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So viele Bücher! Blogger können mit ihren Empfehlungen helfen, die richtige Lektüre zu finden.

© dpa

Literaturblogger in Deutschland: Bits über Bücher

Bloggen über Neuerscheinungen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur – das macht hierzulande fast nur die Britin Katy Derbyshire, und das auch noch in englischer Sprache. Dabei haben Blogs das Potenzial, den literarischen Diskurs entscheidend zu bereichern. Nun soll die Szene beim Open-Mike-Wettlesen belebt werden.

Man liest das wirklich gern: wie die Bloggerin mit wenigen lakonischen Worten – „Ich möchte gar nicht so viel über den Plot erzählen“ – die Handlung des neuen Romans „Die Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters“ von Bachmannpreisgewinner Tilman Rammstedt zusammenfasst; wie sie von Partys auf der Frankfurter Buchmesse berichtet; wie sie bei alledem, gnadenlos subjektiv, Autoren und Texten der deutschen Gegenwartsliteratur mal richtige Rezensionen, mal nur wenige dürre Worte widmet. Wie da dem von der Kritik hochgelobten Clemens J. Setz und seiner Schreibe in einem Text über Jenny Erpenbecks „Aller Tage Abend“ etwa nur am Rande das Verdikt „ein kleines bisschen schrullig“ zuteil wird – wer zugleich Literatur und ein gewisses Maß an Respektlosigkeit mag, fühlt sich in solchen Halbsätzen gut aufgehoben. Im Originalton heißt es übrigens „a wee bit wacky“. Denn geschrieben wird hier in englischer Sprache.

An einem Mittwochabend im November sitzt Katy Derbyshire in der „Bibliothek“ des Kreuzberger Gasthauses „Max und Moritz“. Die Regale dieses Hinterzimmers stehen voll unsortierter antiquarischer Ramschware – Doderers „Strudlhofstiege“ steht neben dem „Werther“ und Siegfried Lenz. Derbyshire mag den Ort und mag die Bücher. Sie organisiert hier ein monatliches Treffen englischer Übersetzer deutscher Literatur. Dass sie in ihrem Blog love german books seit 2008 vor allem über Bücher schreibt, die viel zu neu sind, um hier aufzutauchen, hat ganz pragmatische Gründe: Zum einen liest Derbyshire als Übersetzerin – über ihre Arbeit an Helene Hegemanns „Axolotl Roadkill“ berichtete der Tagesspiegel im Jahr 2010 – vor allem die Neuerscheinungen. Zudem kommt für sie, die in England Deutsch studierte und sich danach in den Neunzigern als Übersetzerin in Berlin niederließ, die Frage nach dem Alleinstellungsmerkmal. „Leute, die sich mit den deutschen Klassikern auskennen, gibt es im englischsprachigen Raum genug. Aber über deutschsprachige Gegenwartsliteratur weiß ich mehr als fast alle Engländer.“ Dass sich ihre Leserschaft dabei mittlerweile zu gleichen Teilen aus englisch- und deutschsprachigen Literaturjunkies zusammensetzt, macht sie stolz. Zudem sieht sie darin aber auch ein Problem der deutschen Blogosphäre: „In Großbritannien gibt es eine sehr diskussionsfreudige Szene, die gerade das, was für explizite Hochliteratur gehalten wird, sehr pflegt.“ In Deutschland dagegen seien es vor allem die Fans von Genreliteratur, die einander im Netz Inhaltsangaben und Kaufempfehlungen schrieben, vor allem aus den Bereichen Fantasy oder „Frauenliteratur“. „Chick Lit“, wie Derbyshire das nennt. „Die Nische, in der ich mich hier bewege, ist sehr klein.“

In der Nische. Die in Berlin lebende Literaturübersetzerin Katy Derbyshire schreibt im Netz auf Englisch über deutsche Bücher.
In der Nische. Die in Berlin lebende Literaturübersetzerin Katy Derbyshire schreibt im Netz auf Englisch über deutsche Bücher.

© Doris Spiekermann-Klaas

Doch warum ist das so? Stefan Mesch, Autor und Blogger, der für den Großessay Futter für die Bestie über das Empfehlen von Literatur jüngst den Dietrich-Oppenberg-Preis der Stiftung Lesen erhielt, kann es sich auch nicht recht erklären: „Ich frage mich, warum nicht viel mehr Menschen über Literatur bloggen. Die Technik ist da. Das Publikum auch. Und eine Art Sehnsucht.“ Mesch weiß aus eigener Erfahrung: „Leute wollen persönliche Empfehlungen, und Netz-,Freunde‘, denen sie vertrauen können. Wenn 2000 Leute auf meinem Blog landen, die ,Romane 2012 Empfehlungen‘ gegoogelt haben, weiß ich: Da ist ein Publikum.“ Dass Blogger dabei anders verfahren als Literaturkritiker in Zeitungen – für Mesch und Derbyshire ist das selbstverständlich. „Ein Blogger erzählt in der Ichform, ist frei zu schreiben, was er will, aber natürlich auch erst einmal deutlich weniger vertrauenswürdig“, fasst die Engländerin die Schreibhaltung zusammen. Mesch, der auch für den Tagesspiegel schreibt, sieht derweil vor allem die Vorteile des Bloggens für den Autor: „Zeitungsrezensionen zielen auf das größte, flüchtigste Publikum. Blogger können ausgiebig linken, sammeln, Kontexte bauen.“

Embedded Blogging beim Open Mike

Langsam scheint sich die Szene nun zu beleben: Der an diesem Wochenende in Berlin stattfindende Literaturwettbewerb Open Mike, neben dem Klagenfurter Bachmann-Preis eine der wichtigsten Adressen für junge deutschsprachige Gegenwartsliteratur, wird in seinem 20. Jahr erstmals von einem Blog begleitet. Einer der Blogger ist Stefan Mesch, der kurioserweise auch als Autor im Wettbewerb vertreten ist. Der Teilnehmer als Chronist? Mesch nennt das „Embedded Blogging“. Was journalistisch verpönt ist, wird hier zu einer spielerischen Erzählfigur.

Geht es nach Koordinator Patrick Hutsch, soll das aber nur ein Anfang sein: „Wir wollen auch nach dem Wettbewerb kontinuierlich weiterberichten – darüber, was ehemalige Open-Mike-Autoren gerade machen, auch grundsätzlich über Tendenzen in der jungen Gegenwartsliteratur.“ Das Ziel: „Ein Knotenpunkt für einen lebendigen Austausch rund um die Literatur.“ Eine Konkurrenz für die etablierte Literaturkritik in Zeitungen und Rundfunk sieht Hutsch darin nicht: „Es soll eine Ergänzung sein, eine Einladung, sich mit einer Bandbreite an Sichtweisen auseinanderzusetzen.“ Aber: „Der Standard des Schreibens soll journalistischen Anforderungen genügen.“

Die Frage für den Leser bleibt derweil, ob er das wirklich muss. Denn manchmal scheinen es gerade die persönlichen Zugänge zu sein, die Mehrwert bieten. So erzählt etwa Katy Derbyshire über Tilman Rammstedts Buch vor allem, indem sie von einem Treffen mit dem Schriftsteller berichtet. Dort habe er exakt so gehetzt gewirkt wie der Erzähler seines Buches – ein Autor, der, gequält von einer Schreibblockade und einem drängelnden Verlag, schließlich Actionheld Bruce Willis um Hilfe bittet. So wenig diese Anekdote mit Literaturkritik zu tun hat, so sehr unterstreicht sie die Dringlichkeit, mit der der Autor laut Derbyshire in seinem Buch erzählt, so sehr verstärkt sie auch den Witz, den Derbyshire Rammstedt schließlich attestiert. Eine Empfehlung, charmant begründet. Was will Leser mehr?

Für Stefan Mesch ist es genau das, worum es geht: „Gute Literaturblogger? Das sind Schreiber, Leser und Kuratoren, die mit Leidenschaft, Schärfe und Expertise sammeln, empfehlen, gewichten – und gerne auch mal verdammen.“ Für Katy Derbyshire ist die Sache sowieso ganz einfach: „Es macht Spaß. Ich muss damit kein Geld verdienen. Und ich habe Einblicke, die andere nicht haben.“ Ihr Ziel ist so klar wie einleuchtend: „dass die Menschen deutschsprachige Bücher lesen – und zwar die richtigen.“

Anmerkung: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es im Teaser "Bloggen über Literatur – das macht hierzulande fast nur die Britin Katy Derbyshire". Nach einem kleinen bis mittelgroßen Proteststurm auf Twitter und in Literaturblogs ist diese Behauptung nun abgeschwächt. Der Autor.

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