieder zu sich, und wir ahnen jetzt schon, dass hier in Wahrheit gar nichts mehr in Ordnung ist.

Der Brite Paul Torday hat sich mit seinem vorangegangenen Roman „Lachsfischen im Jemen“ als ein Könner in Sachen trockenem Humor erwiesen. Auch „Bordeaux“, Tordays zweiter Roman, hat durchaus seine komischen Momente, jedoch handelt es sich hier um eine Komik, die einer tragischen Biografie abgewonnen ist. Er sei kein Alkoholiker, erklärt Wilberforce immer wieder, er trinke nur gerne Wein. Er sagt das bis zum Schluss, bis ganz zum Schluss. Torday erzählt die letzten fünf Jahre in Wilberforces Leben in rückwärtiger Chronologie. Abgesehen von einem gewissen Überraschungseffekt erschließt sich der Sinn dieses Kunstgriffes nicht zwangsläufig.

Um keinen falschen Eindruck aufkommen zu lassen: „Bordeaux“ ist kein Säuferroman im klassischen Sinne; jede Form von Trinker– und Outlawromantik liegt diesem Buch fern. Vielmehr führt Paul Torday in einzelnen Etappen vor, wie aus einem stinklangweiligen (so langweilig, dass er zu Beginn noch nicht einmal einen Vornamen hat) und nicht eben sympathischen Menschen ein Besessener werden kann, dessen Begriffe, Wahrnehmungsmöglichkeiten und Wertmaßstäbe sich ganz allmählich in ein Koordinatensystem jenseits der Normalität verschieben. Man lernt Wilberforce kennen als einen Mann mit schweren Halluzinationen, vollkommen abgebrannt und verwahrlost, gerade einmal Mitte dreißig.

Der Grund für diesen sozialen Abstieg, so erfährt man zunächst in Andeutungen, muss in jenem Raum liegen, den der Ich-Erzähler Wilberforce, dessen Zuverlässigkeit aus naheliegenden Gründen stark eingeschränkt ist, den Namen „die Gruft“ gegeben hat. Dort sollen angeblich mehr als 100 000 Flaschen Wein lagern, die sich in Wilberforce’s Besitz befinden. Mal heißt es, er habe sie von einem Mann namens Francis Black gekauft, dann wieder, es handele sich um ein Erbe. Torday rollt das Liebesverhältnis von Wein und Wilberforce auf. Es ist eine in mehrfacher Hinsicht unglückliche Liebesgeschichte, die aus dem erfolgreichen Gründer eines IT-Unternehmens ohne soziale Kontakte oder Bindungen jenen Mann aus dem Londoner Luxusrestaurant gemacht hat.

Eines Tages fährt Wilberforce mit seinem Land Rover durch die nordenglische Hügellandschaft. Plötzlich sieht er ein Schild: „Wein zu verkaufen.“ Einer Eingebung folgend biegt Wilberforce von der Straße ab und trifft in dem kleinen Weinladen oberhalb der Gruft auf Francis Black und zwei weitere Männer – und schon ist Wilberforce in einer anderen Welt, in der des englischen Landadels mit all seiner Dekadenz, den Riten, den Moorhuhnjagden und all dem anderen Getöse; ein Milieu, das Torday hingebungs- und stimmungsvoll beschreibt. Wilberforce, aufgewachsen bei Pflegeeltern, ist fasziniert von dieser Gesellschaft im Allgemeinen und von der schönen Catherine im Besonderen. Die allerdings ist bereits einem Adligen versprochen; die Verlobung wird gelöst, Catherine verliebt sich in Wilberforce, weil dieser ihr so anders und so schräg erscheint. Erst spät bemerkt auch sie, dass Wilberforce genau jener uninteressante Mann ohne Eigenschaften ist, als den er selbst sich auch immer bezeichnet. Jene Passagen im zweiten Kapitel, in denen die Beziehung von Catherine und Wilberforce in Strömen von Bordeaux ertrinkt und schließlich mit einem Todesfall endet, den wohl nur Wilberforce als Unfall hinzustellen vermag, sind ebenso intensiv wie quälend. Überhaupt sind die ersten beiden Kapitel, die in Wahrheit die letzten sind, die stärkeren dieses Romans, weil sie, das liegt in der Logik der Erzählhaltung, mehr Fallhöhe und Spannungspotenzial haben. Die Lebenslügen, die der Egomane Wilberforce sich in seinen Rauschzuständen aufgebaut hat, lösen sich im Nichts eines alkoholumnebelten Geistes auf.

Im Delirium träumt Wilberforce von dem verstorbenen Francis Black, der ihn mit ausgebreiteten Armen in seiner Gruft erwartet. Diesen letzten Gang zu gehen ist letztendlich das Beste, was Wilberforce noch passieren konnte.

Paul Torday: Bordeaux. Roman. Aus dem Englischen von Thomas Stegers. Berlin Verlag, Berlin 2008, 318 S., 19,90 €.

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