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Plácido Domingo, hier in einer Militäruniform, die von Augusto Pinochet inspiriert ist, und Anna Netrebko als intrigantes Ehepaar Macbeth.

© Bernd Uhlig/Staatsoper

„Macbeth“ an der Staatsoper: Hochamt der Apokalypse

Plácido Domingo und Anna Netrebko überstrahlen die bildgewaltige „Macbeth“-Inszenierung an der Staatsoper.

Es ist alles zu spät. Das Land getränkt in Blut, die Feinde stehen vor den Toren, die Schuld klebt dick und schwer an den Händen dieses Mannes – da überfällt Macbeth im vierten Akt ein Moment der Selbsterkenntnis. Er singt, ganz unerhört, auf einmal von „Pietà, rispetto, amore“: „Mitleid, Achtung, Liebe/werden mit keiner Blume dein weißes Haar bestreuen/Allein der Fluch, ach Elender! Wird dein Klagelied sein.“ Man hat Verdi diese Arie als Schwachstelle seiner Oper „Macbeth“ angekreidet – warum plötzlich das Schuldeingeständnis? Tatsächlich ist sie aber ein wunderbares Beispiel seiner Ästhetik, die weniger auf Logik, Stringenz, Kohärenz setzt als auf die filmische Macht des Augenblicks. Auf die Szene, die plötzliche Introspektion.

Und eine Innenschau des Protagonisten gewährt Plácido Domingo wahrlich: Der Star dieser letzten großen Premiere der Berliner Staatsoper vor der Sommerpause (vom Festival „Infektion!“ im Juli abgesehen) rührt sein Publikum als gefallener Feldherr, der einen Pakt mit der Hölle eingeht. Denn er zeigt, dass auch im Täter ein Opfer stecken kann. Macbeth’ Figur ist schon bei Shakespeare faszinierend, weil er Treibender und Getriebener zugleich ist, sich vom Orakel der Hexen und seiner Gattin zum Königsmord anstacheln lässt, dabei aber auch Lust am Töten entwickelt.

Szenisch ist Domingo kein begnadeter Darsteller. Aber das gleicht er aus, weil er seine Charaktere allein durch die schon lange vom Tenor zum Bariton heruntergedimmte Stimme profiliert, ihnen Wahrhaftigkeit verleiht. Eine Stimme, die wegen ihrer immer noch tenoralen Färbung ein einzigartiges Timbre besitzt.

Von der Eiskönigin im Businessanzug zur wahnhaften Nachtwandlerin

Man muss Domingo und Anna Netrebko nicht als Dreamteam bezeichnen, aber ihr erster gemeinsamer Auftritt 2013 in Verdis „Il trovatore“ (ebenfalls an der Berliner Staatsoper) war offenbar ein Türöffner. Netrebko ist als Lady Macbeth der andere große Star dieser Premiere. Wegen ihr haben viele Aficionados auf das erste Deutschlandspiel bei der WM verzichtet, um zur Direktübertragung zum Bebelplatz zu kommen. Wo sie die bessere Performance erleben.

Die Wucht dieser Sängerin ist nach wie vor ungebrochen. Es ist ja nicht nur die schiere Power, das Volumen ihrer Stimme, die aus unerschöpflicher, nie abreißender Quelle fließt. Sondern auch ihr variabler, jeder Situation angepasster Einsatz, die Modellierungskraft im Piano wie im Fortissimo, in der bronzenen Tiefe wie in der silberweißlichen Höhe. Und immer hält ihre Stimme die glückliche Rundung bei. Anders als in der statischen Salzburg-Inszenierung von „Aida“ erlaubt die Regie Netrebko hier, auch szenisch mehr von ihrem Können zu zeigen.

Als Lady Macbeth macht sie die klassische Wandlung von der Eiskönigin im Businessanzug (Kostüme: Yan Tax) zur nachtwandlerischen Wahnsinnigen mit Kerze durch. Auch sie wird ja von ihren Schuldgefühlen eingeholt, doch anders als der Gatte verliert sie darüber ihren Verstand. Kein Zufall, dass die jeweils letzten Arien der beiden in der gleichen Tonart Es-Dur stehen. Barfuß, verwehend leise, sotto voce, von schwankender Rhythmik begleitet: Gerade in der Rücknahme bringt Netrebko den ganzen Schrecken der Situation durchschlagend zum Ausdruck.

Die Oper stammt noch aus Verdis „Galeerenjahren“

„Macbeth“, 1847 geschrieben und 1865 für Paris überarbeitet, ist noch Produkt der „Galeerenjahre“ von Verdi, in denen er schuftete wie verrückt, um den Opernbetrieb zu befriedigen. Der Stoff gehört noch zum Kanon der Schauerromantik, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts literarisch und musikalisch Mode war. Den dunklen Grundzug könnte man konterkarieren, Harry Kupfer und sein langjähriger Bühnenbildner Hans Schavernoch entscheiden sich jedoch dafür, die Schwärze von Verdis düsterster Oper noch zu betonen. Wer Kupfer wählt, weiß, was er bekommt: Prägendste Farbe der Bühne ist steingrau, gelegentlich akzentuiert durch das weiße Sofa, das Lady Macbeth den Thron ersetzt. Man könnte die Regie altbacken nennen, wären da nicht die Videokünste von Thomas Reimer. Sie dynamisieren Kupfers Arbeiten gut, schaffen Atmosphäre, geben der stimmigen Inszenierung reichlich Tempo und Zug.

Sobald der Lappen hochgeht (in diesem Fall fällt er vielmehr nach unten), bietet sich ein apokalyptisches Szenario: ein Schlachtfeld, leichenübersät. Zum Paukenwirbel steigen Feuerbälle auf, im Hintergrund pumpen Brände schwarze Rauchsäulen in den Himmel: Signum der Konflikte unserer Zeit, auf Iraks Ölfeldern genauso wie, aktueller, am Grenzzaun von Gaza, wo die Palästinenser Autoreifen verbrennen. Kupfer zielt allerdings eher auf südamerikanische Diktaturen ab; in den Uniformen scheint Augusto Pinochet wieder aufzuerstehen.

Die Hexen (Chor: Martin Wright) fleddern erst mal die Leichen, bevor sie Macbeth ihre fatalen Prophezeiungen mit auf den Weg geben. Laut Kupfer ist es tatsächlich Brauch, dass die ältesten Frauen im Slum die Zukunft vorhersagen.

Daniel Barenboim und die Staatskapelle spielen durchsichtig und luftig

Die Videotechnik erlaubt schnelle und unkomplizierte Stimmungswechsel. Für Macbeth’ Burg benutzt Reimer Schwarz-Weiß-Fotografien einer gotischen Ruine, monumental, mit Kontrasten, die auch Ansel Adams nicht besser hätte verfertigen können. Die Ermordung Banquos (mit verlässlich-markantem Bass: Kwangchul Youn) vollzieht sich seltsamerweise vor dem Hintergrund eines Flughafens, der an die BER-Baustelle erinnert. Farbe kommt nur gelegentlich ins Spiel, in den Uniformen, im Blut von König Duncan – und im Finale, in dem der Kampf zwischen Macbeth und Macduff von einem goldschimmernden Lavastrom begleitet wird. Tenor Fabio Sartori als Macduff räumt viel Schlussapplaus ab für seine mit sehrender Leidenschaft vorgetragene Verzweiflungsarie.

So nachtschwarz das Stück auch ist: Die Partitur kontrastiert häufig mit lichter Stimmung und schnellem Dreivierteltakt. Daniel Barenboim und die Staatskapelle steigen durchsichtig und mit betörender Luftigkeit vor allem in den Streichern ein, haben allerdings die Tendenz, den feinen Pinsel in den Finalszenen gegen einen groben einzutauschen.

Am Ende kehren die grauenvollen Rauchsäulen des Beginns wieder: Verweis auf die Kugelgestalt der Zeit, alles wiederholt sich, der neue König ist nicht besser als der alte, schon streiten sie sich um die Krone. Kein neuer Gedanke. Trotzdem bleibt der Eindruck einer gelungenen Produktion, die allerdings ihren Stars und Reimers Videotechnik viel verdankt. Resümee des Berliner Opernwochenendes, an dem mit „Il Viaggio a Reims“ an der Deutschen Oper und „Die Nase“ an der Komischen Oper noch zwei weitere Premieren stattfanden. Am Ende steht es wenigstens in der Musik 3:0.

Weitere Aufführungen: 21., 24. und 29. Juni, 2. Juli

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