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Maike Wetzel

© Graziela Diez c/o Schöffling & Co

Maike Wetzels Roman „Schwebende Brücken“ : Brief an einen Toten

Wie macht man weiter nach dem Verlust des Partners, als Mutter, als Schriftstellerin? Maike Wetzels autobiografischer Roman ist ein Trauerbuch in der Tradition von Joan Didions „Jahr des magischen Denkens“.

Vor fünf Jahren übernimmt Maike Wetzel den Auftrag für ein Opernlibretto, eine moderne Version des Orpheus-Mythos. Die Arbeit ist mühsam, das Thema – der verzweifelte Versuch, die verstorbene Geliebte zurück ins Leben zu bringen – erscheint ihr „fern, abstrakt“, erinnert sich die Autorin in ihrem autobiografischen Roman „Schwebende Brücken“. Bis mitten im Schreiben das Undenkbare geschieht: Bei einem Campingausflug mit der Familie unternimmt ihr Mann – der Vater ihrer beiden Söhne – mit seinem Bruder einen Ausflug mit einem Segelboot. Bei einem Wendemanöver kommt es zur Kenterung, nur der Bruder überlebt.

„Die Geschichte von Orpheus und Eurydike lese ich zunächst als die eines Untergangs“, erklärt Wetzels Ich-Erzählerin. „Sie birgt keinen Trost. Ich weiß nicht, was von Trost sein kann, außer uns immer wieder neu zu erfinden, dich in Spiralen und Spiegeln aufs Neue zu begrüßen. (…) Ich halte dich am Leben mit meinen dunklen Liedern. Wie Orpheus bin ich jetzt ein singender Kopf. (…) Aber ich kann nicht singen. Meine Stimme krächzt und an jedem Arm zieht ein Kind.“

Maike Wetzel, Jahrgang 1974, wurde nach der Jahrtausendwende zunächst mit Erzählungen bekannt, ehe sie sich der Arbeit als Regisseurin und Drehbuchautorin zuwandte; zuletzt erschien von ihr vor fünf Jahren der Roman „Elly“, der der Frage nachging, was der Verlust eines Kindes mit denen macht, zurückbleiben. Um Trauer und die Frage des Weitermachens geht es auch im neuen Werk der Berliner Autorin, allerdings auf ungleich persönlichere Weise.

Wie im Mythos soll auch bei Wetzel die Kunst die Erinnerung an einen Toten lebendig werden lassen, also letztlich: den Tod überlisten. Dazu dient die Adressierung dieser Prosa an den Verunglückten. Wetzels Roman stellt formal gesehen eine Art Brief an den Verstorbenen dar. Dazu dient aber auch das an Joan Didion erinnernde magische Denken der Ich-Erzählerin, ihr Mann könnte doch noch am Leben sein oder ihr Zeichen geben – anfangs noch gefördert durch den Umstand, dass die Leiche erst Tage später von Tauchern gefunden wird.

Auch mythische und märchenhafte Motive sowie Verweise auf literarische Werke durchziehen diese Prosa. Zu Romanbeginn sitzt die Ich-Erzählerin mit ihren Kindern, damals sieben und anderthalb Jahre alt, auf einer Picknickdecke unter einem Baum am See. Um sie herum: Blütenpollen, die an diesem Sommertag wie Schneeflocken vom Himmel herabtaumeln. Und die damit Musils „Mann ohne Eigenschaften“ herbeirufen, in dem in einer berühmten Szene die Geschwister Ulrich und Agathe auf einer Wiese im Garten liegen, während ein „geräuschloser Strom glanzlosen Blütenschnees“ auf sie niedergeht. Der Bezug ist offensichtlich: Hier wie dort ist die Idylle Schein, entpuppt sich der erzählte Augenblick als ein vom Tod bedrohtes Stillleben.

Wieder und wieder kehrt Maike Wetzels Alter Ego auf den 200 Seiten zu diesen Blütenpollen und den nicht enden wollenden Momenten auf der Picknickdecke zurück. Es sind Momente, in denen sich der Strom der Zeit gleichsam gabelt: Die drei Menschen sitzen auf der Decke wie unter einer „Glasglocke“, während um sie herum ein immer hektischeres Treiben ausbricht. Ein vom gewöhnlichen Leben abgetrennter Zustand, der auch Monate danach noch anhält: „Unsere Zeit fließt nicht mehr, seitdem du verschwunden bist. Der Zeiger hängt. Die Sekunden, Minuten, Stunden, Tage, Wochen, Monate stauen sich dahinter. Zu einer großen Mauer. Zu einem Riesengebirge, das ich weder übersehen noch überwinden kann. Ich sitze in einer seifigen Blase und kann nicht hinaus.“

Diese wiederholt erzählte Szene auf der Decke spiegelt eindringlich ein von traumatisierten Menschen bekanntes Phänomen: die zwanghafte Rückkehr der Erinnerung, um das Unbegreifliche vielleicht doch noch verstehen. Ein fataler Mechanismus, der immer neue Selbstvorwürfe und Schuldgefühle erzeugt: Hätte sie schneller reagieren müssen? Schließlich hatte sie ihr Ältester schon früh auf das plötzlich verschwundene Segel aufmerksam gemacht. Und hätte sich ihr Mann retten können, hätte seine Frau nicht darauf bestanden, er solle sich in der Elternzeit mit um das Baby kümmern, statt einen Segelkurs zu machen?

Dazwischen erinnert die trauernde Ich-Erzählerin die Geschichte dieser Beziehung. Darunter das erste Date oder sein auf einer Alm grandios schiefgehender, da gründlich missverstandener Antrag. Aber auch Momente der Krise, hervorgerufen durch das komplizierte Naturell des Ehemannes: hier der leutselige Genussmensch, dort der Tabletten- und Alkoholabhängige, der dazu noch einen Schuldenberg mit in die Ehe bringt. Maike Wetzels großes Trauerbuch endet auf eine denkbar riskante Weise: mit einer Parallelmontage, die Tod und Leben zusammenzwingt und bei der Lektüre den Atem stocken lässt. Weil sie das detailliert imaginierte grausame Ertrinken des Ehemannes neben die Geburt ihres ältesten Sohnes stellt. Ein Schluss wie das Leben: gleicher-maßen ergreifend wie erbarmungslos.

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