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''Mandys Baby": Mozarts letzter Schrei

Die Oper „Mandys Baby“ im Berliner Radialsystem wagt sich an eine ort- und zeitlose Mozartoper.

Im Radialsystem ist ja vieles anders als in den großen Konzerthäusern. Aber muss Dirigent Erik Nielsen deshalb ein rosafarbenes Polohemd tragen? Offenbar sollen tradierte Wahrnehmungsmuster diesmal nicht nur musikalisch, sondern auch modisch herausgefordert werden. Vielleicht hat es auch mit dem Titel des Stücks, „Mandys Baby“, zu tun, doch wer jetzt denkt, es spiele in Marzahn, ist nicht nur wegen des fehlenden Deppen-Apostrophs falsch gewickelt.

„Mandys Baby“ ist ort- und zeitlos, eine Mozartoper, die es so noch nie gegeben hat. Denn sie ist aus 14 Arien, drei Duetten, einem Terzett und einem Quartett kompiliert, die Mozart für verschiedene Sänger, etwa seine Schwägerin Aloysia Weber, geschrieben hat.

Dem Wagnis, diesen vergessenen Stücken eine Form zu geben, hat sich der UdK-Absolvent Tilman Hecker in seinem Regiedebüt gestellt, gemeinsam mit der Autorin Judith Schalansky, die die Zwischentexte geschrieben hat. Beide setzen auf Inzest, denn der ist – neben Pädophilie – in einer dschungelcampgesättigten Gesellschaft eines der letzten Tabus, die nicht gebrochen werden dürfen. Entstanden ist so die Geschichte von Mandy und Tim, die ihre jeweiligen Liebhaber verlassen, um gemeinsam ein Kind zu zeugen, nicht wissend, dass sie Geschwister sind. Dass Hecker bei Achim Freyer hospitiert hat, sieht man seiner etwas schematischen, symbolgeprägten Inszenierung an. Sie beginnt langsam und mit einer Reihe von Pausen, die dem Stück nichts hinzufügen. Erst später nimmt sie Fahrt auf. Das liegt auch an der Idee, die Wandlung des Stücks von der Buffa zur Seria im Bühnenbild nachzuvollziehen. Dieses besteht zunächst aus zwei drolligen Wohnkammern, die nach und nach so gedreht werden, dass sie schließlich einen sich nach hinten verjüngenden, ausweglosen Tunnel ergeben.

Juliane Herrman als Mandy avanciert mit irren Augen und in der Höhe zwar etwas angeschärftem, aber souveränen Sopran zum Zentrum des Abends. Daniel Jenz als Tim wirkt schlaksig und gehemmt, sein Tenor gewinnt erst in der zweiten Hälfte an Ausdruck, während Bernhard Hansky als Widersacher Pippo von Anfang an natürliches Spiel und einen schönen Bariton an den Tag legt. Anna Molina als Tims ursprüngliche Freundin Emilia singt mit fülligem Sopran, blickt aber zu oft zum Dirigenten.

Der Abend bestätigt vor allem aufs Neue, dass Mozart ein bestürzend genauer Menschenkenner war. Und ein vielseitiger: Seine Arien sind langsam und innig, überstürzend und erregt, sie erzählen von Angst, Liebe, Zorn und Verzweiflung. Die jungen Musiker des Neuen Kammerorchesters Bamberg spielen sie hellwach und trennscharf, bei den Soli fällt die einfühlsame Oboe von Sandra Schumacher auf.

Erik Nielsen, Absolvent der New Yorker Juilliard School und Harfenist der Orchesterakademie der Berliner Philharmoniker, mag an diesem Abend nicht unbedingt ein Gespür für modische Feinheiten haben, dafür aber für feine dynamische Differenzen. Und nach der Pause, als das Stück in die Tragödie kippt, ist auch die Kleidung kein Problem mehr. Da trägt er nämlich, wie alle Musiker, ein schwarzes Hemd. Udo Badelt

Wieder am 25. und 26. Juli

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