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Menschenfreund und Melancholiker.  Gérard Depardieu ist als Maigret eine Idealbesetzung.

© Pascal Chantier / Plaion Puctures

„Maigret“ mit Gérard Depardieu: Die Pfeife bleibt kalt

Patrice Leconte lässt Gérard Depardieu als „Maigret“ nach den Spuren einer jungen Toten suchen. Sein Film hat das Zeug zum Klassiker.

Dem Kommissar geht es nicht gut, er ist in besorgniserregender Verfassung. Maigret klagt über Erschöpfung und Kurzatmigkeit. Der Arzt schlägt ihm eine Pause oder den Ruhestand vor. Und rät ihm dringend: „Unterlassen Sie das Rauchen!“

Patrice Lecontes Film „Maigret“ beginnt im Sprechzimmer des Mediziners, und Gérard Depardieu, der den berühmten Ermittler spielt, wirkt in seiner wuchtigen Körperlichkeit verletzlich und verloren.

Maigrets wichtigstes Utensil ist seine Pfeife, sie muss dampfen, damit er besser denken kann. Auch diesmal nimmt er sie immer wieder in die Hand, klemmt sie sinnierend in den Mundwinkel. Nur anzünden wird er sie lange Zeit nicht.

Der Genussmensch wird zum Asketen. Als seine Frau (Anne Loiret) ihm einen gespickten Kalbsbraten auftischen will, winkt er ab: „Ich habe eigentlich keinen Hunger.“ Doch der Ruhestand ist keine gute Idee. Maigret wird noch gebraucht.

Körper voller Stichwunden

In einer regenreichen Pariser Nacht wird eine junge Frau tot aufgefunden. Ihr Körper zeigt Stichwunden, sie muss an einem anderen Ort gestorben und dann an mit einem Auto weggeschafft worden sein. Der Gerichtsmediziner stellt fest, dass sie reichlich Alkohol getrunken, aber lange nichts gegessen hatte. Ein Animiermädchen, eine Prostituierte? „Ich weiß gar nichts über sie, nicht mal ihren Namen“, klagt Maigret. Die Tote hat kaum Spuren hinterlassen, niemand scheint sie zu vermissen.

Der Film basiert auf Georges Simenons Roman „Maigret und die junge Tote“, der wie die meisten seiner Fälle auf der sonnenabgewandten Seite der Metropole spielt, im Milieu der Kleinbürger, Unbehausten, Ausrangierten. Unterkühlter als in der farbentsättigten Ästhetik dieses Films kann man sich das Paris der Fünfzigerjahre kaum vorstellen.

Maigret verlässt sein Büro am Quai des Orfèvres, lässt sich durch die Straßen treiben, gabelt die junge Betty (Jade Labeste) auf. Sie ist aus der Provinz geflohen, hatte sich von Paris erhofft, „frei zu sein“. Jetzt hat sie Hunger und lässt sich zum Essen einladen. Als sie erfährt, dass er Polizist ist, verschwindet sie.

Distanz aufbauen, aber berührbar bleiben. So lautet Maigrets Rat an seine Mitarbeiter. Was macht er, um Leute zum Sprechen zu bringen? „Nichts, ich höre zu.“ Der Kommissar ist ein Menschenfreund. Nicht das Wie oder Wer interessiert ihn an einem Verbrechen, sondern das Warum. Er stößt auf biografische Bruchstücke, begibt sich an Orte, die mit der Toten verbunden sind. Langsam bekommt sie Konturen.

Maigret trägt das blutverschmierte Abendkleid in die Schneiderei, in der die Tote es ausgeliehen hatte. Haute Couture, aber von 1937. Sie habe ein Kleid gebraucht, „als wäre ihr Leben in Gefahr“, sagt die Inhaberin.

Ächzend steigt Maigret die Treppen zur Dachkammer hinauf, in der die Tote gewohnt hat. Durch die dünne Wand hörte ihre Nachbarin sie manchmal weinen. Die junge Frau hatte ein Pärchen aus besseren Kreisen kennengelernt, vielleicht war das ihr Verhängnis.

Geister der Vergangenheit

Maigret besucht einen jüdischen Pfandleiher in seinem Hinterhof-Laden, der mit einer Zeitungsanzeige nach ihr gesucht hatte. Er stammt aus Vilnius, hat als einziger aus seiner Familie den Holocaust überlebt. „Alle Menschen, die ich kannte, sind verschwunden. Sie sind jetzt alle Geister“, sagt er.

Geisterhaft ragt die Vergangenheit in die Gegenwart. Nach der Beerdigung der Ermordeten stehen Maigret und seine Frau am Grab ihrer Tochter. Die Tochter wäre jetzt 20, etwa so alt wie die Tote im Abendkleid. Dass Maigret einmal Vater war, hat Leconte erfunden. Bei Simenon ist davon keine Rede.

Maigret wurde bereits von rund zwanzig Schauspielern verkörpert, darunter Jean Gabin, Charles Laughton, Mr. Bean-Darsteller Rowan Aktkinson und seltsamerweise sogar Heinz Rühmann. Gérard Depardieu ist eine Idealbesetzung, weil er noch immer die Kraft aus seinen frühen Polizeifilmen wie „Der Bulle von Paris“ erahnen lässt, tief vergraben unter Altersmilde und Melancholie.

Patrice Leconte setzte schon mit seiner Simenon-Verfilmung „Die Verlobung des Monsieur Hire“ (1989) Maßstäbe des Lakonismus. Sein atmosphärisch dichter, traurig schöner „Maigret“ hat das Zeug zum Klassiker.

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