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Der Schriftsteller Martin Mosebach beschäftigt sich immer wieder mit dem gehobenen Bürgertum.

© Foto: Hagen Schnauss

Raffinierter Gesellschaftsroman: Wurm der Lieblosigkeit

Martin Mosebach erzählt in „Taube und Wildente“ von den Tücken der Bildungsbürgerlichkeit 

Lauter sympathische Leute, die sich gegenseitig Gutes tun: Mit solchem Personal kann man keinen Roman bestreiten. Schurkische Menschen, die darauf aus sind, anderen effektiv zu schaden in Wort und Gewalttat – das sind wiederum Figuren für einen Kriminalroman oder Thriller. Gebildete Zeitgenossen jedoch, die den Sünden der Gleichgültigkeit und kultivierten Hinterhältigkeit frönen – damit lässt sich ein Roman aus dem gehobenen Bürgertum erzählen. Womit wir bei Martin Mosebach und seinem neuen Roman „Taube und Wildente“ sind.

Gabe der Kälte und Rücksichtslosigkeit

Die „Gabe der Kälte und Rücksichtslosigkeit“, die einem Protagonisten seines vorherigen Romans „Krass“ am Ende vieler Leiden und Enttäuschungen „geschenkt“ wird, ist auch den Figuren von „Taube und Wildente“ reichlich zuteil geworden. Durch die taktisch kluge Ehe mit Marjorie De Kesel konnte Ruprecht Dalandt seinen schöngeistigen Kleinverlag Papyros Press sanieren, die Erbin ihrerseits sich mit einem „namhaften Intellektuellen“ schmücken. Und damit dem Vermögen, das vor Generationen im Kongo, der furchtbarsten aller Kolonien, erwirtschaftet wurde, einen geistigen Überbau aufsetzen. Zudem ist Ruprecht eine elegante Erscheinung mit halblangem „seidenweichen“ Haar. Ansonsten macht sich Marjorie keine Illusionen: „Ruprecht hatte ohne Zweifel keinen guten Charakter, er war verschlagen, kalt, auf seinen Vorteil bedacht und so eitel, dass es schon komisch war, aber er hatte ein Gewissen.“

Martin Mosebach hat seit gut zehn Jahren einen Lauf, den man mit Staunen verfolgt. Ein meisterhaftes Werk folgt auf das andere: „Was davor geschah“, „Das Blutbuchenfest“, „Mogador“, „Die 21“. Im vergangenen Jahr war „Krass“ einer der besten deutschsprachigen Romane des Jahres, auch wenn er auf der Longlist des Deutschen Buchpreises gar nicht erst auftauchte. Und nun hat Mosebach bereits den nächsten 330-Seiter geschrieben. „Taube und Wildente“ ist ein raffinierter Gesellschaftsroman – und zugleich ein Buch, das darüber reflektiert, wie sich schale oder grausame Wirklichkeit zur Kunst sublimiert.

Bereits der Vater von Marjorie hat das schmutzige Kongo-Vermögen als Kunstsammler veredelt. Berühmte Werke der Moderne hängen in der „Chaumière“, dem südfranzösischen Sommerhaus der Familie in schönster Cézanne-Landschaft, wo die erste Hälfte des Romans spielt. Dessen symbolisches Zentrum ist jedoch das Stillleben „Tote Feldtaube und Wildente“ des Künstlers Otto Schloderer (1834-1902). Es ist ein Todesbildnis von altmeisterlich geschichtetem Farbauftrag, wodurch die zwei kopfunter an Schnüren hängenden Vogelleiber eine illusionäre körperliche Schwere gewinnen, die Ruprecht Dalandt bewundert, seitdem ihm die Tiefenwirkung der Komposition aus Grautönen in einer überraschenden Epiphanie aufgegangen ist. Es ist ein Werk für Kenner, die sich nicht davon irritieren lassen, dass der realistische Maler die „Zukunftstrompeten“ der Kunst nicht ht blasen hören. Oder sie bewusst ignorierte.

Gerade durch Ruprechts Begeisterung wird Marjorie auf die Idee gebracht, das Gemälde zu verkaufen, um mit dem Erlös – 60.000 Euro, die als Running Gag in verschiedenen Zusammenhängen durch das Buch geistern – einen Schaden am Dach der Chaumière zu reparieren. Ruprecht ist geschockt und verfällt auf einen Subventionsbetrug: Die Fördersumme für ein Buch seines Verlages zweigt er ab, um damit selbst das Bild zu kaufen. Die Ehe droht im Streit um das Vogelbildnis zu zerbrechen. Ist das etwa Hass? Dann gilt es, schnell das Weite und Freie zu suchen.

Es ging nicht ohne Ehemann; ohne Ruprecht im Rücken einem Damien gegenüberzustehen war eine schauderhafte Vorstellung.

Marjorie De Kesel

Bevor es dazu kommt, wird im Stil einer Romankomödie der Sommeraufenthalt in der „Chaumière“ geschildert. Vervollständigt wird die Runde dort von Marjories Tochter Paula aus erster Ehe, ihrem Lebensgefährten Max sowie zwei Lektoren aus Ruprechts Kleinverlag. Sie sind zur gemeinsamen Textarbeit nach Südfrankreich geladen, reden und denken über ihren Chef, den sie in naher Zukunft zu entmachten hoffen, aber ebenso verächtlich wie dieser über sie. Vor allem der den Laden zusammenhaltende Lektor Allmendinger ist die wandelnde Gekränktheit. Dann gibt es noch ein portugiesisches Paar, das sich um Küche und Garten kümmert, sowie den im Pförtnerhaus einquartierten Verwalter Damien, der die meiste Zeit damit verbringt, im Stil Cézannes berühmte Gemälde für asiatische Touristen zu kopieren.

Wenn er nicht gerade mit seinem sehnigen Körper und dem „lippenlosen Riesenmaul“ Marjorie Liebesfreuden schenkt. Allerdings setzt ihr Spaß an der Affäre, die Ruprecht seit Jahren gelassen duldet, die Ehe voraus: „Es ging nicht ohne Ehemann; ohne Ruprecht im Rücken einem Damien gegenüberzustehen war eine schauderhafte Vorstellung.“ Äußerliche Form und Haltung – das ist das Ethos der bürgerlichen Kreise, die Mosebach schildert. Die Tyrannei der Werte hat sie noch nicht erreicht.

Liebe zur Stieftochter

Wenn Ruprecht seiner Frau vieles nachsieht, ist dafür allerdings nicht nur ihr Geld der Grund, sondern auch der Umstand, dass er selbst auf einer Sündenspur unterwegs ist: Er liebt seine Stieftochter Paula. Dass er vor Jahren einmal mit ihr geschlafen hat, findet er zwar unverzeihlich. Später jedoch, nach der zeitweisen Trennung von Marjorie, wird aus dieser Verfehlung eine Gewohnheit, und Gewohnheiten schläfern das Gewissen ein. Paula erscheint dabei keineswegs als Opfer. Sie wird als „unfriedlicher Charakter“ gezeichnet, der „überall die faule Stelle erkennt“. Mit Ruprecht geht sie bald so ruppig um wie mit ihrem Partner Max, einem sensiblen Schönling, der von einer Pianistenkarriere träumt, aber schon beim Üben vor lauter Selbstzweifeln nicht weiterkommt.

In allen Beziehungen des Romans steckt der Wurm der Lieblosigkeit. Aber ist Liebe wirklich das, was Paare zusammenhält? Marjorie und Ruprecht haben nach unglücklich geendeten Liebesehen in ihrer Beziehung – „Sympathie ohne Sentimentalität“ – ein „erfrischend kühles“ Lebensmodell gefunden. Menschen bilden Pakte und Koalitionen, die sie gerne als Freundschaft oder Liebe verbrämen. Marjorie und Ruprecht bescheinigen sich dagegen (etwas selbstgefällig) Lebensklugheit und Lebenskunst. Diese wird im zweiten Teil, der in Frankfurt spielt, jedoch auf weitere harte Proben gestellt. Am Ende geht in Ruprechts Wohnung der Weihnachtsbaum in Flammen auf, und das Paar findet sich, von neuem vereint, in der Notaufnahme eines Krankenhauses wieder.

Was macht die Lektüre so reizvoll? Es ist die auf Haltung bedachte, polierte Sprache, die einen ironischen Widerpart zu den seelischen Abgründen und den destruktiven Tendenzen auf der Handlungsebene bildet. Es ist die subtile Psychologie, die in diese Abgründe hineinleuchtet. Auch wenn der Mosebach-Ton ohne „Zukunftstrompeten“ auskommt und für manche nach dem guten, alten allwissenden Erzähler klingen mag – in diesem Stil ist mehr Unruhe und Nervosität, als es oberflächlich scheint. Die Erzählperspektive schmiegt sich den Figuren an und richtet sich an ihrer Wahrnehmung aus. Bei den Paaren lässt Mosebach Frauen und Männer wechselnd zu ihrer Sicht kommen. Aus den erheblichen Abweichungen entsteht Komik.

Hinreißend sind viele Beschreibungen, etwa gleich zu Beginn die einer Katze, die eine Zikade zerfleddert, womit das Leitmotiv der Grausamkeit angeschlagen ist. Mit ihrer Schattierungskunst ist Mosebachs Sprache ein Instrumentarium, das gerade widrige Eindrücke vermittelt. Immer wieder ereignet sich in seiner Prosa etwas Ähnliches wie bei den geschichteten Grautönen des Gemäldes „Taube und Wildente“: die Verwandlung von Worten in die materielle Schwere des Lebens.

Martin Mosebach: Taube und Wildente. Roman. dtv, München 2022, 336 Seiten, 24€

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