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Der Oppio-Park in Rom mit der Piazza Martin Lutero, einem riesigen trockenen Brunnen.

© dpa/Klaus Blume

Notiz zum Reformationsjubiläum: Luther meets Mussolini

Seit 2015 gibt es in Rom die Piazza Martin Lutero. Ein sonderbarer Platz - mit faschistischer Vergangenheit. Dem wortgewaltigen Reformator hätte es vermutlich die Sprache verschlagen.

Nun hat Luther auch in Rom seinen Platz erhalten: die Piazza Martin Lutero. Wie hätte er wohl reagiert, wenn er gesehen hätte, was für ein Platz ihm dort gewidmet wird: ja, schon zentral, aber doch völlig abseits? Und was hätte er gemeint, wenn er erfahren hätte, von wem dieser Platz geschaffen wurde? Der wortgewaltige Reformator wäre – wenigstens für einen kurzen Augenblick – sprachlos gewesen.

Was ist passiert? Im Spätsommer 2015 meldete die deutsche Presse begeistert: Rom hat jetzt einen Martin-Luther-Platz. Bürgermeister Ignazio Marino, der inzwischen längst gehen musste, hatte in Anwesenheit zahlreicher deutscher Würdenträger die Piazza Martin Lutero eingeweiht. Den Standort, so heißt es, hat die Stadt Rom ausgewählt, nachdem die evangelisch-lutherische Gemeinde den Wunsch äußerte, eine Straße oder einen Platz nach Luther zu benennen. Auf einem Schild steht als Erklärung: Teologo tedesco della riforma – deutscher Theologe der Reformation. Viele Römer kennen ihn nicht oder verwechseln ihn mit Martin Luther King.

Was für ein sonderbarer Platz! Weit und breit ist kein Haus zu sehen, keine Straße. Wir befinden uns in einer parkartigen Anlage auf dem Colle Oppio, einem der sieben Hügel Roms, in unmittelbarer Nähe des Kolosseums und der Domus Aurea. Dort treffen wir Familien, Jugendliche, Migranten, Flüchtlinge, jedenfalls keine Touristen, kein Schickimicki-Volk. Der Platz ist eigentlich ein großer Brunnen, gerahmt durch eine achteckige steinerne Einfassung mit Amphoren – eine auffällige Gartenarchitektur. Der Brunnen heißt deshalb auch Fontana delle Anfore. Wo kommt er her, dieser durchaus eindrucksvolle, wohl gestaltete Brunnen? Richtig historisch wirkt er nicht. Offenbar hat niemand danach gefragt. Keiner der Journalisten, die von dem Event berichteten, auch nicht der Bürgermeister.

An diesem Luther-Platz kann man Roms Verfall studieren

Der Brunnen ist der Mittelpunkt einer der bedeutendsten gartenarchitektonischen Schöpfungen der Mussolinizeit in Rom, des Parco del Colle Oppio, 1928/29 von dem wichtigsten Gartenarchitekten dieser Zeit gestaltet: Raffaele de Vico (und dann bis 1936 erweitert). Von diesem Architekten stammen auch die Grünanlagen am EUR-Gelände und andere bemerkenswerte Parks, etwa der Parco Virgiliano. Der Amphorenbrunnen der Piazza Martin Lutero wurde höchstwahrscheinlich von ihm selbst entworfen. Heute sind die meisten Architekturbausteine des Parks in einem grauenhaften Zustand des Verfalls – Zeichen der Unfähigkeit der Stadt Rom, öffentliche Grünanlagen zu pflegen. Man braucht nur einige wenige Schritte weiter in Richtung Kolosseum zu gehen, dann erreicht man den früheren gestalterischen Höhepunkt des Parks, das Brunnen-Nymphäum, das offenbar restauriert wurde, aber nicht instandgehalten wird.

Was ist die Botschaft dieser sonderbaren Ehrung? Luther hat in Rom einen Platz gefunden, an dem er die fortdauernde Dekadenz der Stadt Rom beobachten kann. Hier zeigt sich womöglich auch die etwas schräge Art und Weise, wie dem deutschen Reformator in Rom die Reverenz erwiesen wird. Aber auch eine seltsame Ignoranz gegenüber der besonderen Geschichte dieses einzigartigen Ortes.

Wie wär's mit der Restaurierung zu einem römischen Luther-Garten?

Luther und Mussolini? Was tun? Wegschauen, nicht darüber sprechen? Im Gegenteil, auch diese neue Erfahrung Luthers mit Rom muss auf den Tisch! Vielleicht hilft das ja auch, den Park wieder zu restaurieren, ihn zu einem Kleinod zu machen. Zu einem römischen Luthergarten – neben dem Luthergarten in Wittenberg. Dann hätte Mussolini allen Grund, sprachlos zu sein.

Unser Autor Harald Bodenschatz lebt als Stadtplaner und Soziologe in Berlin.

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