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Mit liebendem Blick. Siza, 1970 von seiner Frau gezeichnet.

© Tchoban Foundation

Álvaro Siza-Schau in Pankow: Tanzende Baukörper

Álvaro Siza ist einer der produktivsten Baumeister unserer Zeit. Das Berliner Museum für Architekturzeichnung würdigt den Portugiesen mit einer Schau.

In Berlin ist sein Name für immer mit dem Spottwort verbunden, das an der gerundeten Fassadenspitze des Wohnblocks an der Schlesischen Straße prangt: „Bonjour tristesse“. Längst hat der Architekt des 1983 fertiggestellten Baus, der Portugiese Álvaro Siza, nichts mehr gegen den aufgesprühten Namen, der einst doch als weithin sichtbarer Protest gegen den vermeintlich depressiv machenden Wohnungsbau unter der Ägide der Internationalen Bauausstellung von 1987 (IBA '87) gemeint war.

Mit Siza hatten sich die anonymen Kritiker aber den Falschen für ihre Kritik ausgesucht, denn er war einer der ersten und entschiedensten Architekten, die sich nach der Nelkenrevolution von 1974 um jene drängenden Aufgaben kümmerten, die der durch Rückkehrer aus den aufgegebenen Kolonien heftig erschütterte heimische Wohnungsmarkt stellte. Er entwarf Sozialsiedlungen, die in erster Linie Wohnraum schaffen sollten und keine Bilderstrecken in einschlägigen Magazinen.

Der 85-jährige Siza kam zur Eröffnung nach Berlin

Das Berliner Wohnhaus war der erste Bau im Ausland, den der 1933 geborene und bis dahin in seinem jahrzehntelang abgeschlossenen Heimatland tätige Architekt realisieren konnte. Mittlerweile erlebt Álvaro Siza eine späte Konjunktur in Asien, wo in Hangzhou soeben das China Design Museum nach seinem Entwurf eröffnet hat. Kernstück der dortigen Sammlung ist eine Kollektion von Bauhaus-Objekten, die die Chinesen 2012 einem Berliner Kunsthändler abgekauft haben, dessen Aktivitäten hiesige Museumsleiter stets mit Distanz beäugten.

Der 85-jährige Siza kam dieser Tage nach Berlin, um eine kostbare Ausstellung mit seinen Zeichnungen aus vier Jahrzehnten unter dem Titel „Ungesehenes, Unbekanntes“ zu eröffnen. Das Museum für Architekturzeichnung am Pfefferberg zeigt die in durchgehender, schwarzer Linie ausgeführten und meist ohne Binnenzeichnung auskommenden Blätter als kalligraphische Etuden voller Windungen und Knäuel.

Viele Werke blieben Ideen

Sie sind zum einen nach privaten Motiven und zum anderen nach Projekten oder Projektideen geordnet. Beides ist schwer voneinander zu trennen. Siza wurde vom Schicksalsschlag des frühen Todes seiner Frau getroffen, die 1973 im Alter von nur 32 Jahren verstarb. Auch sie zeichnete; und so sind Blätter von seiner wie von ihrer Hand vereint, die gar keine Differenz erkennen lassen. Beide zeichnen einander als von ihrer Tätigkeit beseelte Partner.

Sehr vieles im architektonischen Werk Sizas ist Projekt geblieben, Idee oder bloßer Gedanke. Siza hat sich den Ruf als ein „letzter Moderner“ erworben, was angesichts seiner oft rationalistisch klaren Bauten nahe liegt, aber doch keine doktrinäre Verengung bedeutet. Eher ist der Optimismus gemeint, der aus Bauten wie dem portugiesischen Pavillon bei der Expo Hannover spricht, und der an den Brasilianer Oscar Niemeyer denken lässt.

Sport faszinierte den Architekten

Ende des vorigen Jahrhunderts trat Siza als Stadtplaner hervor, als er das durch Brand verheerte Lissaboner Altstadt-Viertel Chiado sehr einfühlsam wiederherzustellen empfahl und selbst mit einer rasanten U-Bahn-Station tief unter dem hügeligen Gelände für eine zeitgemäße Erschließung dieses gefährdeten Quartiers sorgte.

In den in Berlin gezeigten Zeichnungen lässt Siza Körper sich verwandeln, sich in einzelne Elemente aufteilen, die dann zu Bauteilen einer Architektur werden und schließlich zu „Baukörpern“, wie die Sprache die Verwandtschaft zwischen Mensch und Haus herstellt.

Sport hat den Architekten lange Zeit fasziniert, Läufer, die auf die geschwungenen Eingänge seiner Ausstellungspavillons zustreben. Bewegung, die sich in bewegter Architektur spiegelt. Für Palermo entwarf er einen Sportkomplex, für eine „Universiade“ Ende der 1990er Jahre, die dann doch abgesagt wurde.

Er gewann den Pritzker-Preis und den Goldenen Löwen

Warum Siza nun so hartnäckig als „Modernist“ bezeichnet wird und auch der Katalog auf das historische Bauhaus zu sprechen kommt, erschließt sich nicht. In erster Linie ist Siza ein Architekt, der vom Menschen und seinem Umgang mit Gebautem ausgeht. Die ausgeführten Bauten zeigen ein humanes Maß, das die bisweilen harten Kanten von gegeneinander gesetzten Kuben und das grelle Weiß ihres Verputzes konterkarieren. Im Alter traut sich Siza durchaus auch an Hochhäuser, in den Niederlanden sind bereits zwei davon realisiert worden. Parallel zu seinem internationalen Aufstieg regnete es Auszeichnungen, darunter bereits 1992 der Pritzker-Preis, 2002 kam der Goldene Löwe der Biennale von Venedig hinzu und zehn Jahre später noch ein Goldener Löwe, diesmal dann für sein Lebenswerk.

Unlängst war im Museum für Architekturzeichnung ein Video mit Álvaro Siza zu sehen, in dem die zeichnende Hand die Hauptrolle spielte, die sonore Stimme des Architekten im Off und der Rauch seiner Zigarette bisweilen wie ein Schleier vor dem Objektiv. Seine Zigarettenschachteln lässt sich Siza bekleben, um die furchteinflößenden Warnhinweise nicht lesen zu müssen, zudem kritzelt er auf die Verpackung. Um der Trauer nicht zu verfallen, wurde er zu einem der produktivsten Baumeister unserer Tage.

Museum für Architekturzeichnung, Christinenstraße 18a, bis 18. April. Mo–Fr 14–19, Sa/So 13–17 Uhr. Katalog 35 €.

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