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Kultur: Love me, Sender!

Vermächtnis des Kinozauberers: „Robert Altman’s Last Radio Show“ huldigt der Vergänglichkeit

Zwei Sendemaste stehen einsam im Mittleren Westen, Abendlicht, es rauscht, das muss das Wetter sein, zwischen Musik und Werbespots verkündet jemand mit Gottes Stimme, dass für alles ein Preis zu zahlen ist und dass er bezahlt werden wird. Dann wieder Rauschen. Sicher Mittelwelle. So fängt Robert Altmans letzter Film an.

Es ist ein schöner Abschiedsfilm geworden. Irgendwie sehr von gestern, aber wer ist das nicht? Nur wer eine Vergangenheit hat, wird auch eine Zukunft haben. Und überhaupt: Was ist das Radio ohne sein Rauschen? Weiß man denn noch, dass etwas von sehr weit her kommen muss, um einem ganz nahe zu sein? Genau genommen, müsste auch Gottes Stimme so rauschen, wenn er plötzlich zu reden anfinge. Gottes Stimme ist natürlich ersetzbar. Zum Beispiel durch GK, Garrison Keillor. Ja, vielleicht ist GKs Stimme für viele noch unersetzbarer als die von Gott. Und sie hat einen entscheidenden Vorzug: Es gibt sie wirklich. Seit 1974 ist Keillors Live-Radio Show „A Prairie Home Companion“ auf Sendung. Gegenwärtig wird sie von 550 amerikanischen Radiostationen ausgestrahlt und hat Millionen Hörer, ein paar sogar in Europa oder Asien. AFN und America One machen es möglich.

Robert Altman hat sich an der Wirklichkeit noch nie gestört. Im Gegenteil, je wirklicher etwas ist, desto besser fürs Kino, scheinen viele seine Filme zu sagen. Er war vielleicht der einzige, der das Reale so überzeugend in Fiktion verwandelte. Wie in „A Prairie Home Companion“.

Der letzte Film also. Am 20. November 2006 ist Altman gestorben, im Februar hatte er ihn noch selbst auf der Berlinale vorgestellt. Und jetzt kommt er in die deutschen Kinos, mit leicht geändertem Titel: „Robert Altman’s Last Radio Show“. Das ist gut, nicht nur, weil Altman schon oft Musik und Shows gefilmt hat, erst recht, als er noch fürs Fernsehen arbeitete. Sein Kino hat ohnehin Ähnlichkeit mit Musik. Es erzählt fast nie Handlungen, es folgt Melodien. Und wenn die weit auseinanderlaufen, was soll’s? Er lässt sie nebeneinander laufen. Altman ist der Virtuose des Nebeneinander. Seit „Short Cuts“ weiß das alle Welt. Und sogar Hollywood hat es gerade noch rechtzeitig mitbekommen und dem großen Erneuerer des amerikanischen Kinos („M.A.S.H.“, „Cookies Fortune“, „Gosford Park“) den Ehren-Oscar verliehen.

„A Prairie Home Companion“ ist auch sonst ein durchaus autobiografischer Film. Denn er spielt dort, wo Altman aufwuchs, bevor er Bomberpilot im Zweiten Weltkrieg wurde, im Mittleren Westen, und wir hören die Musik, mit der er groß wurde. Oder fast dieselbe Musik. Altman kommt aus Kansas City, Missouri, „A Prairie Home Companion“ spielt in St. Paul, das ist Keillors Heimatstadt in Minnesota. Das war eine sehr gute Voraussetzung. Keillor formulierte das so: „Weder bei unserem ersten noch bei den folgenden Treffen haben wir uns jemals tief in die Augen geblickt und uns versichert, wie sehr wir die Arbeit des jeweils anderen liebten. So etwas ist im Mittleren Westen einfach nicht üblich.“

Die Idee zum Film hatte Keillor, er hat auch das Drehbuch geschrieben, spielt die Hauptrolle, und den Regisseur hat er, in seiner Eigenschaft als Legende, auch ausgesucht. Ein Freund von Keillor kannte Altmans Anwalt und fragte ihn einfach. Vielleicht muss ein Film wie dieser einen solchen Ursprung haben. Er sieht auch so aus: ein wenig unordentlich, improvisiert. Das ist das Großartige.

Von den Sendemasten am Anfang führt ein Reißschwenk geradewegs in eine Kneipe in Saint Paul. Da sitzt Kevin Kline, er ist der Security-Mann und erklärt den Charakter der Show etwas genauer: Es ist eine von der Sorte, die schon seit dreißig Jahren keiner mehr hören will, aber irgendwer hat vergessen, den Jungs das zu sagen. Das ist Keillors Humor. Der Security-Mann ist nicht ganz uneinverstanden damit, dass es die allerletzte Show sein soll, bevor das alte Theater, aus dem sie seit dreißig Jahren übertragen wird, abgerissen wird und dafür bald ein schönes neues Parkhaus entsteht.

„A Prairie Home Companion“ wurde im Sommer 2005 in fünf Wochen gedreht, in eben jenem Theater, in dem Keillors Show seit 1978 stattfindet. Altman nahm alles live vor Publikum auf. Die Bühnenarbeiter des Fitzgerald Theaters machten, was sie immer tun, nur die Cowboys und -girls auf der Bühne sahen etwas anders aus als sonst und klangen wohl auch etwas anders. Selbst wer Meryl Streep nicht für die größte aller Schauspielerinnen hält: Als Johnson-Sister ist sie wunderbar, auch stimmlich, vor allem ist sie hemmungslos sentimental. Kein Wunder, dass ihre Tochter (Lindsay Lohan), unfreiwillige Zeugin dieser Alien-Show (Tochter-Perspektive), vorzugsweise Selbstmordgedichte schreibt.

Die zweite Johnson-Sister ist Altmans zweite Lieblingsschauspielerin Lily Tomlin. Mindestens so viel Zeit wie auf der Bühne verbringt die Kamera in der Garderobe der Sisters und bei Dusty und Lefty, den beiden singenden Cowboys (Woody Harrelson! Und John C. Reilly). Alles sieht nach mindestens dreißigjähriger Unaufgeräumtheit aus, und jeder hält es für angebracht, etwas zur Letztmaligkeit des Abends zu sagen, zumal – was in dreißig Jahren noch nie geschehen ist – es bald einen Toten hinter der Bühne gibt. Aber Keillor ist gegen Grabreden aller Art, auch wenn schon geraume Zeit ein Todesengel im weißen Trenchcoat im Theater umgeht. Das Radio blickt nie zurück! Und jede Show ist die letzte, findet Keillor. Auch das sagt er seit dreißig Jahren.

Garrison Keillor ist das eigentliche Ereignis nicht nur seiner Show, sondern auch des Films. Er sieht aus, als komme er geradewegs aus einem Gedicht der Johnson-Tochter oder aus einem der Lieder ihrer Mutter. Er besitzt die Ausstrahlung eines kranken Bernhardiners, aber nur, bis er den Mund aufmacht. Was für Übergänge zwischen Melodie und Sprache, welches Understatement!

Dass zu einer Radio-Show so unübersichtlich viele Menschen gehören, zahlreiche Haupt- und Nebenfiguren, wird Robert Altman gefreut haben. Er war schon immer der Auffassung, dass eine Hauptrolle etwas ist, was man teilen sollte, weshalb seine Filme nicht selten Starparaden gleichen – was die Botschaft: Es gibt keine Stars! durchaus einschloss. So ist es auch hier. Die eigentliche Hauptdarstellerin des Abends klingt ohnehin durch alle hindurch – die Musik.

Filmkunst 66, Kulturbrauerei, Yorck, OmU in den Hackeschen Höfe und im Odeon, OV im Cinestar Sony-Center

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